Neue Stories für Afro-Latinx-Männer: „Pose”-Star Angel Curiel über die dritte Staffel, Vaterfiguren und Drehbücher, die er selbst schreiben muss
In „Pose” spielt Angel Curiel die Figur des „Lil Papi”. Im Interview verrät er mehr über der letzte Staffel der Serie und erzählt, warum seine eigene Vergangenheit zu Lil Papi passt. Außerdem geht’s darum, welche Klischees über Afro-Latinx-Männer wir widerlegen müssen – und welche Geschichten Angel dafür selbst schreibt.
Es wäre nicht übertrieben, die vorletzte Folge von „Pose” als eine der stärksten der Serie zu bezeichnen. Wie viele der beeindruckendsten Episoden der bahnbrechenden Serie dreht sich auch „Something Old, Something New” um einen weiteren Triumph von trans* Menschen. Dieses Mal geht es um eine teure, protzige Hochzeit zwischen einer trans* Frau, Angel (gespielt von Indya Moore), und ihrem in sie vernarrten Verlobten, Lil Papi, gespielt von Angel Curiel.
Achtung: Das folgende Interview enthält Spoiler für die dritte Staffel von „Pose”, die in Deutschland noch nicht zu sehen ist!
Mitwirken an Pose: Niemals selbstverständlich
Curiel, dem Schauspieler, der Lil Papi mit einer bestimmten und doch zarten Entschlossenheit verkörpert, ist die Bedeutung dieser Episode sicher nicht entgangen. Als einer der einzigen cis-hetero Männer in einem Cast, der seit langem für seine beispiellose trans* Repräsentation gelobt wird, spürte der 25-Jährige immer die Bedeutung hinter der Mission von Pose, sah seine Beteiligung an der Serie aber nie als selbstverständlich. Von Anfang an nutzte er die Show als Weg für seine persönliche Weiterbildung und betrachtete die einmalige Gelegenheit als eine Möglichkeit, Informationen über die komplizierte Geschichte der queeren und trans* Community zu lernen.
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Natürlich war es hilfreich, dass Curiel sich sofort in Lil Papi verliebte, eine Figur, deren raue Geschichte bei ihm Anklang fand. Aufgewachsen in Liberty City, Miami, wusste Curiel nicht nur, was es heißt, zu kämpfen, sondern auch, dass „Kampf” nicht immer gleichbedeutend mit Roughness, Aggression und Machismo sein muss. Sein Ziel war es, diese Figur zu nutzen, um die vorherrschende Mediendarstellung von afro-latinx Männern umzuschreiben. Bis heute hat er genau das durch aufbauende Geschichten darüber getan, wie man es aus der „Hood” schafft, beruflichen Erfolg hat, ein liebevoller Partner ist und zur Vaterfigur für einen Sohn wird, von dem man nicht einmal wusste, dass man ihn hat. Wenn er auf seinen Werdegang zurückblickt, kann Curiel nicht anders, als stolz auf seine bisherige Arbeit zu sein.
„Ich glaube, [Pose] war eines der wenigen Male, dass ich ein Drehbuch in die Hand genommen habe und das Gefühl hatte: ,Oh, ich werde nicht zum Token gemacht‘. Ich dachte: ,Wer auch immer das schreibt, versucht wirklich, mich bestmöglich darzustellen. Das ist etwas, das mir noch nie zuvor passiert ist. Ich war noch nicht einmal am Set und fühlte mich schon gesehen, ich fühlte mich schon gehört.”
Neue Narrative über Afro-Latinx-Männer: Angel Curiel im Interview mit NYLON
Am Sonntag lief in den USA die letzte Folge von „Pose”. In einem Zoom-Call erzählte Curiel hierzuvor, warum er dachte, dass er der Einzige sei, der Lil Papi spielen könnte. Er erzählt außerdem, wie es sich anfühlt, zum Cast einer Serie zu gehören, die die Erfahrungen von queeren People of Color in den Mittelpunkt stellt, wie das erste Treffen mit seinem Vater vor zwei Jahren seine Herangehensweise an die Rolle eines Vaters beeinflusst hat und zieht Parallelen zwischen seiner Beziehung zu Pose-Kreateurin Janet Mock im echten Leben und der zu Angel auf dem Bildschirm. Welcher Moment der Hochzeitsepisode die schwierigste Szene war, hat er uns auch noch verraten.
Was Curiel über seine eigene Geschichte, Männlichkeitsklischees und Beziehungen gelernt hat
Wann bist du zum ersten Mal mit Pose in Berührung gekommen und was hat dich zu Lil Papi hingezogen?
Lass uns tief eintauchen. Als ich das Vorsprechen bekam, die Seiten las und anfing, mich in die Arbeit zu vertiefen und versuchte herauszufinden, wer dieser Charakter ist und was er repräsentiert, las ich das Skript ganz instinktiv und sagte: ,Oh, Mann. Dieser Typ ist ich.‘ Ich glaube, es war eines der wenigen Male, dass ich ein Drehbuch in die Hand genommen habe und das Gefühl hatte: ,Oh, ich werde nicht zum Token gemacht‘. Ich dachte: ,Wer auch immer das schreibt, versucht wirklich, mich bestmöglich darzustellen. Das ist etwas, das mir noch nie zuvor passiert ist. Ich war noch nicht einmal am Set und fühlte mich schon gesehen, ich fühlte mich schon gehört. Also sagte ich: ,Dieser Typ bin ich und ich bin der Einzige, der das kann. Wenn jemand anderes das spielt, sieht man vielleicht nicht die Freude. Man sieht vielleicht nicht das Herz, das diese Rolle mit sich bringt. Zum Casting zu kommen und dieses Gefühl von Selbstvertrauen zu spüren, war ein „erstes Mal” für mich.
Papi kommt aus einem harten Umfeld. In der ersten Staffel spricht er darüber, dass er gerade mal 20 Jahre alt ist und nur die achte Klasse besucht hat, dass er in Pflegefamilien aufgewachsen ist und dass er Drogen verkaufen musste, um zu überleben. Wie hast du dich in diese Figur hineinversetzt, um ihr das richtige Maß an Fürsorge zu geben?
Das kam ganz natürlich. Ich bin in Liberty City aufgewachsen, einem Viertel in Miami, das mit der Bronx und Compton vergleichbar ist. Das führt zu meinem ersten Punkt zurück: Wenn jemand anderes diese Rolle gespielt hätte, hätte er vielleicht nicht diese Liebe, dieses Licht und diese Freude mitgebracht. Wenn man nicht wirklich aus einer „rauen Gegend” kommt – oder, sagen wir es offen, aus dem „Ghetto” – und versucht, sich diesem Charakter zu nähern, wird man ihn zu hart spielen, weil das die Vorstellung davon ist, wie sich Menschen in diesen Vierteln verhalten, richtig? Letzten Endes ahmen wir nur nach, was wir aus dem Fernsehen und aus Filmen aufgeschnappt und interpretiert haben.
Aber für mich, der ich in Liberty City aufwuchs, war der Eindruck: ,Oh ja, das bin ich. Das ist mein bester Freund zu Hause, der sich immer noch abrackert, um über die Runden zu kommen, während er seinen geregelten Job hat. Aber er kommt nicht um die Ecke und sagt: „Hier ist eine 9-Millimeter-Pistole. Lass mich dich ausrauben. Gib mir deine Kette!“ Er ist so ähnlich wie Papi. Er ist ein netter Kerl. Es ist nur so, dass er sein Geschäft [anders] handhaben muss, um sich selbst, seine Mutter und seine Schwester versorgen zu können. Ich habe all diese Dinge aus meiner Erziehung und aus den Beziehungen und Bindungen, die ich während meines Aufwachsens aufgebaut habe, genommen und sie in diesen Charakter gesteckt.
„Die Figur, die die Autor*innen entwickelt haben, war einfach ein wirklich guter Kerl mit einem Herz aus Gold. Er ist für seine Familie da. Wenn er dich liebt, liebt er dich und schreckt nicht davor zurück. Er ist verletzlich. Er sagt dir, was er fühlt.”
Pose ist in erster Linie eine Serie über queere People of Color. Wie war es für dich als heterosexueller Mann, in diese Welt zu kommen und zu versuchen, diese spezielle Geschichte zu erzählen?
Ich war nervös und ängstlich, weil ich damit aufgewachsen bin, nicht einmal wirklich zu verstehen, was es bedeutet, trans* zu sein – allein schon vom Vokabular her, geschweige denn von den Traumata und Komplikationen und Konflikten, die mit dem trans* Sein und damit, eine Schwarze trans* Frau zu sein, einhergehen. Also habe ich mir sofort gedacht: Oh, okay, da muss ich noch etwas lernen. Sonst kann ich dieser Figur nicht gerecht werden. Am Anfang sah ich mir „Paris Is Burning“ an. Dann fing ich an, mich mit meinen Schauspielkolleg*innen zu unterhalten, versuchte, sie kennenzulernen, ihre Geschichte, ihren Hintergrund und ihre Erfahrungen zu verstehen, damit ich das aufsaugen und mich besser informieren konnte.
„Ich bin mit dem Konzept aufgewachsen, dass für Männer – besonders Schwarze und Brown Männer – Wut oder Schweigen die einzigen Emotionen sind, die wir hervorrufen dürfen. Und wenn es weder das eine noch das andere ist, dann vergiss es – es existiert nicht.”
Verstehen lernen: Die Storyline von „Pose“
In der ersten Staffel hatte deine Figur noch keine Liebesbeziehung, aber in der zweiten Staffel rückt sie dank der romantischen Geschichte mit der Figur Angel in den Mittelpunkt. Wie hast du dich gefühlt, als du zum ersten Mal die Drehbücher bekamst und sahst, in welche Richtung deine Figur gehen würde?
Vor allem fühlte ich mich geehrt, dass die Autor*innen, Produzent*innen und Regisseur*innen alle an mich glaubten. Ich war aber auch nervös, weil ich mir dachte: ,Mann, kann ich das schaffen? Kann ich in diese Fußstapfen treten? Ich habe das Gefühl, dass sie immer größer werden. Die Figur, die die Autor*innen entwickelt haben, war einfach ein wirklich guter Kerl mit einem Herz aus Gold. Er ist für seine Familie da. Wenn er dich liebt, liebt er dich und schreckt nicht davor zurück. Er ist verletzlich. Er sagt dir, was er fühlt.
Ich bin mit dem Konzept aufgewachsen, dass für Männer – besonders Schwarze und Brown Männer – Wut oder Schweigen die einzigen Emotionen sind, die wir hervorrufen dürfen. Und wenn es weder das eine noch das andere ist, dann vergiss es – es existiert nicht. Hier war also diese Figur, die das komplette Gegenteil davon tat, und es war einfach ein Moment, in dem ich sagte: ,Okay, es gibt noch mehr persönliche Arbeit, die ich tun muss, um diese Figur wirklich zu erfassen, denn sieh mal, was für ein guter Mann er ist.‘
Anmerkung zum Wort „Brown”: Angel Curiel verwendet diesen Begriff im englischsprachigen Original-Interview. Im Englischen wird dieser Begriff unter anderem von und/oder für Menschen verwendet, die als nicht-weiß gelesen werden, sich aber selbst zum Beispiel auch nicht als Schwarz bezeichnen. Da im deutschsprachigen Raum verschiedene Begriffe für nicht-weiß gelesene Menschen existieren und die allgemeine Übersetzung von Brown mit „Braun” bisher nur vereinzelt verwendet wird, haben wir den Begriff hier als englisches Wort stehen lassen und als Selbstbezeichnung groß geschrieben. Eine Perspektive zum Thema findet ihr z.B. hier beim Deutschlandfunk.
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„In dieser Branche sind die Geschichten, die erzählt werden, sehr weiß, und es gibt sehr wenig Raum, wenn es um Schwarze oder Afro-Latinx-Geschichten geht. Aber hier ist Papi, der genau das macht, richtig? Das heißt, [diese Geschichten sind] möglich und hier ist eine Vorlage, wie man sie auf gesunde Weise erzählt.”
Zu dieser Zeit begann auch deine Beziehung mit Janet Mock, einer Autorin, Produzentin und Regisseurin der Serie. In Anbetracht des Lernprozesses, in dem du sich befandest, hast du da Elemente aus deiner eigenen Beziehung verwendet, um deine Darstellung zu verbessern?
Ja, einhundertprozentig. Meine Beziehung zu Janet war die größte Lernerfahrung. Ich habe das bisher immer sehr faktisch gesagt, aber vor Janet war ich noch nie mit einer trans* Frau zusammen. Die tiefen, aufschlussreichen Gespräche, die ich führen durfte, und ihre Bereitschaft und Fähigkeit, einfach das Wort zu ergreifen und zu sagen: ,Du kannst fragen. Lass uns reden. Bist du neugierig auf das hier? Worauf bist du neugierig?‘ – all diese Informationen, Einsichten und Kenntnisse haben es mir ermöglicht, [meine Erfahrungen] gut festzuhalten und dann etwas davon auf Papi zu streuen.
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Zu wenig Raum für nicht-weiße Geschichten: Bald eine Karriere als Drehbuchautor?
Diese Staffel beginnt damit, dass Papi nun voll und ganz in eine echte Karriere eingetaucht ist: Er ist ein Boss mit Leuten, die unter ihm arbeiten. Mit dem Wissen im Hinterkopf, dass du dich gut mit Papis Geschichte identifizieren kannst: Wie hat es sich für dich angefühlt, zu sehen, dass er am Ende tatsächlich etwas für sich selbst macht?
Es bedeutet mir sehr viel. Als ich aufgewachsen bin, hatte ich nicht wirklich die Möglichkeit, viel davon auf der Leinwand zu sehen. Selbst jetzt als Schauspieler, wenn ich vorspiele und nach anderen Projekten suche, [sehe ich das nicht]. In dieser Branche sind die Geschichten, die erzählt werden, sehr weiß, und es gibt sehr wenig Raum, wenn es um Schwarze oder Afro-Latinx-Geschichten geht. Aber hier ist Papi, der genau das macht, richtig? Das heißt, [diese Geschichten sind] möglich und hier ist eine Vorlage, wie man sie auf gesunde Weise erzählt. Also muss ich anfangen zu schreiben. Ich muss einen Stift in die Hand nehmen und sicherstellen, dass ich alles tue, was ich kann, um meine eigenen Projekte zu produzieren und die Karriere zu haben, nach der ich mich sehne – und das alles nur, weil Papi uns eine Art Vorlage dafür gezeigt hat, wie man es tun kann.
„Ich musste bei Papi und seinem Sohn also vieles von dem einbringen, was ich mir wünschte, dass mein Vater getan hätte, [als ich jünger war]. Emotional dachte ich immer wieder: Mann, du weißt doch, wie es sich anfühlt, sich tagein, tagaus nach deinem Vater zu sehnen und sich zu fragen, wo er ist und warum er dich an deinen Geburtstagen nicht anruft.”
Vereint mit dem Vater – auf dem Screen und im wahren Leben
Papi erfährt in dieser Staffel auch, dass er einen fünfjährigen Sohn hat, und seine unmittelbare Reaktion ist, ihn aufzuziehen. Es ist inspirierend zu sehen, wie ein Afro-Latinx-Mann wie Papi entschlossen ist, für sein Kind da zu sein, besonders für eines, von dem er nicht einmal wusste, dass es existiert. Es stellt dieses Klischee über Väter of Color in Frage, nämlich, dass sie meistens abwesend sind.
Ich habe das nicht auf die leichte Schulter genommen. Aus persönlicher Erfahrung habe ich meinen Vater erst vor zwei Jahren als erwachsener Mann kennengelernt. Ich bin mein ganzes Leben ohne ihn aufgewachsen. Zurück in die Dominikanische Republik zu gehen und ihn Angesicht zu Angesicht zu sehen und in der Lage zu sein, sich mit ihm auszutauschen…es gibt nicht genug Worte, um zu beschreiben, wie heilend das für mich war. Ich wünschte, jeder junge Mann, der ohne seinen Vater aufgewachsen ist, könnte das erleben. Ich musste bei Papi und seinem Sohn also vieles von dem einbringen, was ich mir wünschte, dass mein Vater getan hätte, [als ich jünger war]. Emotional dachte ich immer wieder: Mann, du weißt doch, wie es sich anfühlt, sich tagein, tagaus nach deinem Vater zu sehnen und sich zu fragen, wo er ist und warum er dich an deinen Geburtstagen nicht anruft.
Ich habe also meine persönlichen Erfahrungen mit meinem Vater eingebracht und wollte sicherstellen, dass es eine andere Erzählung gibt, die wir teilen können. Eine, die da lautet: ,Nein, Mann, Schwarze und Brown Väter sind auch für ihre Kinder da. Es gibt nicht nur dieses Stigma, dass sie weglaufen und die andere Wange hinhalten und dann sieht man sie nie wieder. In dieser Geschichte, und in meiner persönlichen, können wir sagen, dass das nicht ganz stimmt und dass wir anfangen müssen, dieses Stigma abzubauen.
In der allerersten Folge von „Pose” wirst du vorgestellt, indem Papi Blanca darum bittet, dem Haus of Evangelista beizutreten. Sie lässt ihn wissen, dass sie nicht wirklich viel zu bieten hat, und seine Antwort ist: ,Das ist perfekt für mich. Ihr seid noch nicht viel. Ich aber auch nicht.“ Wenn du zurückblickst, was ist das Inspirierendste an Lil Papis Werdegang?
Ich denke, das Inspirierendste ist, wie er die Familie aufbaute, nach der er sich sehnte. Er trat in dieser ersten Szene als Waisenkind auf … er machte sich angreifbar, indem er sagte: ,Yo, ich mag euch alle wirklich. Was immer ihr da drinnen gerade gemacht habt, ist aufregend für mich und ich will ein Teil davon sein. Ich möchte ein Teil eures Hauses sein, in welcher Funktion auch immer ihr mir das erlaubt, denn ich sehne mich und suche nach Familie, nach Verbindung.‘ Zu sehen, wie das der Auftakt ist, mit dem wir Papi zum ersten Mal treffen, und dann im Schnelldurchlauf zu sehen, wo er jetzt ist, wo er seine Familie aufgebaut hat und versucht, ein guter Mann zu sein und für sie da zu sein, war einfach unglaublich.
Spoiler für die dritte Staffel „Pose”: Das wird Lil Papis großer Auftritt
Erinnerst du dich an eine Szene, die besonders schwierig zu drehen war?
Die schwierigste Szene, die ich drehen musste, war definitiv in [Staffel 3, Folge] sechs. Es ist die Hochzeitsszene, in der Papi singt. So etwas hatte ich vorher noch nie gemacht. Die Tatsache, dass ich vor meinen Mitspieler*innen, der Crew, den Autor*innen und den Produzent*innen singen musste, hat mir Angst gemacht. Es war dieses Gefühl von: ,Mann, kann ich das machen? Werden die Leute denken, dass ich schlecht bin? Werde ich mich blamieren? All diese Gedanken schossen mir durch den Kopf. Sie besorgten mir ein Training und bereiteten mich so gut wie möglich vor, aber ich hatte schreckliche Angst. Und als es dann soweit war, öffnete ich meinen Mund und fühlte mich so nackt. Aber gleichzeitig war es das Beste, was ich je erlebt hatte, denn es zwang mich aus meinem Verstand heraus und in meinen Körper hinein. Nur so war ich in der Lage, diese Leistung zu erbringen.
„Ich habe diesen Traum von einem jungen Mann, der auf seiner Couch sitzt, durch die Kanäle zappt und nach etwas sucht, das er sich ansehen kann, und dabei auf Pose stößt, Papi sieht und damit ein Spiegelbild von sich selbst. ”
Aber das, was dem Ganzen für mich wirklich die Krone aufsetzt, [war der Moment, als ich mir die Szene dann ansah]. Als ich meinen Vater kennenlernte, erklärte er mir, dass meine Großeltern selbst Künstler*innen waren. Meine Großmutter war in den 1950er-Jahren Sängerin und Tänzerin in der Dominikanischen Republik und mein Großvater war Opernsänger und Schauspieler. Als ich also diese Szene sah, musste ich sie anhalten, denn es war das erste Mal, dass ich nicht mich oder Papi sah – ich sah meinen Großvater, der sich in mir spiegelte. Das war wie ein großer „Wow”-Moment, weil ich in diesem Moment erkannte, dass ich die wildesten Träume meiner Vorfahren verkörpere. Ich [mache] etwas, das sie ihr ganzes Leben lang verfolgt haben, etwas, mit dem sie ihren Lebensunterhalt verdient haben. Und ohne dass sie mich als Erwachsene auch nur ansatzweise getroffen hätten, tue ich es jetzt. Da schloss sich der Kreis für mich.
Jetzt, wo sich „Pose” dem Ende zuneigt, was hoffst du, dass die Zuschauer sowohl von der Serie im Allgemeinen als auch von deiner Figur im Speziellen mitnehmen?
Ich habe diesen Traum von einem jungen Mann, der auf seiner Couch sitzt, durch die Kanäle zappt und nach etwas sucht, das er sich ansehen kann, und dabei auf Pose stößt, Papi sieht und damit ein Spiegelbild von sich selbst. Während er zuschaut, wird er aufmerksam und sagt: ,Ah, wer ist dieser Junge? Er erinnert mich ein bisschen an mich selbst.‘ Oder: ,Er erinnert mich an Rico, da drüben, den Block runter.‘ Und während er zuschaut, bemerkt er Papis Beziehung zu Angel und sagt: ,Oh, er mag sie? Aber sie ist trans*! Oh, es ist ihm völlig egal? Es ist dir egal, was die Leute denken, Bruder? Nun, okay. Ich liebe meine*n Shorty auch. Ich habe es verstanden.‘
Derjenige, der da saß und Angel und Papis Liebesszenen sah, lernt dadurch die Traumata Schwarzer und Brown trans* Frauen kennen, hoffe ich. Dann kann er diese Informationen aufgreifen und sie seinen Freunden mitteilen, sodass er jedes Mal, wenn irgendeine Toxizität auftaucht, sagen kann: ,Nein, nein. Halt dich zurück. Lass mich dir das erklären. Lass mich dir zeigen, dass es einen anderen Weg gibt.‘ Denn, wenn wir mal ehrlich sind, jedes Mal, wenn trans* Frauen Gewalt angetan wird, jedes Mal, wenn sie ermordet werden, geschieht das durch die Hand von Männern, die sich zu sehr schämen zu sagen, dass sie zu ihnen gehören. Wenn wir diese jungen Männer dazu bringen können, dass sie erkennen, dass es keine Scham gibt, dass die, die man liebt, die ist, die man liebt, und dass alles in Ordnung ist, dann denke ich, wäre das eine Freude.
Interview: Michael Cuby // Fotos: Juan Veloz via NYLON.com
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