Warum Hyperfemininität mehr ist als ein Trend
Rollt den pinken Teppich aus, es wird Zeit für girly Girls! Dank TikTok solll Hyperfeminität vom Trend zu einer Art Bewegung werden. Was die pinken Ästhetiken der 90er- und 2000er-Jahre mit Paris Hilton, Geschlechterklischees, feministischen Kämpfen und dem Abstieg des „Girlboss” zu tun haben, hat unsere Autorin hier analysiert.
Ich wurde 1993 geboren. Ich wurde also direkt nach der Hyperfeminität der 90er-Jahre erwachsen, und in den Wirren von Y2K – dem goldenen Zeitalter von allem, was glitzert und rosa ist. Heute jage ich immer noch dem Hochgefühl nach, das ich hatte, wenn ich von der Schule nach Hause kam, um neue Folgen von „Lizzie McGuire” und „Phil aus der Zukunft” zu schauen.
Für „girly Girls” wie mich war diese Zeit wie das Paradies. Ich ging jeden Tag geschminkt zur Schule, klebte mir French Press-On Nails aus der Drogerie auf, trug neonfarbene Jogginghosen aus der „PINK”-Kollektion von Victoria’s Secret und besitze immer noch die magentafarbene Pochette-Tasche von Coach, um die ich meine Mutter anbettelte. In den Vorstädten vom [US-Bundesstaat] New England machte mich all das aber auch zu einer Außenseiterin. Meine Mitschüler*innen hielten Tom-Brady-Trikots oder Slides von Jack Rodgers für das höchste Fashion-Level, und von der Middle School an verfolgten mich Hänseleien, die mich als Dummchen darstellten, obwohl ich fast immer nur Einsen hatte.
Bild via NYLON.com
Ich erlebte auch andere der Schattenseiten von Hyperfemininität, die die frühen 00er-Jahre prägte. Ich erinnere mich, wie ich meinerFreundinnen um ihre Hüftknochen beneidete, die man in ihren tief sitzenden Jeans deutlich erkennen konnte. Auf den Covern von Zeitschriften sah ich junge weibliche Stars, die eine halb so große Kleidergröße trugen wie ich, und trotzdem wegen ihres Gewichts angefeindet wurden. Während der Middle Schol machte ich zum ersten Mal eine Diät; in der Highschool gingen meine Freundinnen und ich gemeinsam zu Weight Watchers, und am College hatte ich meinen Körper dank einer Diät aus Eiweiß, Melba-Toast, Naturjoghurt und Babybel-Käse auf Kleidergröße 32 reduziert.
Es hat Jahre gedauert, bis ich den Schaden verarbeitet habe, den diese Zeit in meinem Selbstbild hinterlassen hat. Es dauerte aber genauso lange, bis ich erkannte, dass ein Großteil des Schadens von all den Pessimist*in kam. Zu ihnen gehörten die Lehrer*innen, die mich dafür tadelten, dass ich mit einer Handtasche zum Unterricht kam, und die Freund*innen, die sich über meine Art zu sprechen lustig machten (ich sprach mit akzentuierten Lauten wie kalifornische „Valley Girls“). Genauso wie die Cover der Magazine mir sagten, was ich nicht war, sagten diese Leute mir, was ich nicht sein konnte – nämlich klug und girly, würdig und feminin.
HYPERFEMININITÄT FÜR EINE, HYPERFEMININITÄT FÜR ALLE
Mein hyperfeminines Erwachen kam durch, wie man heute so sagt, TikTok-Girlies. Wie die meisten Menschen in ihren späten Zwanzigern lud ich die App zu Beginn des ersten Corona-Lockdwons runter. Und weil mich mein Algorithmus mit der Zeit besser kennenlernte als ich mich selbst, wurde meine For You Page zu einer Sammlung an Make-up-Tutorials, Shopping-Tipps und Girls, die einfach nur Mädchen waren, über Jungs tratschten und sich in Pink und Glitzer kleideten.
In mancher Hinsicht sahen sie aus wie die Mädchen, die ich als Kind sein wollte: perfekte Maniküre, mit allen aktuellen Schönheits- und Modetrends vertraut – die Art von Frau, die immer gut riecht. Aber in ganz anderer Hinsicht sahen diese Content-Schöpferinnen überhaupt nicht wie die Frau aus, die ich als Kind zu sein anstrebte. Sie waren nicht alle weiß, sie waren nicht alle dünn, sie waren nicht alle blond und hatten blaue Augen. Sie hatten Kurven; sie waren Schwarze und Brown Frauen; sie hatten Behinderungen; sie waren queer, trans* und nicht-binär.
Anmerkung zum Wort „Brown”: Im Englischen wird dieser Begriff unter anderem von und/oder für Menschen verwendet, die als nicht-weiß gelesen werden, sich aber selbst zum Beispiel auch nicht als Schwarz bezeichnen. Da im deutschsprachigen Raum verschiedene Begriffe für nicht-weiß gelesene Menschen existieren und die allgemeine Übersetzung von Brown mit „Braun” bisher nur vereinzelt verwendet wird, haben wir den Begriff hier als englisches Wort stehen lassen und als Selbstbezeichnung groß geschrieben. Eine Perspektive zum Thema findet ihr z.B. hier bei Deutschlandfunk.
„Die Zeiten haben sich geändert und jede*r darf mitmachen, sodass es wieder cool sein kann, Pink und Lipgloss zu mögen„, sagt Becca Moore, eine Content Creatorin, die ihren Content als „Satire einer dummen Blondine“ nennt. Moores TikTok-Account hat fast eine Million Follower. Wahrscheinlich habt ihr schon ihre Serie „not for guys” über Dinge gesehen, die „nichts für Männer” sein sollen. Hier spricht sie vor einem rosa Notes-App-ähnlichen Hintergrund und zählt Dinge auf, die Männer nicht haben sollten, wie Autos (sie sollten stattdessen joggen) und Shops (stattdessen sollten sie jagen gehen).
„Von der Model-Branche bis zur Hollywood-Entertainment-Industrie hat die Entwicklung von Inklusion einen langen Weg hinter sich“, sagt Hikari Fleurr, die hyperfemininen Content mit Fokus auf 90er- und 2000er-Ästhetik kreiert (ihre Hommagen an Filme wie „Cheetah Girls” begegneten mir zuerst auf meiner FYP – seitdem bin ich süchtig). „Girls mit normalen Körpertypen in allen Shapes und Größen posten selbstbewusst Inhalte und ermutigen andere Frauen, sich ebenfalls selbstbewusst in ihrem Körper zu fühlen. Es macht mich glücklich, solche Inhalte zu sehen, weil sie der jüngeren Generation von Mädchen eine glaubwürdige Darstellung bieten, die viele Mädchen in meiner Generation – Millennials – nicht hatten, während sie aufwuchsen.“
„Bei der Girly-Ästhetik geht es darum, keine Angst zu haben, sich selbst auszudrücken und sich so zu kleiden, wie es einem gefällt, egal was es ist!“ – Amira Mohamed, @dreamingofdior
Und ich weiß, was sie meint. Es ist eine große Freude zu sehen, wie Frauen, die etwa zehn Jahre jünger sind als ich, all den Spaß und die femininen Vergnügungen meiner Jugend ohne das toxische Gepäck genießen, das zu so viel Selbsthass und Schaden geführt hat.
In den rund zwei Jahrzehnten seit dem Höhepunkt der Hyperfemininität in den 90er und 2000er-Jahren haben unsere Gesellschaften so manche Abrechnung erlebt – mit der Gleichberechtigung der Geschlechter, Body Positivity und Race. Der Diskurs über weiblich gelesene Körper ist zwar immer noch viel zu sehr etabliert, dabei aber weniger akzeptabel geworden; und zumindest ein Teil der Misogynie, die so viel der Hyperfeminität von früher durchzogen hat, ist verschwunden. Der moderne Feminismus, #MeToo, Black Lives Matter und andere soziale Bewegungen haben die Art und Weise, wie wir über Inklusion und Menschlichkeit sprechen, nachhaltig geprägt und die kulturelle Diskussion in der Entertainment- und Modebranche verändert.
Und so kann eine neue Generation von Girlies ihre Lucite-Pumps in Ruhe genießen – aber das ist auch ihr eigener Verdienst. So, wie diese Content Creator*innen jenseits der Zeit erwachsen werden, in der die hageren Körper von Lindsay Lohan und Nicole Richie Magazin-Cover zierten, bauen sie diese Gesellschaften auch aktiv von innen heraus auf. Sie reiten nicht nur auf der Welle der Inklusion, die für sie in die Gesellschaft eingebaut wurde; sie erweitern, was es bedeutet, eine Frau zu sein, ein „girly Girl” zu sein, feminin zu sein – und sogar radikal zu sein, eine Feministin zu sein.
Die Kurzfassung? Eine Person muss nicht länger ein Barbie-Girl sein, um in einer Barbie-Welt zu leben – man kann ein Barbie-Er, eine Barbie-Sie oder ein* Barbie-they sein. Am hot Pink Table ist Platz für alle.
„Bei der Y2K- und Girly-Girl-Ästhetik geht es im Jahr 2022 darum, die besten Aspekte aus der Mode der 2000er-Jahre aufzugreifen, die am meisten Spaß machen, und sie auf eine Art und Weise inklusiv zu gestalten, wie es damals nicht der Fall war. Für mich als Woman of Color ist das wirklich großartig und ermutigend“, sagt Amira Mohamed, die unter dem Username @dreamingofdior Inhalte über hyperfeminine Mode postet und Videos dreht, die sie als „princess-core, Y2K meets modern day Marie Antoinette“ bezeichnet. Mohameds Feed ist wie eine Zuckerwatte-farbene Fantasie. Ihre Serie darüber, was eure liebsten hyperfemininen Filme über euch aussagen, fühlt sich an, wie ein Horoskop zu lesen. „Es gibt jetzt definitiv mehr Size-inclusive und diverse Marken, die girly Kleidung anbieten, und es gibt mehr Influencer*innen aller Größen und Ethnien, die sich dieser Ästhetik verschrieben haben. Meiner Meinung nach ist das großartig. Bei der Girly-Ästhetik geht es darum, keine Angst zu haben, sich selbst auszudrücken und sich so zu kleiden, wie es einem gefällt, egal was es ist!“
Nach der Einbeziehung von Körperbild und Race gehört auch die Hetero- und Cisnormativität der hyperfemininen und Y2K-Ästhetik der Vergangenheit an. Chrissy Chlapecka (sie/they) – ein*e Content Creator*in mit fast 5 Millionen TikTok-Follower*innen – sagt, dass ihre Ästhetik stark von der Art und Weise beeinflusst ist, wie sie ihre queere Weiblichkeit ausdrücken möchte. „Ich denke, dass Femininity an sich sehr schön ist, aber auch die Art und Weise, wie queere Menschen ihre eigene Weiblichkeit und Ästhetik ausdrücken, ist sehr schön“, sagt Chrissy. „Es ist fast eine Kunstform für sich, die aus Authentizität und Selbstakzeptanz entsteht.”
Paris Hilton ist immer dabei
Die Kurzfassung? Eine Person muss nicht länger ein Barbie-Girl sein, um in einer Barbie-Welt zu leben – man kann ein Barbie-Er, eine Barbie-Sie oder ein* Barbie-they sein. Am hot Pink Table ist Platz für alle. „Ich persönlich glaube, dass der hyperfeminine Trend, den wir gerade erleben, seine Wurzeln in Drag und queerer Kultur hat“, sagt Carmen Azzopardi, Content Creatorin und Publizistin (sie nennt sich selbst „PR-Fee”) für die australische Modemarke Dypsnea. Über die Ästhetik der Brand sagt sie: „Es gibt genug Glitzer, um bei allen eine Migräne auszulösen; sie ist voll von Sass, Pailletten und voller ,sauce‘. Unsere Kollektionen werden immer von den Dingen inspiriert, die wir gerade lieben, wie Bridgerton, Drag-Kultur und Filmen wie ‚Priscilla – Königin der Wüste‘ – und natürlich Paris Hilton. Ihr könnt darauf wetten, dass egal, was wir entwerfen, immer ein bisschen Paris darin vorkommt“.
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NICHT WIE ANDERE GIRLBOSSES
Wenn es darum geht, Hyperfemininität zu verharmlosen und darauf herabzusehen, kommen die Sprüche leider oft aus den eigenen Reihen. 2013 veröffentlichte Sheryl Sandberg [Co-Geschäftsführerin von Meta, Anm. d. Red.] ihr Buch „Lean In – Frauen und der Wille zum Erfolg“. Ich erinnere mich, dass damals jedes Mädchen in meinem Uni-Einführungskurs für Journalismus über das Buch sprach, als wäre es die Bibel. Auch ich selbst tauchte in den Diskurs ein, der von populären feministischen Autor*innen geführt wurde, die über das Leben als berufstätige Frau predigten und alles von Barbie-Puppen bis zu Stripclubs als toxisch oder antifeministisch labelten. Es war die Zeit der Girlbosses – das perfekte Gegenmittel zu einer Kindheit, in der uns gesagt wurde, wir seien nicht dünn oder hübsch genug, um begehrenswert zu sein. Girlbosses kümmerten sich nicht um Rasurbrand in der Bikinizone oder darum, wie wir unseren Männern am besten gefallen konnten; Girlbosses standen über all diesen Dingen.
Als ich mein Jurastudium begann, ließ ich mich voll und ganz darauf ein. Ich war stolz darauf, eine „Karriere-Bitch“ zu sein, und ich hatte sogar eine Mitgliedschaft im Co-Working-Space-Kollektiv „The Wing”. Ich dachte, ich hätte alles im Griff.
Dann wurde bei mir Endometriose diagnostiziert. Nach langen Stunden im Büro fühlte ich mich, als würde ich sterben. Ich war zu krank, um einen ganzen Tag in der juristischen Fakultät zu überstehen. Meine Schmerzen waren zu stark. Schnell fand ich heraus, dass der Kult des Girlboss nichts mit mir zu tun haben wollte. Die Frauen in meiner Uni-Gruppe hörten auf, ihre Notizen mit mir zu teilen. Meine Professorinnen, die mich gerne als Mentorinnen unterstützt hätten, wurden meiner Bedürfnisse überdrüssig und meldeten mich stattdessen beim Dekan, weil ich mich krank gemeldet hatte. Mir wurde klar, dass diese Bewegung nicht für Frauen war – sie war für eine ganz bestimmte Art von Frauen.
„Zu denken, dass eine Frau weniger intelligent oder mächtig ist, nur weil sie girly ist, ist unfair. Meiner Meinung nach kann man sehr wohl feminin sein und gleichzeitig Feministin.” – Hikari Fleurr
Der Fall von Girlboss, Cool Girl und Co
In den darauf folgenden Jahren haben wir beobachtet, wie das Bild des „Girlboss” in Ungnade gefallen ist. Progressive Feministinnen haben den Trend eindeutig als eine Neuauflage des Feminismus der zweiten Welle erkannt, der in der Verachtung anderer Frauen und der Ignoranz von Race und Klasse wurzelt.
Dennoch gab es bis in die späten 2010er-Jahre Überbleibsel davon. Das „No-Make-up”-Make-up von Marken wie Glossier lehnte sich in seiner Farbpalette an die Girly-Girl-Ästhetik an, aber ihr Ethos des geringen Aufwands passte viel besser zu umgänglichen „Cool Girls”. Die zurückhaltende Kälte der Trendfarbe Millennial-Pink schrie „ich bin nicht wie andere Mädchen” – feminin, aber doch irgendwie gegensätzlich zu der nachsichtigen Girliness meiner Jugend. Dieser Cool-Girl-Lifestyle mag vielleicht Absolution von einer Welt versprechen, in der der männliche Blick unsere Entscheidungen diktiert. Die Content Creatorinnen aber, mit denen ich sprach, sagen, dass diese Freiheit auch mit der Akzeptanz der Hyperfeminität einhergeht.
Wir sollten glauben, dass die Bezeichnung anderer Frauen als hirnlos und albern eine Form des radikalen Fortschritts für die Gleichberechtigung der Geschlechter sei.
„Hyperfemininität betont die Ermächtigung der Frauen, für die der Feminismus steht“, sagt Hikari Fleurr. „Zu denken, dass eine Frau weniger intelligent oder mächtig ist, nur weil sie girly ist, ist unfair. Meiner Meinung nach kann man sehr wohl feminin sein und gleichzeitig Feministin.”
Verinnerlichte Frauenfeindlichkeit ist eine höllische Droge. Eine Zeit lang wurzelte eine ganze Fraktion des „Feminismus“ in einem tiefen Hass auf Hyperfemininität und „dumme Blondchen“. Pinks Song „Stupid Girls“ ist zwar schlecht gealtert, war aber eine Hymne seiner Zeit – ein Mittelfinger an die Paris Hiltons dieser Welt. Wir sollten glauben, dass die Bezeichnung anderer Frauen als hirnlos und albern eine Form des radikalen Fortschritts für die Gleichberechtigung der Geschlechter sei. Und obwohl sich Haltungen langsam dahingehend wenden, dass wir verstehen, inwiefern auch das Frauenfeindlichkeit ist, bleibt die Umverpackung von solchen Haltungen als Feminismus immer noch allgegenwärtig.
„Die Leute sehen eine hyperfeminine Person und halten sie sofort für ein Sexobjekt. Nicht nur Männer, sondern auch diejenigen, die sich selbst als Feminist*innen bezeichnen“, sagt Chrissy Chlapecka. „Sie glauben, dass was sie sehen – hyperfeminine Menschen –, falsch oder schlecht ist, nur weil es einem Mann ,gefallen‘ könnte. Was sie nicht verstehen, ist, dass es einem Mann scheißegal ist, was er sieht – er wird sich immer noch übergriffig verhalten und Menschen misshandeln, egal, was sie tragen.“
Manche der Content Creator*innen, mit denen ich sprach, sagten, dass auch sie Phasen durchliefen, in denen sie sich von ihren liebsten girly Dingen lösten, um sich den Respekt ihrer Mitschüler*innen zu verdienen.
„Als junge Frauen wird uns eingeredet, dass wir, wenn wir stereotyp ,girly‘ Dinge mögen, von der Gesellschaft und Männern weniger respektiert werden“, sagt Amira. „Ich habe das Gefühl, dass das eine Form von Misgoynie ist. Wir sagen Mädchen, dass sie Dinge, die ihnen wirklich Spaß machen und sie glücklich machen, aufgeben sollen, damit sie von anderen wahrgenommen werden – das ist etwas, was wir Männern nie sagen. Männer dürfen bis ins Erwachsenenalter hinein scheinbar frivole und kindische Dinge wie ,Star Wars‘, Comics, Videospiele usw. lieben, aber erwachsene Frauen, die zugeben, dass sie immer noch Barbie- oder Liebesfilme lieben, werden verspottet.“
Girliness und der (moderne) Feminismus
Die heutige Generation der hyperfemininen Content Creator*innen erscheint wie eine Antwort auf das isolierte Privileg der Sheryl-Sandberg-Jüngerinnen, der Cool Girls mit umgänglichen Idealen; ein befreiender Aufschrei als Antwort auf all die Frauen, die stolz verkündeten, sie seien „nicht wie andere Mädchen“. Sie scheren sich nicht darum, pflegeintensiv zu sein, als verwöhnt oder materialistisch wahrgenommen zu werden. Und viele dieser Creator*innen sind stolze Feministinnen.
Als ich aufwuchs, scheuten sich Promis davor, sich öffentlich als Feminist*innen zu bezeichnen – aus Angst, dass die ätzenden Assoziationen, die mit diesem Titel verbunden sind, sie weniger begehrenswert oder für den Markt weniger schmackhaft machen würden. Aber die Girls von heute haben eben nicht nur keine Angst, sich als Feministinnen zu benennen, sie sind sich auch bewusst, dass die Abgründe innerhalb des Feminismus mitverantwortlich sind für die Missstände, die wir so lange ertragen mussten.
Hyperfemininität behauptet nicht, tiefgründiger oder weiter entwickelt zu sein als andere Ideale, aber sie kapituliert auch nicht vor der Vorstellung, dass wir weniger wert sind, wenn wir uns stereotypen femininen Dingen wie Klatsch und Shopping hingeben.
„Ich habe das Konzept, hyperfeminine Mädchen aus dem Feminismus zu drängen, nie verstanden“, sagt Becca Moore. „Warum polarisieren wir uns selbst? Make-up und Glitzer machen Spaß. Die Ablehnung traditioneller Girliness, indem man sich über sie lustig macht, verleiht dem Klischee des dummen Mädchens mehr Gewicht. ,Ich bin nicht wie die anderen Mädchen; ich bin tiefgründig, intellektuell, mag Sport und Bier. Ich weiß nicht einmal, wie man Wimperntusche aufträgt‘ – Schluss damit. So zu sein wie andere Mädchen ist toll! Sport und Bier sind cool, Bücher sind cool, Lipgloss und künstliche Brüste sind cool. Wen kümmert’s, lasst uns im Team der anderen sein! Lasst die Mädchen tun, was sie wollen; wir haben es verdient.“
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Jede*r hyperfeminine Creator*in hat ihre eigene Marke, ihre eigene Ästhetik oder Elemente, die die Inhalte einzigartig machen. Aber die erfolgreichsten Girlies zeichnen sich durch eine unbestreitbare Wärme und Offenheit aus – das Je ne sais quoi des Girls, das man auf der Bar-Toilette trifft und das einem sagt, wie toll der Lipgloss aussieht; die Sweetness eines Mädchens, das dir nach einem Kompliment genau sagt, wo sie ihr Oberteil gekauft hat und wo man ein ähnliches findet.
„Ich liebe es, wie selbstbewusst die Girls auf TikTok sind“, sagt Moore. „Sie sprechen in die Kamera, als würden sie Geheimnisse verraten, als würden sie mit einem*einer alten Freund*in sprechen. [Sie] verbergen keine Geheimnisse und scheinen wirklich nicht im Geringsten daran interessiert zu sein, Männer zu beeindrucken. Sie tragen einen drei Jahre alten Lidschatten mit einem Pinsel auf, den sie auf dem Boden gefunden haben, und sie erzählen uns davon! Ich finde, Mädchen sind die lustigsten Menschen der Welt.“
DIE ZUKUNFT IST HYPERFEMININ
Bei allen Fraktionen des Feminismus und der Geschlechterpolitik, die auf Hyperfemininität herabsehen, ist ihr eigener liebenswertester Charakterzug vielleicht, dass sie auf niemanden herabsieht. Hyperfemininität behauptet nicht, tiefgründiger oder weiter entwickelt zu sein als andere Ideale, aber sie kapituliert auch nicht vor der Vorstellung, dass wir weniger wert sind, wenn wir uns stereotypen femininen Dingen wie Klatsch und Shopping hingeben. Die These lautet nicht: „Nur weil du rosa und glitzernde Dinge magst, bist du noch lange kein ,Dummchen‘.“ Sie lautet: „Wir sind stolz darauf.“
Die Vorstellung, dass wir unsere Macht aufgeben, wenn wir uns zur Weiblichkeit bekennen, ist ein Auswuchs zweier gleichermaßen toxischer gesellschaftlicher Trends: erstens die Vermarktung der Ästhetik in den 00er-Jahren, die Frauen zu Essstörungen und klinischem Selbsthass trieb, und zweitens die Gegenreaktion moderner Feminist*innen, die ihren Hass fälschlicherweise auf die Femininität selbst richteten und nicht auf die Popkultur-Maschine, die sie zu einer Waffe gegen das Selbstwertgefühl junger Frauen machte. Die heutige Hyperfemininität schätzt richtig ein, dass tief sitzende Miniröcke und rosa Pumps von Anfang an nicht der Feind waren. Die Verunglimpfung stereotyp weiblicher Dinge hat nie jemanden befreit – sie hat uns alle niedergemacht und ein Kastensystem geschaffen, das die Drecksarbeit des Patriarchats erledigte. Es hat die Lüge aufrechterhalten, dass weiblich zu sein gleichbedeutend mit schwach und fade ist. Und was könnte weniger feministisch sein als das?
Mehr als Crop Tops und Miniröcke
„Ich denke, dass dieser ,aktuelle Trend‘ der Hyperfemininität nicht nur ein Trend ist, sondern eine allgemeine Selbstakzeptanz„, sagt Chrissy Chlapecka. „Es geht nicht nur um Crop Tops und Miniröcke – die wunderbar sind und so viel Spaß machen – es geht um Selbstliebe und Integration und darum, uns selbst zu lieben. [Wir] wissen, dass wir uns gegenseitig den Rücken freihalten, anders als in den frühen 00er Jahren.“
Der vielleicht feministischste Aspekt dieser Version von Hyperfemininität ist die Tatsache, dass die Ästhetik in den Händen ihrer Kreateur*innen liegt. Sie wird nicht von den Führungskräften in Disney-Studios produziert, um sie an vorpubertäre Mädchen zu verkaufen; sie wird nicht von Model-Agenturen oder Casting-Direktor*innen an Frauen verkauft, um ihnen Diäten schmackhaft zu machen. Das ist Hyperfemininität von und für Mädchen. Sie ist ebenso kompromisslos banal wie radikal. Sie ist für Frauen, für Integration – und vor allem für Pink.
Text: Caroline Reilly // Titelbild via NYLON.com
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