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Nach der ersten Staffel: Warum sind Serien-Fans besessen „Yellowjackets”?

Highschool-Fußballerinnen der 90er werden zu Horror-Figuren der Gegenwart: Die Thriller-Serie „Yellowjackets” fesselt seit Ende letzten Jahres Serien-Fans. In den USA ist die erste Staffel gerade beendet und auch in Deutschland bei Sky verfügbar. Was aber macht den Hype der Serie aus? Ein Einblick.

Seit ihrer US-Premiere im November letzten Jahres hat sich „Yellowjackets”  von „der Serie, die ein paar Kritiker*innen auf Twitter abfeiern“ zu einer echten Mundpropaganda-Sensation entwickelt, die ihr Publikum mit jeder neuen Folge stetig vergrößert. (Der Entertainment-Chef des US-Mutter-Senders Showtime bezeichnete die Serie als „heißen Kanonenschuss“ und stellte fest, dass die Zahl der Zuschauer*innen im Streaming „jede Woche im um einen zweistelligen Prozentsatz zugenommen hat“). Nach einem Jahr, in dem zwei der viralsten TV-Hits vom US-Sender HBO ausgestrahlt wurden – der hawaiianische Sommerhit „White Lotus“ und die Dark Comedy „Succession“ ist es erfrischend zu sehen, dass mal eines neuen Team einen Teil des Serienmarkts übernimmt. Aber wie wird eine Serie, in der menschliche Gesichter von hungrigen Wölfen zerfetzt werden, erschöpfte Senatorenkandidatinnen mitten in der Nacht Dreck essen und in der es um eine Form von Kannibalismus geht zu einem solchen Hit?

Triggerwarnung: In den folgenden Abschnitten werden Kannibalismus, also das Essen von Menschen, und starke Gewallttaten thematisiert. Außerdem gibt es milde Spoiler für die erste Staffel von „Yellowjackets“. Die Serie ist ab 16 Jahren freigegeben.

Highschool-Fußballteam strandet im Nirgendwo: Darum geht’s in „Yellowjackets”

„Yellowjackets” wurde vom Ehepaar Ashley Lyle und Bart Nickerson geschaffen und erzählt eine Geschichte auf zwei Zeitebenen. Soll heißen: In der ersten Zeitspanne, die im Jahr 1996 spielt, geht es um die Namensgeberinnen der Serie: eine talentierte Highschool-Fußballmannschaft aus New Jersey namens Yellowjackets, die auf dem Weg zu ihrem nationalen Turnier mit einem Privatflugzeug abstürzt und in der Wildnis Kanadas landet. Innerhalb der nächsten 19 Monate müssen die Girls ums Überleben kämpfen, bevor sie schließlich gerettet werden. Die zweite Zeitspanne spielt 25 Jahre später in der Gegenwart. Hier begleiten wir vier der überlebenden Frauen bei ihren unglücklichen Versuchen, sich an das Leben in der zivilisierten Welt anzupassen. Die geteilte Zeitspanne ist dabei ein idealer Rahmen, der es ermöglicht, sich ständig verändernde Dynamiken der Freundinnenschaft und die anschwellende Last von Trauma und Trauer zu erforschen. Vor allem dann, wenn Menschen nie ehrlich darüber sprechen können.

Für ihre Besetzung, den Soundtrack und düsteren Humor wird die Serie gefeiert

Es gibt viel, was man an der Serie bewundern kann, zum Beispiel ihren verdrehten Sinn für Humor (perfekt dargestellt in einer frühen Szene, in der eine erwachsene Yellowjacket erst zu Bildern des jugendlichen Boyfriends ihrer Tochter masturbiert, dann als nächste unbefangen die Flecken aus den schmutzigen Boxershorts ihres Mannes auswäscht). Dann wäre da aber noch der brillant kuratierte Soundtrack, der von damals zeitgemäßen Hits wie Mazzy Stars‘ „Fade Into You” und Portisheads „Glory Box“ bis hin zur bekannten Ouvertüre aus „Phantom der Oper” reicht. Vor allem aber die Besetzung ist ein Wunderwerk. Die Serie hat uns nicht nur mit faszinierend unvorhersehbaren Rollen für beliebte Schauspielerinnen wie Christina Ricci, Juliette Lewis und Melanie Lynskey gesegnet, sondern auch unheimlich perfekte Fits für ihre jugendlichen Gegenstücke gefunden. Sophie Thatcher, die die junge Version von Natalie spielt, schafft es irgendwie, die Stimme von Juliette Lewis nachzuahmen (Lewis spielt die ältere Natalie), während Sophie Nélisse (Shauna) in einem anderen Projekt problemlos Melanie Lynskeys (ältere Shauna) Tochter hätte spielen können. Gleiches gilt für Jasmin Savoy Brown und Tawny Cypress, die die jeweils junge und ältere Politikerin Taissa spielen. Es ist schon fast beunruhigend, wie viel Leistung beide Schauspielerinnen aus einem einfachen Blick herausholen können.

 

 

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Was ist in den 19 Monaten in der Wildnis passiert?

Die erste Folge unter der Regie von Kultautorin Karyn Kusama verdient die volle Anerkennung dafür, dass sie die Story in Bewegung setzt. Die Folge fängt etwas von der weiblichen Bedrohung ein, die Kusamas Film „Jennifer’s Body” mit Megan Fox zu einem so unterschätzten feministischen Klassiker gemacht hat. Die kurzen Schreckensmomente der ersten Folge – ein unbekanntes Mädchen rennt durch einen verschneiten Wald, bis es in eine Falle gerät und sich an einer Reihe von Pfählen aufspießt; ihre Leiche wird danach ausgenommen – reichen aus, um das Interesse der Zuschauer*innen am zentralen Rätsel der Serie (wie konnten diese Mädchen so lange überleben?) aufrechtzuerhalten. Beeindruckend ist, dass dies auch dann gelang, wenn bestimmte vorausgesagte Elemente der Geschichte eigentlich ignoriert wurden. (Konkrete Details über die vollständige Entwicklung der Girls hin zur Barbarei und Kannibalismus wurden bisher nur angedeutet, meist von anderen Figuren als den Yellowjackets selbst).

Vielleicht war dieses Geheimnis aber auch nie Sinn der Geschichte. Mit nur noch zwei verbleibenden Folgen der ersten Staffel (in den USA ist diese bereits beendet) finden sich immer mehr Zuschauer*innen mit der Möglichkeit ab, dass das Finale einige der spannendsten Fragen unbeantwortet lassen könnte. Die frühzeitige Bestätigung einer zweiten Staffel und die Info, dass Lyle und Nickerson die Serie schon immer auf fünf Staffeln angelegt hatten, helfen nicht gerade dabei, diese Bedenken zu zerstreuen. Und dennoch ist die Serie jeden Dienstag der Höhepunkt meiner Woche.

 

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Komplexe Darstellung von Kämpfen ums Überleben

Was Zuschauer*innnen möglicherweise in den Bann zieht, ist vielmehr ein echtes Interesse an diesen Figuren. Genauer gesagt, an diesen Frauen, die sich auf eine Art und Weise verhalten, die traditionelle Vorstellungen von Weiblichkeit verkompliziert und infrage stellt. Schließlich begann „Yellowjackets” mit den Frauen – nicht mit einem Mysterium. 2017 kündigte Warner Bros. Pläne an, eine rein weibliche Version der Geschichte „Herr der Fliegen” zu entwickeln, was sofort eine Welle von Anti-Reaktionen im Internet auslöste. Viele sträubten sich gegen den Vorschlag und behaupteten, dass William Goldings Geschichte über die Tyrannei von Teenagern aus dem Jahr 1954 niemals mit einer Gruppe von Frauen funktionieren würde. Frauen seien weniger geneigt, sich auf solche Eskapaden einzulassen, hieß es. Für Lyle und Nickerson war die Annahme, dass die Fähigkeit zur Wildheit von Natur aus genderspezifisch ist, jedoch absolut unbegründet. Tatsächlich könnte es hier sogar noch viel drastischer werden (daher der Kannibalismus). Aus diesen Gedanken schufen die beiden „Yellowjackets”.

 

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All das wird aber nicht der einzige Grund für die Existenz der Serie sein. Die Tragödie des Flugs Uruguay Air Force 571 aus dem Jahr 1972 dürfte ebenfalls als Inspiration gedient haben. Trotzdem ist das grundlegende Interesse an der Erkundung einer anderen Seite von Frausein ein wesentlicher Faktor für den Sucht-Reiz von „Yellowjackets”. Die Frauen in Yellowjackets sind erfrischend hinterhältig und herrlich unberechenbar. Sie begehen Ehebruch im eigenen Haus und erpressen ihre frechen Kinder, bis sie schweigen. Sie „leihen” sich Waffen von den Offizieren, mit denen sie gelegentlich schlafen, und schnupfen hektisch verschüttetes Kokain von den schmutzigen Teppichböden billiger Motels. Wer nicht aufpasst, den*die betäuben sie vielleicht sogar mit gestohlenen Medikamenten vom Arbeitsplatz, bevor sie dich in ihrem Keller fesseln und als Geisel halten. Woche für Woche überraschen die Frauen von „Yellowjackets” immer wieder aufs Neue. Ich fühle mich fast gezwungen, einzuschalten und zu sehen, was diese Verbrecherinnen als Nächstes tun.

 

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Über die Geheimnisse, die noch kommen

Natürlich ist das Geheimnisvolle immer noch ein wichtiger Teil des Reizes der Serie. „Yellowjackets” ist (ähnlich wie „Succession” im letzten Jahr) eine der wenigen Serien, die ich nicht im Voraus als Pressevorschau sehen will. Mit meinen Freund*innen darüber zu diskutieren, ob der charmante, aber eindeutig betrügerische Adam (gespielt von Peter Gadiot) tatsächlich der Erpresser ist, der allen erwachsenen Yellowjackets das Leben zur Hölle macht, oder ob er vielleicht sogar das „Wildnis-Baby” ist, das zurückkehrt, um sich eine ödipusähnliche sexuelle Fantasie zu erfüllen, war für das Gesamterlebnis genauso wichtig wie das Ansehen der Episoden selbst. Die wahre Bedeutung werde ich vielleicht erst in der dritten Staffel erfahren. Und trotzdem bin ich doch sehr an der Geschichte hinter dem seltsamen Symbol interessiert, das in den Wäldern gesehen wurde und später am Ort von Travis‘ (gespielt von Kevin Alves) vermeintlichem „Suizid” auftaucht. Travis ist übrigens einer der einzigen Männer, die mit der Fußballmannschaft gestrandet sind. Noch mehr Fragen: Wie stirbt Jackie (Ella Purnell)? Ist sie überhaupt tot? Und lasst mich gar nicht erst mit der Debatte anfangen, ob Lottie tatsächlich hellsehen kann oder nur unter dem Entzug ihrer Medikamente leidet. Und, ach ja, wann werden wir herausfinden, wer gefressen wird? Nächste Woche? In der Woche danach? Vielleicht im Finale der fünften Staffel? Ich weiß nur, dass wir in jedem Fall weiterschauen werden.

„Yellowjackets” ist auf Sky Ticket verfügbar.

Text: Michael Cuby. Es wurden Änderungen vorgenommen. // Titelbild via NYLON.com

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