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Digital Cover: Designer-Ikone Gareth Pugh über das Upcycling von Clubwear und den Status Quo der britischen Mode

Endlich können wir den gefeierten Star hinter der „ReFashioned”-Kollektion von glo enthüllen: It’s Gareth Pugh! In unserer Digital Cover Story treffen wir die britische Design-Ikone zum großen Talk über seine persönliche Mode- und Clubgeschichte, zukunftsweisende Accessoire-Unikate und ein Zeitalter, in dem Ideen über Privilegien siegen.

Alles fängt mit einem verpixelten Video an. Sucht man nach dem Debüt von Gareth Pugh, stößt man online auf den 7-minütigen Clip seiner ersten Fashion Show. Es ist Frühjahr 2006 und fernab von Vertical Video oder HD zeigen die pixeligen Szenen einen Laufsteg zwischen Club und Underground-Varieté. Models in Lacklooks und düsteren Harlequin-Kostümen schreiten in Dr. Martens voran, dazu Techno-Remixe von Dance Punk, Trip Hop und Alternative Rock. Es ist eine Mischung von Gegensätzen, die Gareth Pugh als eines der „Enfants terrible” der britischen Modeszene klassifizieren soll – jedenfalls beschreiben ihn so Journalist*innen auch Jahre später, da feiert Pugh sein zweites Debüt bei der Pariser Fashion Week.

Gareth Pugh ist die Design-Ikone hinter „ReFashioned”

Als der Designer sich zu unserem Interview über die Zusammenarbeit mit der Heater-Brand glo zuschaltet, nennt er sich selbst aber einen „Outsider mit Nähe zu Insidern”. Welcher Begriff auch passt, 14 Jahre nach seinem Debüt arbeitet Gareth Pugh mit Prominenten von Lady Gaga bis Beyoncé zusammen und stattet Kulturinstitutionen wie das New Yorker City Ballet oder der Pariser Opéra Garnier aus. Er ist zu einem der gefeiertsten unabhängigen Designer der britischen Modeszene geworden, seine Ziele aber bleiben rebellisch. So auch in einem weiteren Video, mit dem Pugh seine Karriere in diesem Jahr fortsetzt. Im Frühjahr 2020 kehrt er mit „The Reconstruction” zurück, einem mit weltpolitischen Themen aufgeladenen Modefilm, der auf der Londoner Fashion Week Premiere feiert und sozialen Umbruch in 13 Looks neu denken soll.

Neue Interpretationen lässt Gareth Pugh aber auch mit seinem allerneusten Projekt zu: Heute können wir den Designer als ikonischen Partner für glo enthüllen. Zusammen haben sie die nachhaltige Accessoire-Kollektion „ReFashioned” auf die Beine gestellt, in der sich Clubwear und Upcycling für einen guten Zweck vereinen. Sie beinhaltet limitierte Design-Unikate von Statement Couture Taschen bis hin zum maßgefertigten Pouches für das glo Hyper Device. Alle Einzelstücke wurden aus recycelter Clubwear und Materialien aus Pughs Studio hergestellt, wie zum Beispiel Vintage Leder. In einer exklusiven Webauktion wird die Kollektion ab dem 09.12. versteigert – und hieraus ergibt sich auch der gute Zweck: Die Einnahmen werden an das nachhaltige Modeprojekt „Love Your Clothes“ der Organisation WRAP gespendet.

Wie Vergangenheit neue Werke beeinflusst: Gareth Pugh im digitalen NYLON Cover-Interview

NYLON: Gareth, deine neuen Designs wurden im Vorfeld als solche beschrieben, nach denen sich die Köpfe drehen werden. Wem oder was schaust du heute noch hinterher?
GARETH PUGH: „Als mein Team und ich 2013 eine Show in Paris inszenierten, stießen wir auf den spanischen Begriff „Duende”. Seine Bedeutung ähnelt der Art, wie der Geschäftsmann Charles Saatchi Kunst kauft: Saatchi ist Kunstsammler und gleichzeitig stark in der Werbewelt involviert. In seinen Welten geht es wie beim „Duende” um Dinge, die sofort einen Eindruck hinterlassen. Dinge, zu denen man aus irgendeinem Grund eine Form von emotionaler Reaktion hat. Ob das Kunstwerke wie „My Bed” von Tracey Emin sind, das unglaubliche riesige Baby von Marc Quin oder eine Performance von PJ Harvey. So etwas fasziniert mich: Etwas, das man nicht kontrollieren kann, eine zutiefst persönliche Sache, Schönheit, die einen am Kragen packt. Sie ist für jede*n anders und doch sollte sie jede*r von uns häufig im Leben erfahren.”

Diese Momente können uns auch im Nachtleben begegnen – man denke dabei an die Klischees rund um Subkulturen und Dinge, die erst in der Nacht ans Licht kommen. Diese Collab ist auch stark von Clubwear und Nachtleben inspiriert – wie sah und sieht deines aus?
„Als ich nach London zog, war Ausgehen sehr wichtig. Dann zog ich irgendwann für sieben Jahre nach Paris. Als ich zurück nach London kam, hatte ich keinen Ort zum Wohnen und musste in meinem Studio leben. Das war furchtbar, weil es in einem großen besetzten Haus in Nordlondon lag, wo ich niemanden kannte. Aber es gab diese eine Location, von der ich wusste, dass ich dort alle meine Freunde treffen würde. Es war wie eine GemeinschaftTraurigerweise sind viele dieser Orte durch die Gentrifizierung der Londoner Innenstadt und den Abriss vieler Gebäude nicht mehr da. Es gab einen Club namens „Sink The Pink”, mit dem wir für viele Shows in London zusammengearbeitet haben. Dort traf man eine Menge wunderbarer non-binary oder genderfluid Kids, die aus dem gesamten Königreich oder anderen Ländern kamen und sich dort einfach fanden. Es gibt eine Doku, die ihr unbedingt sehen solltet, namens „Paint It Pink”. Sie ist ein wenig wie eine moderne Version von „Paris Is Burning” und zeigt viele Blicke hinter die Kulissen und wer die Menschen dort sind. Manche der Geschichten brechen einem das Herz, zum Beispiel von einer Person, die von ihrer Familie enteignet wurde, dann aber nach London kam und eine neue Familie fand. Das war nie meine eigene Geschichte, aber ich kann mich mit Teilen davon identifizieren.”

„Wenn ich an Menschen wie [den Stylisten] Judy Blame denke, ist er ein großartiges Beispiel für jemanden, der einfach immer da war und sein eigenes Ding durchgezogen hat. Ihm war es egal, ob Leute seine Sachen mögen oder er „in Fashion” ist. (…) Er hat es einfach gemacht, weil das eben war, was er tut. Diese Haltung gefällt mir.’”

Du wurdest schon öfter als eine Art „Enfant terrible” der jüngeren britischen Modeszene beschrieben. Wie siehst du selbst deine Position?
„Ich habe nicht das Gefühl, dass ich nach Regeln lebe, die andere Menschen vorgeben. Das kommt nicht so gut an. Aber warum sollte ich? Man bekommt [hier] sehr viel Unterstützung, wenn es ums Business geht; alles ist darauf ausgerichtet, Produkte zu verkaufen. In den ersten vier Jahren, die ich auf der London Fashion Week gezeigt habe, haben wir überhaupt nichts verkauft. Menschen haben nicht wirklich verstanden, was ich wollte, ich selbst wusste das aber auch nicht so genau. Ich hatte nur die Möglichkeit und habe sie genutzt. Jetzt schließt sich der Kreis ein wenig.

Ich fühlte mich immer ein wenig uneins. Mittlerweile ist es ziemlich lustig, dass ich im Somerset House arbeite, in dem auch der British Fashion Council sitzt. Es ist ein bisschen so, als sei ich ein Outsider, der aber sehr nah an der „Inside” ist. Die Krux liegt in meiner Zurückhaltung, Teil dieses Establishments sein zu wollen. Der British Fashion Council hat sogar einen Award namens „New Establishment” – als ob es erstrebenswert wäre, Teil davon zu sein. Wenn ich an Menschen wie [den Stylisten] Judy Blame denke, ist er ein großartiges Beispiel für jemanden, der einfach immer da war und sein eigenes Ding durchgezogen hat. Ihm war es egal, ob Leute seine Sachen mögen oder er „in Fashion” ist. Für eine lange Zeit hat Judy mit seinem Stuff einfach weitergemacht und wurde dann von Marc Jacobs gefragt, bei Louis Vuitton zu arbeiten oder von Rei Kawakubo gebeten, bei Comme des Garçons zu helfen. Das war super für Judy – aber dafür hat er nicht gearbeitet. Er hat es einfach gemacht, weil das eben war, was er tut. Diese Haltung gefällt mir.”

„Viele Designer bringen zum Beispiel ihre Hauptkollektion auf den Markt und dann aber noch eine „ökologische” Kollektion – dabei wäre es für diese Designer doch das ökologischste, überhaupt keine Kleidung mehr zu produzieren. Sie könnten sich vielmehr ihren eigenen Output anschauen und ansprechen, wie ihre Sachen hergestellt werden. Sie könnten den Diskurs auf den Einfluss lenken, den ihr Produktionszyklus auf die Welt um sie herum hat.”

Eine starke Message sollte auch eines deiner letzten Projekte verkörpern, der mit weltpolitischen Themen aufgeladene Fashion-Film „The Reconstruction”. Viele Kritiker*innen werfen gerade Modeunternehmen immer wieder vor, aktuelle gesellschaftliche Entwicklung zu kommerzialisieren und für den eigenen Profit zu nutzen. Wo siehst du dich in dieser Gleichung?
„Als Modedesigner mit einer Plattform geht es mir darum, der Veränderung, die geschehen muss, einen Platz zu geben. Wenn diese Themen nicht Teil des alltäglichen Diskurs sind, wer spricht darüber? Wenn über sie nur gesprochen wird, um damit Kleidung zu verkaufen, werden Menschen das allerdings schnell enttarnen. Viele Designer bringen zum Beispiel ihre Hauptkollektion auf den Markt und dann aber noch eine „ökologische” Kollektion – dabei wäre es für diese Designer doch das ökologischste, überhaupt keine Kleidung mehr zu produzieren. Sie könnten sich vielmehr ihren eigenen Output anschauen und ansprechen, wie ihre Sachen hergestellt werden. Sie könnten den Diskurs auf den Einfluss lenken, den ihr Produktionszyklus auf die Welt um sie herum hat.

Wenn jemand etwas zu bewusst macht, wird es problematisch. Wenn es aber einfach Teil dessen ist, was man tut und in den Sinn kommt, ohne dass man zu viel darüber nachdenkt, ist das eine großartige Sache.

Also ja, ich stimme einer gewissen Problematik zu, dass wichtige Themen kommerzialisiert werden. Mit „The Reconstruction” fanden mein Team und ich es aber zum Beispiel wichtig, in den aktuellen Diskurs involviert zu sein. Wir haben nicht ein einziges Teil davon verkauft, in dieser Hinsicht sind wir also „clean“. Viele der Materialien, die wir verwendet haben war Stuff, der im Studio rumlag oder auf dem wir seit Jahren gesessen hatten. Das war nicht unbedingt eine bewusste Entscheidung, aber es ist so passiert. Wenn jemand etwas zu bewusst macht, wird es problematisch. Wenn es aber einfach Teil dessen ist, was man tut und in den Sinn kommt, ohne dass man zu viel darüber nachdenkt, ist das eine großartige Sache. Dafür müssen wir noch einen weiten Weg gehen – es gibt Dinge, die gut laufen, aber wir können immer noch besser sein.”


Erster Einblick: Behind the Scenes bei der Produktion von ReFashioned. 

Wie hast du deine Vision und Philosophien für „ReFashioned” mit glo vereint?
glo kam auf mich zu und bat mich, Teil des ReFashioned Projekts zu sein. Dabei geht es darum, Materialien upzucyceln, die mit „extremer Mode” in Verbindung gebracht werden und ihnen ein neues Leben zu geben. Ich erinnerte mich dann an ein anderes Projekt von mir und Nick Knight für Vogue – es ging um ein Outfit, das wir in der Saison Spring/Summer 2007 genutzt hatten. Dafür haben wir ein Lackleder verwendet, das durch viele Studios mit mir umgezogen ist. Wir dachten also, dass es für die Zusammenarbeit mit glo auch ein guter Anfang wäre, mit genau diesem Lackleder zu starten.

Anschließend gingen wir die anderen Materialien durch, die wir noch im Studio hatten: Da wären Spikes, die wir für meine erste Menswear-Show in Paris benutzten. Wir haben Ketten von meiner Womenswear-Winter-Show von 2010 und noch mehr von einer frühen Show in London verwendet. Es ging darum, etwas zu kreieren, das letztendlich hoffentlich etwas Gutes bewirken wird. Das Projekt ergab für mich Sinn, denn wir haben schon viel mit weirden und wundervollen Materialien gearbeitet. Wir haben mal eine sehr große Show im Pariser Hôtel Salomon de Rothschild inszeniert, diesem prachtvollen Palast, in dem Valentino immer seine Couture-Kollektionen gezeigt hat. Dafür fertigten wir sehr feine Kleider aus Müllsäcken oder Tüten aus dem 1€-Shop an. Einen Monat später sah man fünf dieser Looks beim Met Ball. Es geht also darum, etwas, das eigentlich weggeworfen werden soll oder als Müll gesehen wird, mit neuem Leben zu versehen oder zu recyclen. Das haben wir irgendwie schon immer gemacht, aber nicht groß rausposaunt.”

„Ich hoffe, dass Geld und Privilegien endlich Ideen und Kreativität gewichen sind, denn diese Dinge haben Kraft. Es ist interessant anzuschauen, wie wohl sich eine „alte Garde“ von Brands im bisherigen System gefühlt hat. Dieses System wurde jetzt jedoch dezimiert, das Spielfeld wurde ausgeglichen. Junge, energiereiche, geistig bewegliche Menschen, die in der Lage sind, mit der Zeit zu gehen, können uns vorantreiben.”

Während deine Kolleg*innen ihr Business aufgrund der Folgen von CoVid-19 aufgeben müssen, belebst du deines gerade neu. Was sind deine Wünsche für Modeunternehmen und die gesamte Industrie nach der Pandemie?
„Na ja, der Verlauf meiner Business-Entscheidungen war nicht immer passend getimed, kann man so sagen. Ich habe meine Firma „Hard+Shiny” zusammen mit Michèle Lamy 2008 gegründet, gerade zum Höhepunkt der Finanzkrise. Aber we’re still here! Jetzt fühlt sich wie eine Zeit an, in der es keine falschen und richtigen Antworten gibt, keine Regeln. Solche Parameter sind großartig für Menschen, die nicht die Mittel haben, zum Beispiel das Grand Palais in Paris anzumieten und ihren Show-Gästen heißen Kaffee oder eine Decke mit ihren Initialen zu überreichen. Das heißt: Ich hoffe, dass Geld und Privilegien endlich Ideen und Kreativität gewichen sind, denn diese Dinge haben Kraft. Es ist interessant anzuschauen, wie wohl sich eine „alte Garde“ von Brands im bisherigen System gefühlt hat. Dieses System wurde jetzt jedoch dezimiert, das Spielfeld wurde ausgeglichen. Junge, energiereiche, geistig bewegliche Menschen, die in der Lage sind, mit der Zeit zu gehen, können uns vorantreiben. Und davon sehen wir gerade erst die Anfänge. 2020 war ein schwieriges Jahr. Wenn Menschen aber nun mit einer Ausgangslage starten, in der sie offen für neue Dinge sind, muss man eben als Designer keine riesige Location haben und 60 Looks zeigen. Alles, was du brauchst, ist eine Idee. Aus diesem Jahr nehmen wir also die Neubewertung von Ideen mit. Die war ganz schön lange verloren und es ist schön, sie zurückkehren zu sehen.”

 

In der Entwicklung von „ReFashioned” schloss Pugh erneut den Kreis, der im Kern jedem seiner Entwürfe steckt: Gegenteile zu vereinen. Seine Haltung passt zu glo, die mit ihrer Kampagne #ohnewennundoder dafür stehen, die eigene Vorstellungskraft für vermeintliche Gegensätze zu öffnen. Das geschieht auch in der Kollektion „ReFashioned“: Runde Oberflächen werden eingehüllt von scharfen Kanten, Nieten, Spikes, Ketten und gelaserte Musterungen erinnern an hedonistische Elemente von Clubwear und bleiben trotzdem ästhetisch. Designer Pugh schlägt also immer wieder die Brücke vom Londoner Club bis hin zur Pariser Fashion Week – und das nicht nur in seinen Erzählungen. Vielleicht hat er ja auch auch das verpixelte Video seiner Debüt-Show im Kopf?

Interview und Story: Robin Micha
Cooperation Management: Kristin Roloff

In Kooperation mit glo. 

Abgabe nur an Erwachsene.

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Robin Micha
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