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„Meine Bildschirmzeit beträgt 100 Prozent” – Indie-Star Phoebe Bridgers über ihr Schlafzimmer, Online-Bullshit und Taylor Swift

Was sagt die Wohnung über einen der beliebtesten Indie-Stars aus? Im Video-Call mit der Grammy-nominierten Musikerin Phoebe Bridgers findet ihr es heraus. Außerdem spricht sie über Blödsinn, den sie online postet und verrät, warum sie die Taylor Swift der Sad Girls ist.

Die Wände im Schlafzimmer von Phoebe Bridgers sind strahlend weiß. In der Dekoration vermischen sich verschiedene Stile. Da wäre ein schwarz-weißes Poster von Nick Cave, ein umgedrehter Strauß verwelkter Rosen, eine an die Wand montierte, mit silbernen Sternen bemalte E-Gitarre. Ihr Bett besteht aus einem weißen Metallrahmen, sein drahtiges Kopfteil ist mit Lichterketten umwickelt. Wenn man genau hinschaut, kann man das Muster ihrer Bettdecke erkennen, ein Mischmasch aus Raketen, Planeten und anderen Formen.

Phoebe Bridgers Schlafzimmer ist für alle da

Fühlt sich das alles an wie ein Eingriff in die Privatsphäre, wie die ungewollte Intimität von Zoom-Calls? Dann solltet ihr bedenken, dass die 26-jährige Sängerin am Abend zuvor genau an dieser Stelle – in der Mitte ihres Bettes – in der Late Late Show von James Corden auftrat. Schätzungsweise schauten dabei 1 Million Zuschauer*innen zu, plus fast 200.000, die sich die Performance seitdem auf YouTube angesehen haben. An diesem Punkt ist Bridgers‘ Schlafzimmer also sowas wie öffentlich zugängliches Info-Material.

Jacke von Dior, Kleid von Lidow Archive, Ohrringe: Phoebe's own

„Ich habe hier drin schon so viel Mist gemacht”, sagt Bridgers und betrachtet ihren Raum. Sie lebt in diesem Apartment, seit sie 19 ist; hier hat sie den Großteil von „Stranger In the Alps” geschrieben, ihrem Debütalbum von 2017, das sie zum Indie-Liebling machte. Hier schrieb sie auch  „Punisher”, das Grammy-nominierte Nachfolger-Album, das die Best-of-2020-Listen anführte. „Ich habe in den letzten acht Jahren Songs in diesem Bett und an meinem Küchentisch geschrieben“, sagt Bridgers. „Meine Nachbar*innen schreien mich manchmal an, ich solle die Klappe halten, wenn ich singe.“

In der Einzimmerwohnung: Hier entstehen die Songs

Und hier folgt das, was ihr bei der Late-Night-Show oder auf Instagram live sehen könnt. Technisch gesehen befinden sich Phoebes Bett und der Küchentisch im selben Raum. Genau genommen ist es ein einziges Zimmer. „Ich habe hier mal mit einem Partner gewohnt, das war ziemlich verrückt“, sagt sie. „Es ist wirklich fucking klein. Aber normalerweise wohne ich hier kaum.“ Den größten Teil der letzten vier Jahre war Bridgers auf Tour, sowohl für ihre eigene Solokarriere als auch für ihre geliebte Band boygenius mit Julien Baker und Lucy Dacus und den Duo-Act Better Oblivion Community Center mit ihrem engen Freund Conor Oberst. Eigentlich sollte sie 2020 in Stadien auf der ganzen Welt als Vorgruppe von The National und The 1975 spielen, plus ihre eigene Headliner-Tour zu „Punisher”.

„Als Trump gewählt wurde, schickten ihm die Leute jeden Morgen all seine gute Presse“, sagt sie und rollt unfreiwilliges die Augen. „So geht es mir auch. (…) Ich krieche nicht durch Kommentarspalten und so einen Scheiß, ich glaube, das würde mich verdammt wahnsinnig machen.“

Stattdessen hat Bridgers ihr Durchbruchsjahr in den vertrauten vier Wänden ihrer Studiowohnung verbracht und versucht, nicht zu lesen, was über sie geschrieben wird. Sie vermeidet alle Kritiken außer denen, die ihr ihr Manager und ihre Mutter schicken, was, wie sie betont, eine Gemeinsamkeit mit Donald Trump darstellt. „Als Trump gewählt wurde, schickten ihm die Leute jeden Morgen all seine gute Presse“, sagt sie und rollt unfreiwilliges die Augen. „So geht es mir auch. Ich muss mir die Presse nicht suchen, weil sie mir zugeschickt wird. Ich krieche nicht durch Kommentarspalten und so einen Scheiß, ich glaube, das würde mich verdammt wahnsinnig machen.“

Total Look: Gucci, Ohrringe von Katkim

Der einzige Ort, an dem sich ihre Realität durch den Erfolg verändert hat, ist der Supermarkt. Hier erkennt sie gelegentlich jemand hinter der Maske und sagt „Herzlichen Glückwunsch“. Ihr Leben, sagt Bridgers, „verändert sich nur in der Theorie“. „Auf die gleiche Art und Weise ist es schwer, wirklich zu erfassen, was an meinem Leben anders ist als vor der Veröffentlichung der Platte.“

Start ins neue Jahr: Die Grammys

Am Morgen der Grammy-Nominierungen für 2021 schlief Bridgers aus. Ihr Team hatte sie gewarnt, dass es ein großer Tag für sie werden könnte, aber auch, dass solche Dinge unbeständig sind. Sie wachte auf, als ihr Handy mit Glückwünschen überflutet wurde – sie war für vier Preise nominiert worden, darunter als „Beste Neue Künstlerin” und für das „Beste Alternative Album”. „Dieser Tag ist für immer auf meinem Handy verewigt als der Tag, an dem ich niemandem geantwortet habe“, erinnert sie sich.

„Meine Mutter sagt: ‚Das Leben ist kein Wettbewerb, aber es fühlt sich gut an, zu gewinnen.‘ Which I f*cking love.“

Am Ende bestätigte sie die Nominierungen nicht mit einem Statement ihrer PR-Agent*innen oder einer langatmigen Instagram-Caption, sondern mit einem Tweet: „Ich bin gerade aufgewacht – what.“ Später deutete sie an, dass sie auf ein Duell mit der ebenfalls nominierten Megan Thee Stallion aus sei.

Links: Jacke und Rock von Issey Miyake via Lidow Archive, Stiefel von Marc Jacobs via Lidow Archive, Ohrringe von Katkim; Rechts: Total Look von MM6 Maison Margiela

Das ist der Spaß daran, ein Fan von Phoebe Bridgers zu sein. Sie kann einen Text schreiben, der einen tagelang am Arsch sein lässt. Genauso gut kann sie über Rimming schreiben. „Ich poste den ganzen Tag lang nur Shit“, sagt sie. Bridgers hat kein Interesse daran, eine mystisches Bild von sich zu kultivieren. „Ich denke, dass Songwriting zugänglicher ist als die Art und Weise, wie es in der Vergangenheit dargestellt wurde. Damals musste man eine Art exzentrisches Genie oder ein Wunderkind oder so sein“, sagt sie. „Es geht einfach darum, sich auszuprobieren und eine vollständige Person zu sein, die viele Facetten hat.“

„Ihre Stimme ist pure Schönheit, sanft und schwebend, aber ich kann in ihrem Tonfall hören, dass sie hart ist, dass sie schon viel Scheiße durchgemacht hat. Und sie ist witzig.” – Fiona Apple

„Ihre Songs geben dir das Gefühl, dass du jemanden hörst, der dir etwas erzählt, was er noch keinem anderen erzählt hat.“ – Matt Berninger von The National

Das sagen Kolleg*innen über Phoebe Bridgers

Vielseitigkeit ist Bridgers‘ Visitenkarte als Songwriterin, besonders die Art und Weise, wie sie eine unerträgliche Emotion mit einem sarkastischen Text untergräbt. „Ihre Stimme ist pure Schönheit, sanft und schwebend, aber ich kann in ihrem Tonfall hören, dass sie hart ist, dass sie schon viel Scheiße durchgemacht hat. Und sie ist witzig“, schreibt Fiona Apple, die zwei Cover mit Bridgers aufgenommen hat, in einer E-Mail. „Ihr Schreibstil ist intelligent und poetisch, aber direkt. Es ist toll, in ihrer Nähe zu sein. Jedes Mal, wenn ich sie höre, habe ich einen kleinen Tagtraum davon, mit ihr abzuhängen und live zu singen – nicht mal vor Publikum.“ Matt Berninger von The National, mit dem Bridgers schon auf Tour war und zusammengearbeitet hat, fügt per E-Mail hinzu: „Ihre Songs geben dir das Gefühl, dass du jemanden hörst, die dir etwas erzählt, was sie noch keinem anderen erzählt hat.“

Sie ist die Taylor Swift der Sad Girls

Im Gegenzug posten Bridgers‘ Fans, die sich selbst „Pharbz“ nennen (eine Anspielung auf Nicki Minajs „Barbz“), Fotos mit Jogginghosen, auf denen ihr Name quer über den Hintern aufgedruckt ist (Caption: „Phoebe Bridgers owns my ass“). Hinzu kommen Videos, in denen Fans unbeholfen zu Phoebes erstem Hit „Motion Sickness” tanzen oder zu „Graceland Too” im Auto weinen. (Es hilft, dass Bridgers sie oft repostet.) In einem Meme von Dezember beanspruchten Sad Girls auf Twitter Bridgers als ihre eigene Taylor Swift. „Phoebe bridgers ist taylor swift für mädchen, die krümel in ihrem bett haben“, „phoebe bridgers ist taylor swift für mädchen, die ihre sims ertränkt haben“, heißt es dort.

„Ich denke, das ist ein total fairer und cooler Vergleich“, sagt Bridgers selbst. Sie und Swift machten Platten mit gemeinsamen Freund*innen und hätten beide mit denselben Gitarren-Arten experimentiert, betont sie. Getroffen oder gar online Nachrichten geschrieben hätten sie aber noch nie. „Ich würde das gern“, sagt Bridgers. „Früher war es ein Schock für die Leute, dass ich Taylor Swift mochte“, fährt sie fort. „Sie ist das perfekte Beispiel dafür, dass man sowohl viel Glück haben muss, als auch von Natur aus talentiert sein muss…und man muss ein*e großartige*r Autor*in sein. Ich habe schon immer gedacht, dass sie genau das ist.“

Jacke von Nanushka, Boots von Marc Jacobs via Lidow Archive, Strumpfhose von Falke

Matt Berninger, der kürzlich mit Swift an dem Track „Coney Island” ihres Albums „evermore” arbeitete (einer von Bridgers‘ Favoriten auf dem Album) sagte, dass er vor allem beiden Künstlerinnen vertraut, wenn er ihnen zuhört: „Ihre Songs malen wirklich lebendige Bilder von abstrakten emotionalen Orten, die sich echt anfühlen. Ich kann nicht erklären, wie sie das machen, aber ich denke, dass es diese messy Ehrlichkeit ist, mit der sich die Leute verbinden.“

Wie privat soll sie noch werden?

„Wenn es um persönliche Dinge geht, dann denke ich mir: ,Komm schon, ich habe diese Platte gemacht, auf der ich tatsächlich Leute beim Namen nenne, was willst du noch von mir?'“

Eine weniger willkommene Parallele zu Swift ist das neu entdeckte Interesse an Bridgers‘ Privatleben. In ihrem Video zu „Savior Complex bei dem Phoebe Waller-Bridge Regie führte, spielte „Normal People”-Star Paul Mescal mit. In diesem Sommer fand sich dann ein Artikel über eine angebliche Romanze der Beiden in der Daily Mail.  „Ich hasse es“, sagt Bridgers. „Ich habe nicht einmal wirklich das Gefühl, dass mein privatestes Leben auseinandergerissen wurde. Ich denke eher: ,Y’all, ich entblöße buchstäblich den ganzen Tag meine Seele im Internet.‘ Ich habe einen fucking TikTok-Account, Twitter und Instagram und es ist ziemlich klar, wer zu meinem Inner Circle gehört. Es ist also ziemlich seltsam, dass die Leute noch mehr wollen als das.“

Sie habe kein Problem damit, dass Fans ihre Texte sezieren, fährt sie fort. „Ich habe das mein ganzes Leben lang gemacht. Ich denke mir: ,Ich frage mich, ob das über seine aktuelle Freundin ist?‘ Aber wenn es um persönliche Dinge geht, dann denke ich mir: ,Komm schon, ich habe diese Platte gemacht, auf der ich tatsächlich Leute beim Namen nenne, was willst du noch von mir?'“

Jacke und Hose von Proenza Schouler, Boots: Stylist's own, Schmuck von Katkim

Selbstfindung zwischen Wald und Edibles

Phoebe Bridgers‘ Version des Rockstar-Lebens ist extrem zahm. Auf Tour mit boygenius, so sagt Bridgers, „hatten wir einen Wettbewerb, wer am schnellsten in seinen Pyjama schlüpfen konnte.“ Trotzdem hat es sich in den letzten zehn Monaten als schwierig erwiesen, an Ort und Stelle zu bleiben. „Wenn mir niemand sagt, wo ich stehen soll, habe ich das Gefühl, meinen Sinn zu verlieren.“ Sie versuchte, wieder Edibles zu konsumieren, nur um sich daran zu erinnern, warum sie die aufgegeben hat. Für ein anderes Experiment fuhr sie allein zu einer Hütte im Wald. Sie stellte sich frische Luft und Wanderungen vor, nur um dann bei schlechtem Wetter zu viel zu trinken und mit Freund*innen zu facetimen. „Dieses Jahr war das Jahr, in dem ich mich fragte: ,Mag ich es, mich zu betrinken?‘ Und mir wurde klar: ,Nein, tust du nicht.'“

Links: Hemd von Vince, Hose: Stylist's own, Ohrringe von Katkim; Rechts: Jacke von Dior, Kleid und Boots von Lidow Archive, Strumpfhose von Falke, Ohrringe: Phoebe's own


„Meine Bildschirmzeit beträgt 100 Prozent”

In diesen Tagen ist ihr Manager Darin für einen Großteil ihrer normalen menschlichen Funktionen verantwortlich. „Ich sage literally sowas wie: ,Kannst du diesen Rock online bestellen? Ich muss ihn mir nach Hause schicken lassen, aber ich weiß nicht, wo meine Kreditkarte ist.‘ Ich glaube, ich bin einfach so eingestellt. Vieles davon wurde mir vor Augen geführt. Ich verhalte mich wie ein Teenager, auf eine Art und Weise, wie ich es vorher nie getan hatte. Man hat einfach Zeit, sich in einer Gedankenspirale zu verlieren. Meine Bildschirmzeit beträgt 100 Prozent. Ich habe viel Zeit damit verbracht, einen meiner Crushes zu googeln, der mich blockiert hat, nur damit ich dessen Tweets lesen konnte.“

Eigentlich blüht Phoebe Bridgers im Chaos der Tour auf, denkt sie jetzt; eher ist es die totale Freiheit, die sie verunsichert. „Wenn die Welt, in der ich lebe, es nicht zulässt, dass ich Sport treibe und gut esse, dann treibe ich eben Sport und esse gut. Ich werde zum Beispiel um verdammt noch mal 6 Uhr morgens aufwachen und spazieren gehen und nur Blätter essen“, sagt sie. „Aber in der Selbstisolation würde ich meine Faust ganz tief in ein Baguette stecken und das Innere dieses Brotes um 3 Uhr morgens essen – und das habe ich wirklich schon getan.“

Wie man aus Träumen Realität macht

Bridgers glaubt, dass Manifestation – also die Praxis, die eigenen Wünsche durch das sogenannte „Gesetz der Anziehungskraft“ in die Realität zu bringen – einen schlechten Ruf hat. „Es bedeutet in Wirklichkeit folgendes: Wenn du ein*e Musiker*in sein willst, dann ist es dir egal, ob es fünf Jahre lang scheiße läuft. Es bedeutet, wenn du jeden Tag daran denkst und wirklich hart arbeitest, dann wird die Welt dir diese Arbeit irgendwie zurückgeben. Ich bin nicht die ganze Nacht aufgeblieben, habe Kerzen angezündet und gesagt: ,Bitte lass mich erfolgreich sein, dunkler Gott'“, sagt Bridgers. Sie blieb auf und arbeitete.

Total Look von Gucci, Ohrringe von Katkim

Die Fähigkeit, sich ausschließlich ihrer Kunst zu widmen, ist ein Luxus, wie Bridgers als Erste zugeben wird. Sie finanzierte die ersten drei Jahre ihrer Karriere mit ein paar Tagen Arbeit als Schauspielerin in Werbespots. (In den Untiefen von YouTube kann man sie immer noch dabei beobachten, wie sie ein paar gefüllte Nachos mit einem Schluck Baja Blast hinunterspült. Ihr charakteristisches hellblondes Haar ist damals noch kürzer als jetzt.)„ Mir ist klar, dass es eine super privilegierte Position ist, [aus der] ich sagen kann: .Ich habe einfach weitergemacht.‘ Die Welt hat mir definitiv geholfen.“

Die schwindende Mittelschicht der Bands

„Es macht mich traurig, wenn ich daran denke, dass Menschen wirklich hart arbeiten und dann einfach irgendwie gezwungen sind, aufzuhören“, fährt sie fort. „Nach der Highschool hätte ich mir den beschissensten Job der Welt suchen müssen, wenn ich nicht wirklich Glück gehabt hätte. Ich habe wirklich hart gearbeitet, aber nur, weil ich für meine eigene Freizeit bezahlt habe. Ich habe Freund*innen in meinem Leben, die sich einen beschissenen Job besorgen mussten, sodass sie viermal so lange brauchten, um eine Platte zu machen. Es fühlt sich an wie im Rest der USA mit der verschwindenden Mittelschicht. Die schwindende Mittelschicht der Bands gibt es definitiv [auch]. Ich hätte nicht so viele Möglichkeiten, hätte wenn ich nicht so viel Zeit. Ich denke, [ich] erkenne das und versuche von innen heraus, es irgendwie zu demontieren.“

„Ich glaube, es ist ziemlich einfach, in meiner eigenen kleinen Fantasiewelt mit meinem eigenen Bullshit zu leben. Für jede Person ist das Internet kuratiert, um dich zu verehren. Du kannst so tun, als wärst du der einzige Mensch auf der Welt.“

All dies fließt in ihr neuestes Projekt ein, ein Plattenlabel namens Saddest Factory, das als Imprint ihres eigenen Labels Dead Oceans gegründet wurde. Ihr erster Vertragspartner war Claud Mintz, ein nicht-binärer Bedroom-Pop-Artist, der unter dem Künstlernamen Claud auftritt. Bridgers gefiel, dass es sich um eine*n eigenständige*n Künstler*in mit einem völlig anderen Sound als ihrem eigenen handelt. Claud wiederum mochte, dass Bridgers eine Mitstreiterin ist, kreativ und doch geradlinig. „Zu unseren ersten Treffen trug sie definitiv einen Anzug„, sagt Claud, „das ist lustig.“

Es ist anstrengend, über das zu schreiben, was los ist, und auch, es nicht zu tun

„Es macht Spaß, über etwas nachzudenken, das nicht ich selbst bin„, sagt Bridgers. „Ich glaube, es ist ziemlich einfach, in meiner eigenen kleinen Fantasiewelt mit meinem eigenen Bullshit zu leben. Für jede Person ist das Internet kuratiert, um dich zu verehren. Du kannst so tun, als wärst du der einzige Mensch auf der Welt.“ Kürzlich twitterte Bridgers, dass es noch acht Jahre dauern würde, bis sie einen Nachfolger für „Punisher” veröffentlicht. Es war ein Scherz, aber er wurzelte in einer Form der Wahrheit, oder zumindest der wahren Angst. „Ich habe weniger [neue Musik in Quarantäne] geschrieben, als man denken würde“, sagt sie. „Es ist anstrengend, darüber zu schreiben, was los ist, und es ist anstrengend, nicht darüber zu schreiben, was los ist.“ Irgendwann, sagt Bridgers, würde sie sich gerne mit ihren boygenius-Bandkollegen für ein Nachfolgealbum wiedervereinen, wenn es sich „so lustig und toll anfühlt, wie es immer war.“

„Ich werde nicht in der ersten Welle von Leuten sein, die es sicher vermasseln werden. Das haben die Chainsmokers schon getan.“

Post-Lockdown heißt es Abwarten bis zur ersten Show

Sie freut sich auch darauf, wieder Konzerte zu spielen, und sei es nur, um ein bisschen durchzuatmen. Wenn sie aufnimmt, erklärt sie, ist sie hart zu sich selbst, verflucht schlechte Takes und macht es wieder und wieder. Wenn sie live auftritt, kann sie loslassen und einfach Spaß haben. „Es ist mir egal, ob ich ein komisches Gesicht mache, oder ob ich mich falsch anhöre. Es ist einfach das, was passiert. Ich freue mich darauf, mich in meinem Job besser zu fühlen.

Bridgers neigt dazu, beide Seiten einer Debatte darzulegen. Manchmal beginnt sie einen neuen Punkt, bevor sie den letzten beendet hat, hält inne, um sich an etwas zu erinnern, das sie gelesen oder ihr ein*e Freund*in erzählt hat. Sie wird ernst, als sie all die Gründe aufzählt, warum sie Angst hat, wieder Shows zu spielen. „Das ganze System wird so überlaufen sein mit Leuten, die auf Tour sind“, sagt sie. „Ich weiß, wenn ich eine Show spiele, wird es safe sein. Ich werde nicht in der ersten Welle von Leuten sein, die es sicher vermasseln werden. Das haben die Chainsmokers schon getan.“

Jacke und Hose von Proenza Schouler, Ohrringe von Katkim

Sie blickt aus dem Bildschirm, während ihr mögliche Szenarien durch den Kopf schwirren – die Worte „emotional auslaugend“ und „traumatisierend“ fallen. Dann fängt sie wieder an, sich zu konzentrieren. Jemand auf Twitter sagte, dass das Leben nach der Quarantäne wie in den wilden 1920er Jahren sein wird, erinnert sie sich, und sie mochte die Antwort einer weiteren Person: „Wird denen jemand sagen, was danach passiert ist?“ Sie lacht darüber und stellt schließlich fest, dass ihre Gefühle über die Zukunft „intensiv” sind. Es ist wie ein Stockholm-Syndrom im Bezug zur Quarantäne. Über das Ende des Social Distancing wird Phoebe bereits nostalgisch. „Ich habe irgendwie Angst, mein Haus zu verlassen, weil ich weiß, dass ich für eine lange Zeit nicht mehr dorthin zurückkommen werde.“

Phoebe Bridgers will alles, nur nicht vergessen

Im Moment versucht sie, alles in einem Quarantäne-Tagebuch auf ihrem Computer festzuhalten. Sie macht sich Sorgen, dass sie mit 36 Jahren auf dieses Jahr zurückblicken wird als „das Jahr der ersten Grammys, und als ich all diese Sachen gemacht habe, und all diese Videos – all die guten Sachen. Ich will nicht vergessen, wie schwer es war, so wie man es bei Beziehungen macht. Man neigt dazu, die beschissenen Dinge zu romantisieren oder wegzulassen„, sagt Bridgers. „Ich möchte mir selbst Anerkennung dafür geben, dass ich es einfach ausgehalten habe.“

Text: Lauren McCarthy
Fotos: Paley Fairman
Styling: Kat Typaldos
Haare & Make-up: Nicole Wittman
Nails: Naoko Saita
Set Design: Robert Ziemer
Booking: Special Project

Dieser Text wurde eingekürzt, es wurden kleine Änderungen vorgenommen.

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Nylon
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