Beim Dinner-Interview erzählt Musikerin Scout Willis von ihrer Spiritualität und fiktiven Beziehungen
Zwischen Erdbeersoda und Selbsterkundung: Unsere Autorin war mit Sängerin Scout Willis in ihrer alten Wahlheimat New York City unterwegs. Hier spricht sie mit der Künstlerin über ihr Debütalbum und die heilende Kraft von Musik.
Scout LaRue Willis ist zurück in ihrem alten Revier. Während die 30-jährige Sängerin heute glücklich in ihrer Heimat Los Angeles lebt, hat sie ihre prägenden Jahre mit Mitte 20 in New York City verbracht. Und auch heute Abend treffen wir uns in dem Viertel zum Dinner, das Scout einst ihr Zuhause nannte: das kleine Stück der an der Lower East Side und Ost-Chinatown zwischen Canal Street und Division Street, das heute den berüchtigten Dimes Square bildet.
Die Energie der Stadt
Seit Willis 2016 dort gelebt hat, haben sich die Dinge sichtbar verändert. Restaurants wie Forgtmenot, Scarr’s Pizza und Kiki’s sind immer noch Stammlokale, die jeden Abend von jungen Kreativen und ihren Freunden bevölkert werden, aber überall sind auch neue Spots aufgetaucht. So zum Beispiel das Le Dive, in dem wir gerade essen, eine gemütliche neue, von Paris inspirierte Naturweinbar des Gastronomen Jon Neidich. Und das winzige Viertel ist nicht das Einzige, das sich gewandelt hat: Während es Willis früher an Orte wie die nahegelegene Dive-Bar „169” verschlug (für eine klassische Kombi aus Shots und Bier), bevor sie mit ihren Freunden die Nacht durchtanzte, hat sie jetzt ein neues Gefühl von Freiheit und Klarheit darin gefunden, nüchtern zu bleiben. Das hat ihr auch zu einer produktiven Phase in Sachen Musik verholfen, die in ihrem selbstbetitelten Debütalbum „Scout LaRue Willis” gipfelte, das im Juni erschienen ist.
„Ich glaube, dass meine Energie in den ersten zwei Jahren, die ich hier lebte, wirklich zur Stadt passte“, erklärt Willis zwischen Pommes, Steak Tartare und Erdbeersoda. „L.A. war sehr mit Familienangelegenheiten verbunden. Und dann, als die Familienangelegenheiten immer besser wurden, fühlte sich L.A. auch sicherer, besser und interessanter an.“
Willis, die Tochter der Schauspieler*innen Demi Moore und Bruce Willis, hat bereits ein erfülltes Leben hinter sich. Nachdem sie ihren Abschluss an der Universität Brown gemacht hatte und nach New York gezogen war, versuchte sich die Sängerin in verschiedenen Berufen. „Obwohl ich wusste, dass ich Musik machen wollte, dachte ich auch, dass ich einen richtigen Job brauche. Ich habe eine Zeit lang für [Luxusdesignerin] Lindsey Thornburg gearbeitet, und im Interior Design. Ich war überall unterwegs.“
Ihr Umzug zurück nach Kalifornien fiel mit einem tiefgründigen Erkundung von Spiritualität und psychologischer Heilung zusammen – Themen, die sie im gesamten Album untersucht. Es geht aber auch um Liebe. „Dieses Album entstand aus einer Reihe von Ereignissen in meinem Leben, die mich wirklich wachsen ließen“, sagt Scout. „Sich in jemanden zu verlieben und eine ganze Geschichte darüber zu schreiben: Ich hatte buchstäblich eine komplette Beziehung und Trennung in meinem Kopf, ohne diese Person jemals geküsst zu haben.“
„Mein ganzes Leben lang habe ich nach dem Motto gelebt: ,Bring niemanden in Verlegenheit. Bring das Boot nicht ins Wanken. Sei still. Sag nichts. Und ich habe mich nicht wirklich getraut, mich zu zeigen. Und jetzt, für meine Kunst, ist dieser ganze andere Teil von mir präsent (…).”
Herzlichst, Scout Willis: Liebesbriefe an weibliche Wut und Sexualität
Zurzeit ist sie glücklich in einer fünfjährigen Beziehung mit ihrem Musikerkollegen Jake Miller. Trotzdem erforscht Willis die toxische Seite der Liebe in Songs wie dem nachdenklichen „Love Without Possession“. Auf „Woman At Best“, das Willis als „Liebesbrief an die heilige weibliche Wut und Sexualität” beschreibt, erklärt Willis ihre wilde Unabhängigkeit in Zeilen wie „And I will pass this test/’Cause I know I am strong/Won’t call out your name/I just sing out this song“. Ihr kraftvoller, aus voller Kehle gesungener Gesang, die eindringlichen Gitarrenakkorde und die sorgfältig durchdachte Poesie ihrer Texte zeichnen das Bild einer jungen Frau, die zu sich selbst findet und ihre innersten Gefühle ein- und ausatmet wie einen Hauch frischer Luft in einer ansonsten vergifteten Umgebung.
„Als ich nach L.A. zurückgekehrt bin, habe ich…ich würde sagen eine Art Erwachen und eine Verwirklichung durch viel Spiritualität erlebt“. Das Album, so sagt sie, „ist in gewisser Weise der Spannungsbogen einer Beziehung – [es geht um das] das Auseinandergehen und das Gefühl der Sehnsucht und den Grenzbereich, in dem wir nicht mehr zusammen sind, aber immer noch zusammen abhängen“.
Auf den Spuren der 90er-Songwriterinnen und Country-Twang
Sie untersucht auch Themen wie Liebessucht, oder solche „die sich darum drehen, was es bedeutet, nach jemandem süchtig zu sein, und was es bedeutet, in das Potenzial von jemandem verliebt zu sein, anstatt in das, was er*sie tatsächlich ist.“ In Willis Musik finden sich Spuren von Singer-Songwriter-Heldinnen der 90er Jahre wie Paula Cole, Alanis Morissette und Fiona Apple, aber auch ein unverwechselbarer Country-Twang – etwas, das Willis dem Cowboy-Balladen-Autor Marty Robbins zuschreibt.
Es war auch Robbins, dessen Musik hörte, als sie den Song „Canyon“ schrieb, den sie als einen Song darüber beschreibt, „dass man mit jemandem zusammen sein möchte, aber weiß, dass man an einem Punkt ist, an dem man ihn braucht und von ihm abhängig wird, wenn man mit dieser Person zusammen ist. Also musst du allein sein.“
Vier Tage und vier Nächte allein im Wald
Während unseres Gesprächs sind Willis‘ Sätze von der Sprache der Heilung durchdrungen. Das Album ist sogar auf 432 Hz gestimmt, eine bekanntlich heilende Frequenz. Zusätzlich zu ihrem Master-Abschluss in spiritueller Psychologie, den sie zusammen mit ihrer Mutter und ihren Schwestern Rumer (33) und Tallulah (28) an der Universität von Santa Monica gemacht hat – was ihr dabei geholfen habe, „endlich die Geschichten loszulassen, die ich gegen mich selbst in der Hand hatte, und die es mir schließlich ermöglicht haben, mein Album zu machen“ –, hat sie sich auch auf eine Suche nach ihrer Vision begeben, die ihr Leben radikal verändert hat. Wir beenden unser Dinner, verzichten auf Nachtisch und wollen uns auf der anderen Straßenseite die Stimmung im „169” ansehen. Währenddessen beschreibt Scout, wie es sie verändert hat, vier Tage und Nächte lang allein im Wald zu leben. Ohne Wasser und Essen, nur mit Gebeten. „Ich habe so eine unglaubliche Klarheit verspürt“, sagt sie.
„Mein ganzes Leben lang habe ich nach dem Motto gelebt: ,Bring niemanden in Verlegenheit. Bring das Boot nicht ins Wanken. Sei still. Sag nichts‘„, fährt sie fort. „Und ich habe mich nicht wirklich getraut, mich zu zeigen. Und jetzt, für meine Kunst, ist dieser ganze andere Teil von mir präsent, der sagt: ,Schau, ich könnte dich triggern. Du wirst später daran arbeiten. Gern geschehen.'“
Niedlich? Nix da!
Nehmen wir zum Beispiel die Reaktion auf ihr Video zu „Woman At Best“, das sie mit einem rein weiblichen Team gedreht hat. Darin sehen wir eine langhaarige Willis, die in ihrem Haus tanzt und tobt. Bis auf die weiße Unterwäsche und Socken zieht sie sich aus. Sie beschmiert sich mit dem Saft einer Schüssel roter Kirschen und streichelt sich mit einer einzelnen roten Orchidee (eine Hommage, wie sie sagt, an den Josh Hartnett-Film „40 Tage und 40 Nächte” aus dem Jahr 2002). Während das Video von ihren Fans gefeiert wurde, zog es auch einige negative Aufmerksamkeit von beschämenden Kritiker*innen auf sich, „ein paar Artikel, die so verniedlichend waren“.
„Ich wollte wirklich wütend und sexuell sein, aber nicht für den Male Gaze“, sagt Scout. „Es geht um eine Frau, die allein in ihrem Haus ist, sich ausdrückt und dabei fröhlich, wütend, erfreut und einfach alles auf einmal ist. Und ich habe getanzt, was ich vorher nie getan hätte. Zum Teil bin ich [im Video] in Unterwäsche, aber kaum. Es ist aber ziemlich sexuell. Ich hatte das Gefühl, dass es die Leute konfrontieren würde, aber nicht in dem Ausmaß, in dem es passiert ist.”
Willis lässt das alles einfach an sich abperlen. „Wenn man jemanden sieht, der etwas tut, was man sich innerlich nicht erlaubt hat, dann ist das eine unbewusste Sache. Es ist so viel einfacher zu sagen: ,Haltet diese Person auf. Sie sollte das nicht tun dürfen'“, sagt sie. „[Die Reaktionen waren] verletzend, aber ich habe es nicht persönlich genommen.”
Gefühle des Triumphs
In „Shouldn’t I Be“, einem besonders aufschlussreichen Song auf einer ohnehin schon sehr einfühlsamen Platte, beschreibt Willis, dass sie sich nicht gut genug fühlt. Mit diesem Gefühl ist sie aber durch. Und während es nichts gibt, was den Song mit einer schicken Botschaft verpackt, hinterlässt der musikalische Aufbau am Ende eine Stimmung der Hoffnung, das Willis als ein „Gefühl des Triumphs“ beschreibt.
„Der Text sagt: ,Ich hänge noch drin‘, aber die Musik sagt: ,Ich bin fertig. Ich bin fertig mit diesem Gefühl. Und ich übersteige es sogar jetzt.’” Textzeilen wie „Shouldn’t I be better now/And stronger now/And taller now too/More beautiful/And braver too“ erzählen eine Geschichte, die viele von uns kennen.
„Ich steh‘ nicht so sehr auf Body Positivity oder dieses Zeug, weil ich merke, dass das nur ein weiterer Weg für mich ist, mich zu fühlen, als würde ich bei etwas versagen“, fügt Willis zu dem Song hinzu. „An Tagen, an denen ich mich unsicher fühle, denke ich mir: ,Mensch, ich fühle mich nicht hübsch genug, um Teil dieses Clubs zu sein. Und dann fühle ich mich noch schlechter.“
Scout Willis 2022: Ein anderer Vibe
Stattdessen, sagt sie, strebe sie nach Neutralität. „Mir geht es um radikale Integration und die Akzeptanz meiner Person, sogar meiner Toxizität“, sagt sie.
Während ich in meiner Tasche noch nach meinem Ausweis suche, schaut Willis in der überfüllten Bar „169”, um nachzusehen, wie es dem alten Stammlokal so geht. Noch bevor ich meinen Ausweis finden kann, kommt sie wieder heraus und sagt, ich solle mich nicht bemühen. „It’s just not the vibe anymore”.
Text: Claire Valentine // Fotos: Jade Greene via NYLON.com
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