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„Ich werde nicht einmal nervös” – Warum sich Rap-Superstar Latto nicht mehr einschüchtern lässt

Mit dem viralen Hit „Big Energy” wurde aus der 23-jährigen Rapperin Latto über Nacht ein Superstar, der heute Lizzo auf Tour supportet. Hier blickt sie zurück auf ihren Aufstieg und gibt uns ein Update über ihren Status Quo – von Konflikten hin zu kompromisslosem Selbstbewusstsein.

Latto ist spät dran. Eigentlich sollte die Rapperin schon vor einer halben Stunde auf der Bühne stehen, aber sie ist gerade erst mit Haaren und Make-up fertig und betritt leise den Backstage-Bereich der Konzertlocation „Warsaw” in Brooklyn, New York. Obwohl es fast 22 Uhr ist und das Licht dunkel, verbirgt Latto ihre Augen hinter einer schmalen schwarzen Sonnenbrille. In Kombination mit ihrem schwarzen Body aus Mesh und Samt, den langen schwarzen Haaren und den mit Kristallen besetzten Nägeln sieht sie aus, als nähme sie an einem luxuriösen Motorradrennen teil. Ihr Team scheint das auch so zu sehen. Die Bühne kann noch einen Moment warten – es ist Zeit für ein paar Fotos.

Von Atlanta durch die Staaten der USA

Draußen, unter einer einzigen Neonröhre, posiert Latto professionell, während ein Team von drei Fotograf*innen (und ich) eilig bei jeder ihrer Bewegungen ein Foto schießt. Es gibt einen guten Grund für diese eifrige Dokumentation: Das Konzert am 15. April, das ihr im März erschienenen zweiten Albums „777” promotet, ist Teil ihrer allerersten Tour als Headlinerin. Nach fast sechs Jahren in der Branche ist das eine große Sache für die 23-Jährige aus Atlanta. Und es liegt wohl noch ein größerer Moment – und eine größere Bühne – vor ihr. Im September wird Latto zwei Monate lang als Vorband von Lizzo auf ihrer Stadiontour in Nordamerika unterwegs sein. Das bedeutet größere Bühnen, größere Menschenmengen und noch mehr Menschen, die Lattos Namen kennen.

„Gerade bin ich einfach nur dankbar dafür, hier zu sein, sodass mich nichts mehr wirklich einschüchtert. Ich werde nicht einmal nervös. Ich denke einfach: ,Ich werde alles geben.”

„Ich habe jeden Tag trainiert, um wieder in Form zu kommen und mich auf die Bühne vorzubereiten, denn mit den Stadien ist nicht zu spaßen“, sagt sie während eines Telefonats im Mai über die Tour, ein paar Wochen nach ihrer Show in New York und dem Ende ihrer eigenen Tour. „Gerade bin ich einfach nur dankbar dafür, hier zu sein, sodass mich nichts mehr wirklich einschüchtert. Ich werde nicht einmal nervös. Ich denke einfach: ,Ich werde alles geben.'“

Auch wenn Lattos Name für einige noch neu sein mag, so ist er doch bereits mit großem Kontext verbunden. In den letzten 10 Monaten hat die Rapperin mit ihrer fulminanten Single „Big Energy” aus dem Album „777“ den Sprung in den Mainstream geschafft. In Brooklyn schwappt der süchtig machende, süße Beat des Songs – darin findet sich ein Sample von Mariah Careys „Fantasy“, das wiederum „Genius Of Love“ von Tom Tom Club samplet – aus Supermärkten, Bodegas und durch vorbeifahrende Autofenster. In den Charts hielt sich „Big Energy“ 35 Wochen lang in den „Billboard Hot 100“-Charts und erreichte Platz 3. Und um Lattos Aufstieg mal in Proportion zu setzen: Im September letzten Jahres, als Latto „Big Energy” erstmals bei den MTV Video Music Awards präsentierte, performte sie den Song noch zwischen den Werbepausen für weniger als zwei Minuten auf einer Nebenbühne. Bei den BET Music Awards 2022 erhielt sie dann gleich vier Preise, brachte sogar Mariah Carey mit auf die Bühne, und nahm später am Abend den Preis als „Best New Artist” mit nach Hause.

Die Auswirkungen ihres Aufstiegs nimmt die Rapperin mit Humor. „Ich habe mich gerade in diesem neuen Fitnessstudio in einem anderen Bundesstaat angemeldet und hielt alles sehr low-key, whatever. Und während ich in diesem Kurs bin, spielen sie auf einmal ,Big Energy‘ auf der kleinen Workout-Playlist. [Die Leute] wissen nicht einmal, dass ich direkt neben ihnen trainiere“, sagt Latto.

Neuer Stagename – Wie Latto zu ihrem eigenen Wort steht

Im Mai 2021 kündigte Latto – als hätte sie die kommenden aufsteigenden Monate vorausgesehen – eine Namensänderung von ihrem umstrittenen früheren Künstlerinnennamen zu Latto an. In einem begleitenden Song zu diesem Statement sagte sie, dass der vorherige Name – der als rassistische Beleidigung kritisiert  wurde – „dem widerspricht, wofür ich stehe/ The backlash ain’t what I planned for“, und bezeichnete den Moment als den Beginn eines neuen Kapitels.

„Bevor ich Künstlerin wurde, seit ich acht und dann 16 Jahre alt und im Rap-Game war, hatte ich immer Leute, die ein Mitspracherecht bei meiner Karriere hatten, oder wie ich mich kleide oder wie ich rappe“, sagt Latto über ihre vergangene Ära. „Jetzt bin ich einfach ich selbst, breite meine Flügel aus, treibe mich selbst an und schaue, wie weit ich es wirklich bringen kann. Das neue Kapitel ist wirklich ein Spiegelbild meines Erwachsenwerdens als Frau und als Künstlerin.

Unter ihrem alten Künstlerinnenamen hatte Latto, die mit bürgerlichem Namen Alyssa Michelle Stephens heißt, bereits eine Reihe von Breakthroughs erlebt. Nachdem sie 2016 im Alter von 16 Jahren in der Lifetime-Reality-TV-Show „The Rap Game” aufgetaucht war, landete sie 2019 ihren ersten Hit mit „Bitch From Da Souf”, einem minimalistisch produzierten Hard-Rap-Track, der ihre Heimatstadt besang und ihren gedehnten Flow zum Star machte. „I’m a real ass, rich ass, bitch from da south“, rappte sie. Einen weiteren, kleineren Moment erlebte sie 2020 mit ihrem Song „Muwop“, einem hitzigen Rap-Track zusammen mit Gucci Mane, der den Weg für ihren Überraschungsauftritt in Cardi Bs und Megan Thee Stallions Musikvideo zu „WAP” im selben Jahr ebnete.

Balance, Baby: Lattos Rap-Flow trifft jetzt auf Pop-Samples

Treue Fans werden bemerken, dass die Songs auf ihrem neuen Album viel poppiger sind: Lieder wie „Big Energy“ und „Sunshine“, die auf einer Sing-Song-Melodie aufbauen. Der Sound-Wandel, so sagt Latto, war beabsichtigt und ein Ergebnis des Erfolgs, den „Big Energy“ anfangs hatte.

„Auf jeden Song, mit dem ich etwas Neues ausprobiere, lasse ich etwas aus meinem Innersten und meinem Sound folgen, der mich dahin gebracht hat, wo ich jetzt bin.“

„Als ich [,Big Energy‘] zum ersten Mal aufnahm, wusste ich, dass es [ein größeres Ding] war. Ich wusste, dass der Song kommerzieller ist und dass er mir mehr Türen öffnen würde“, sagt sie heute. „Der Erfolg hat mich dazu gebracht, mehr verschiedene Sounds auszuprobieren und Beats auszuwählen, mit denen ich normalerweise nicht arbeiten würde, und über Dinge zu schreiben, über die ich normalerweise nicht schreiben würde, und vielleicht auch [dann] zu singen, wenn ich nervös war, zu singen.“

Latto betont jedoch, dass die Erweiterung ihres Sounds nicht bedeutet, dass sie sich von ihren Südstaaten-Rap-Wurzeln abwendet. „Auf jeden Song, mit dem ich etwas Neues ausprobiere, lasse ich etwas aus meinem Innersten und meinem Sound folgen, der mich dahin gebracht hat, wo ich jetzt bin“, sagt sie. „Dieser Südstaaten-Trap-Beat, auf dem ich einfach nur flowe, wird nie verschwinden.“ Auf „777″ ist dieses [Herz] in Tracks wie „777 Pt. 1″, „777 Pt. 2″ und dem Fan-Favorit „Soufside“ zu hören, ihrem aktualisierten Nachtrag zu „Bitch From Da Souf“, das vor mehr Attitude und lyrischer Finesse nur so platzt.

Feature-Drama: Wenn nur eine professionell bleibt

Die vielleicht größte Veränderung für Latto in ihrer neu gestärkten Position ist die erhöhte Aufmerksamkeit, die ihr auf Schritt und Tritt folgt. Als mittlerweile hochkarätige Rapperin, die sich immer noch in einem von [cis] Männern dominierten Genre bewegt – sowohl in Bezug auf ihre Kolleg*innen als auch auf die Musikkonsument*innen – hat sie diese Kontrolle Anfang des Jahres am eigenen Leib erfahren. In einem Radiointerview verriet sie, dass ein ungenannter männlicher Künstler es ihr schwer gemacht hätte, sein Feature auf ihrem Album freizugeben. [Der Grund:] Sie hatte nicht auf seine DM auf Instagram geantwortet. „Es war schwierig, mit diesen Männern umzugehen. Sie wissen nicht, wie man etwas geschäftlich hält“, sagte sie damals in der Radioshow „Big Boy’s Neighborhood”.

„Vielleicht kann ich der nächsten Rapperin, die zu mir aufschaut, sagen: ‚Hey, es ist nicht immer fair in diesem Spiel.’”

Auf der Suche nach Clout?

Das Interview entwickelte sich zu einem wichtigen Diskussionspunkt im Internet, als Medien über die Geschichte berichteten, und Fans zu spekulieren begannen, wer der männliche Künstler sein könnte. Es wurde mit dem Finger auf den Rapper Kodak Black aus Florida gezeigt, der daraufhin auf Twitter ein Statement abgab, in dem er jegliche Beteiligung bestritt. Andere warfen Latto vor, sie sei nur auf der Suche nach Clout. Ein paar Tage später bedauerte Latto bei einem Auftritt im „Breakfast Club”, überhaupt etwas gesagt zu haben. Sie sagte, sie habe nicht versucht, „daraus ein großes Ding zu machen“.

„Wenn man eine Rapperin auf Festivals oder in diesen Playlists sieht (…) oder (….) in den Top 10 [der Billboard-Charts] (…), dann sollte man wissen, dass es für sie hinter verschlossenen Türen eine Menge Scheiß brauchte, von dem ihr alle nichts wisst, um in dieselbe Position wie ihre männlichen Kollegen zu kommen.”

Über „strategische” Schritte in einem unfairen Spiel

Wenn sie Monate später nun über die Situation nachdenkt, steht Latto jedoch zu ihrer Entscheidung, sich zu äußern. „Die Situation, über die ich mich entschied, etwas zu sagen, wurde zu einem Moment verdreht, in dem jemand Clout jagt und Aufmerksamkeit will. Ich habe sogar Kommentare darüber gesehen, dass es ein strategischer Schritt gewesen sei. Aber ich habe nur das Interview gegeben und sie fragten nach dem Prozess der Aufnahme des Albums bis jetzt und das war eben etwas, was mich beschäftigt hat – und darüber habe ich mich geäußert. Ich wollte keinen Namen damit in Verbindung bringen, denn meine Absicht war es nicht, dass irgendjemand gecancelt wird“, sagt sie. „Ich habe einfach nur über meine Erfahrungen gesprochen und den Leuten einen kleinen Einblick gegeben, wie es so läuft. Vielleicht kann ich der nächsten Rapperin, die zu mir aufschaut, sagen: ‚Hey, es ist nicht immer fair in diesem Spiel.’”

Für Latto war der Vorfall ein weiterer Beweis dafür, dass es für Rapperinnen in der Branche noch ein weiter Weg ist. „Wenn man eine Rapperin auf Festivals oder in diesen Playlists sieht, diesen Apple Music- oder Spotify-Playlists, oder wenn man sie in den Top 10 [der Billboard-Charts] sieht, dann sollte man wissen, dass es für sie hinter verschlossenen Türen eine Menge Scheiß brauchte, von dem ihr alle nichts wisst, um in dieselbe Position wie ihre männlichen Kollegen zu kommen“, sagt sie.

Foto: Leon Bennett/Getty Images Entertainment/Getty Images via NYLON.com

Für die Zukunft sagt Latto voraus, sie werde „vorsichtig“ mit dem umgehen, was sie sagt. Sich selbst zensieren aber wird sie nicht. „Ich war noch nie der Typ Mensch, der Gefühle für die Welt unterdrückt hat“, sagt sie. „Ich weiß, was ich gemeint habe und was meine Absichten waren, aber ich denke, ich muss mir einfach bewusster darüber sein, wie ich es sage, damit [die Leute] es nicht verdrehen können.“

„Denkt man an Latto, assoziiert man sie mit Atlanta.“

Letzten Endes sind es diese Grundüberzeugungen und Säulen ihrer Identität, die Latto dorthin gebracht haben, wo sie jetzt ist.  Sie ist entschlossen, diese nicht zu gefährden. Latto repräsentiert ihre Heimatstadt Atlanta nach wie vor mit Nachdruck und sieht sich selbst als zukünftiges Gesicht der Stadt. „Denkt man an Latto, assoziiert man sie mit Atlanta“, sagt sie hoffnungsvoll.

Im Kern ist sie dieselbe

Auf der Hälfte ihrer New Yorker Show im Club „Warsaw” – gerade hat sie mit der Crowd noch Witze gerissen – gibt Latto ihren OG-Fans ein Shoutout, bevor sie „Bitch From Da Souf“ anstimmt, was den Raum komplett zum Beben bringt. Blunts werden angezündet, und alle schreien die Worte mit. Latto ist auf der Bühne umgeben von lebensgroßen Stapeln von Pokerchips (eine Anspielung auf das naheliegende, ähnlich klingende Wort „Lotto“) und einem Team von Back-up-Tänzer*innen. Es ist ein verblüffender Kontrast, der zeigt, wo sie schon war und wohin ihre Reise geht. Sicher, Latto mag heute ein größerer Star und besser sein, aber im Kern ist sie immer noch dieselbe.

„Ich glaube, mein Aufstieg war sehr echt und authentisch“, sagt sie. „Die Leute [haben] mich vor ihren Augen aufwachsen sehen, entweder seit ,The Rap Game‘ oder ,Bitch From Da Souf‘. Wo auch immer sie mich zum ersten Mal entdecken, sie können in der Zeit zurückgehen und nachforschen und sehen: ,Oh, sie hat wirklich hart gearbeitet, um dort zu sein, wo sie jetzt ist. Sie macht keine krummen Sachen. Sie ist keine Industry Plant.'“

Text & Fotos: Steffanee Wang via NYLON.com

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