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Riccardo Simonetti und Leni Bolt im Interview über echte Inklusion, Sichtbarkeit und die Verantwortung von Marken

Unter dem Motto #GetReadyForPrideWithMMs läutete M&M’S den Countdown zum Berliner CSD ein. Neben Snacks und guter Musik fand auch ein Panel Talk zum Thema respektvollem Miteinander statt. Wir haben mit den Panelist*innen Riccardo Simonetti und Leni Bolt gesprochen.

Mehrere Hunderttausend Menschen feierten vergangenen Samstag den Christopher Street Day in Berlin und demonstrierten für die Rechte der queeren Community. Doch bereits vor dem Main Event feierte die LGBTQIA+ Community im M&M’S Flagshipstore. In Deutschland hat M&M‘S in diesem Jahr auf TikTok gemeinsam mit 14 Creator*innen einen Raum geschaffen, der die Sichtbarkeit der LGBTQIA+ Community stärken soll und die Themen, die sie bewegt, anspricht. Zum Abschluss der Kampagne #GetReadyForPrideWithMMs kam die Community am Donnerstag im Berliner M&M’S Flagshipstore zum CSD Countdown zusammen.

Foto: Juri Reetz

Die Gäst*innen erwartete DJ Destiny Drescher und ein Panel Talk mit Riccardo Simonetti, der Grimme Preisträgerin Leni Bolt („Queer Eye Germany“) sowie Leonie Kaczmareck, Mitglied des Mars internen Netzwerks Pride Europe. Diskutiert wurde, was jede*r für ein respektvolles Miteinander tun kann. Es ging um Selbstbestimmung, Akzeptanz und die gleichen Rechte für die LGBTQIA+ Community. Beendet wurde die Talkrunde mit dem Überreichen einer Spende in Höhe von 25.000 Euro an die Riccardo Simonetti Initiative. „Gemeinsamer Spaß stärkt das Gemeinschaftsgefühl. Das ist die Mission von M&M’S und das ist auch meine Mission. Wir schätzen den Support von M&M’S, gemeinsam setzen wir ein Zeichen für Vielfalt und Akzeptanz mit dem Ziel, diese Welt zu einem bunten Ort machen, in der jede und jeder seinen Platz hat – ganz egal, welcher Background, sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität. Ganz nach dem Motto meiner Initiative: All together for a kinder society”, bedankt sich Riccardo. Wir haben im Rahmen des Events mit Riccardo und Leni Bolt über Zugehörigkeit, Support und warum Pride das ganze Jahr über wichtig ist gesprochen.

Foto: Juri Reetz

NYLON:

M&M’S hat eine lange Geschichte mit vielen Produkten und Meilensteinen und setzt sich seit mehr als 80 Jahren, dass sich Menschen zugehörig fühlen und mit Spaß zu sich selbst stehen. Was braucht es deiner Meinung nach, um sich dazugehörig zu fühlen?

Leni: Das ist super wichtig! Als nonbinäre Person habe ich mich lange Zeit einsam und nicht verstanden gefühlt, bis zu dem Tag an dem ich eine andere Person kennengelernt habe, die sich ebenfalls auf dem genderfluiden Spektrum bewegt. Das hat mir damals so viel Kraft gegeben und mir gezeigt, dass ich vollkommen richtig bin so wie ich bin und dass es eine gesellschaftliche Aufgabe ist, unsere starren Geschlechterrollen aufzubrechen. Heute kann ich sagen: Ich genieße das Leben in vollen Zügen und stehe zu mir selbst. Was wir brauchen, sind liebenswerte Menschen um uns herum, die uns so akzeptieren wie wir sind.

Riccardo: Wenn man diese Businesskomponente mit reinnimmt, ist es ganz wichtig, dass man auch am Arbeitsplatz nicht verstecken sollte, wer man ist. Ich glaube, dass es bei vielen Unternehmen etwas ist, was nach außen hin gerne symbolisiert wird, aber für die queeren Personen am Arbeitsplatz spielen diese Themen oft keine Rolle. Deshalb finde ich es wichtig, dass bei M&Ms sehr viele interne AGs gegründet wurden, die Menschen ermöglichen, auch innerhalb des Unternehmens aktiv zu werden. Für mich ist es wichtig, die Person nicht verstecken zu müssen, die ich bin und die mich ausmacht. Ein Blick auf die Weltkarte genügt: Es gibt so viele Länder auf der Welt, wo das was ich bin kriminalisiert wird. In knapp 70 Ländern wird es immer noch strafrechtlich verfolgt homosexuell zu sein. In manchen Ländern gibt es auf Homosexualitität noch die Todesstrafe.Wir gucken deshalb gerne mal in Deutschland auf diese Themen und sagen: „Aber ihr habt doch fast alle Rechte.” Auch die sind leider nicht in Stein gemeißelt, wenn man sieht, wer gerade politisch gewählt wird. Das alles bedroht die Rechte queerer Menschen. Wenn man sich anschaut, wer in Italien oder Ungarn gewählt wurde, das macht mir alles große Angst. Wer ich bin, ist Teil meiner DNA, und deshalb ist für mich auch Pride ein so wichtiges Thema, das mich das ganze Jahr über beschäftigt, und nicht nur im Monat Juni und Juli.

Welchen politischen Impact können Marken wie M&M’S haben? Ist es wichtig, dass sie sich engagieren?

Leni: Große Marken wie M&M‘S haben die Sichtbarkeit, die uns einzelnen Personen in der LGBTQIA+ Community oft fehlen. Mit Werbebotschaften, Engagement für Hilfsorganisationen und unternehmensinternen queeren Netzwerken können Marken viel für unsere Community tun. Es gibt leider immer noch so viel Diskriminierung, auch hier in Deutschland und wir sind auf Allys angewiesen, damit wir gemeinsam für mehr Vielfalt und Akzeptanz sorgen und damit sich kleine Lenis auf dem Schulhof nicht mehr verstecken müssen, weil sie Angst haben, wegen ihrem Aussehen angespuckt zu werden.

Für mehr Aufklärung und Sichtbarkeit setzt sich auch die Riccardo-Simonetti-Initiative ein. In welchen Bereichen oder auch Branchen braucht es deiner Meinung nach aktuell am meisten Wandel/Aufklärung?

Riccardo: Das Problem am Thema Inklusion und Diversität ist, dass das oft nach außen zum Image einer Marke gehört, aber intern nicht in der gleichen Form gelebt wird. Da sind Medien leider auch keine Ausnahme. Es wird öfter über das Thema berichtet, als das Thema vielleicht in den Redaktionen wirklich praktiziert wird. Und ich glaube, dass jedes Unternehmen davon profitieren kann, auch die Strukturen innerhalb der Firmen, der Redaktionen, der eigenen Teams aufzubrechen, Menschen faire Chancen zu geben, Gleichheit am Arbeitsplatz etablieren sowie es nach außen hin kommuniziert wird. Denn wenn man vielleicht nicht im Monat Juni in einen deutschen Zeitschriftenladen geht und sich die Magazin-Cover anguckt, dann sieht man, wie wenig Diversität wirklich stattfindet. Das ist ein Begriff, der für viele Menschen womöglich inzwischen überstrapaziert ist. Es entsteht der Zweifel daran, ob es beim Thema Diversität wirklich noch solche Missstände gibt, weil doch vermeintlich so oft darüber gesprochen wird. Aber die tatsächliche Umsetzung, das wirkliche Leben von Realität lässt immer noch zu wünschen übrig. Medien haben eine sehr lange Zeit über ein bestimmtes Ideal radikal etabliert, mit dem sich sehr wenig Menschen identifizieren konnten. Mit derselben Radikalität gilt es jetzt auch, alternativen Idealen, die schon immer da waren, die Plattform zu geben, die sie auch verdient haben.

Man muss nicht nur über das Thema Pride sprechen, man kann auch über das Thema Body-Inklusion sprechen. Eine Zeit lang hieß es Plus Size und Normal Bodys sollen überall präsent sein. Wenn man dann sieht, wie wenige Marken wirkliche Kollektion in großen Größen anbieten und wie wenig Plus Size Models auf dem Laufsteg zu sehen sind, fragt man sich: Ist das nur ein Trend, worüber wir kurz reden für die Menschen, die davon betroffen sind? Deren Lebensrealität hört nicht auf, nur weil etwas einmal kurz in den Medien thematisiert wird. Es muss stattfinden, wirklich passieren. Deswegen ist zum Beispiel der Slogan der Sichtbarkeits-Kampagne meiner Initiative in diesem Jahr „Not a Trend”. Pride Themen, Inklusion, Toleranz und ein empathisches Miteinander sind kein Trend – das sollten unserer aller Grundwerte sein. Menschen müssen verstehen, dass das für uns, für viele Menschen, eine Lebensrealität ist, die weitergehen wird, auch wenn es vielleicht aus dem Mittelpunkt der Gesellschaft wieder verschwindet.

Was können große Marken wie M&M’S machen, damit es von diesem Trend-Gedanken weggeht?

Riccardo: Zwei Sachen sind besonders wichtig. Einmal, dass innerhalb des Unternehmens Strukturen geschaffen werden, in denen auch marginalisierte Menschen faire Chancen bekommen. Also das man weiß: Das ist ein Unternehmen, in dem ich sein kann, wer ich bin. Indem man auch die Themen ansprechen kann, die einen ausmachen. Und zum anderen, dass gemeinnützige Organisationen finanziell unterstützt werden. Es gibt so viele Marken, die sich Pride auf die Flagge schreiben, aber am Schluss profitiert keine queere Person davon. Es ist essenziell, dass man als großes Unternehmen, das viel Geld umsetzt, auch versucht, gemeinnützige Organisationen finanziell zu supporten. Das Geld an Menschen zu geben, die es dahin bringen, wo es auch wirklich gebraucht wird. Das könnten mehr Unternehmen machen. Deshalb freue ich mich auch, dass wir heute so eine große Spende von M&M’S bekommen, weil das für uns als gemeinnützige Organisation essenziell ist, um unsere Arbeit weiterzuführen. Die Menschen, die Unternehmen während der Pride Saison auf ihre Plakate drucken, müssen am Ende auch wirklich von diesen Maßnahmen profitieren. Sichtbarkeit ist das Eine – tatsächliche Implementierung und Umsetzung dieser Gedanken das andere. Und hier spreche ich von marginalisierten Gruppen im Allgemeinen: Die queere Community, PoC, mehrgewichtige Menschen, Menschen mit Behinderungen… Diese Menschen dürfen nicht nur als Werbegesichter benutzt werden – sie müssen auch wirklich davon profitieren, dass Diversität stattfindet.

 

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Natürlich ist der CSD auch ein politisch aktivistischer Tag. Was machst du, um Pride zu einem möglichst positiven Ereignis zu machen?

Riccardo: Ich glaube, dass ein Fest auch etwas Politisches sein kann. Ich als Person, die in Berlin Mitte lebt und 365 Tage im Jahr queer sein kann, kann daraus schnell etwas Politisches machen. Für viele ist es aber auch der einzige Tag im Jahr, wo sie sie selbst sein können. Wenn eine Party sie dazu bringt, in ihrem Alltag ein bisschen mehr an sich selbst zu glauben, dann finde ich, sollte das auch stattfinden. Beides ist wichtig und man sollte die politische Komponente auf keinen Fall vergessen. Aber man darf auch nicht unterschätzen, dass jeder Mensch einen unterschiedlichen Zugang zu dieser Thematik bekommt. Wenn es rein politisch wäre, würden vielleicht viele Menschen nicht kommen. Deshalb finde ich die Party Komponente auch wichtig. Es ist eine Celebration, verschiedener Identitäten, und das sollte auch weiterhin sein. Und gleichzeitig gibt es eine historische, politische Kernbotschaft dahinter – die aktuell nicht dringlicher sein könnte.

Leni: Ich umgebe mich mit Menschen, die ich liebe und gehe gemeinsam mit ihnen auf die Straße. Wir kleiden uns farbenfroh und streuen uns Glitzer ins Haar – alles ist erlaubt! Ich habe auch schon Demo-Schilder selbst gebastelt, denn wir dürfen nicht vergessen, dass der CSD nach wie vor eine Demonstration ist. Natürlich sollen wir uns frei fühlen und ein bisschen Party gehört auch dazu, aber wir dürfen den Sinn dahinter nicht vergessen. Beim Pride geht es darum, Sichtbarkeit für queere Themen zu schaffen und für mehr Akzeptanz in unserer Gesellschaft zu sorgen, ganz egal ob trans*, lesbisch, schwul, queer oder als straight Ally!

Riccardo, du meintest gerade schon, dass man Pride nicht nur im Monat Juni zelebrieren sollte. Wie machst du das?

Riccardo: Die Tatsache, dass ich diesen Monat nicht nur einmal über dieses Thema spreche, ist schon ein wichtiges Zeichen. Es gibt der Sache eine Plattform. Dass wichtige Aktivst*innen wie Leni laut und sichtbar sind, sich so wertvoll für unsere gemeinsamen Werte einsetzen. Ich spreche über queere Themen, über Queer-feindliche Themen, über Homophobie und Transphobie. Das sind Dinge, die ich in der Öffentlichkeit auf jeder sich mir bietenden Bühne anspreche, egal ob ich im Fernsehen oder Radio bin, mit einem Printmedium spreche oder über meine eigenen Social-Media-Kanäle darüber berichte. Das sind Themen, die man bei mir das ganze Jahr über findet und nicht nur einmal im Jahr, was natürlich auch dem zu schulden ist, dass ich selbst als queere Person davon betroffen bin. Wenn man sich anschaut, was Leute teilweise unter meine Bilder schreiben, dann sieht man, dass ich genauso noch davon abhängig bin, dass man den Pride Gedanken in der Gesellschaft verbreitet. Ich weiß, dass ich in einer sehr privilegierten Position bin. Trotzdem glaube ich, dass ich auch immer noch für mich selbst auch auf die Straße gehen und demonstriere, weil meine Lebensrealität immer noch davon eingefärbt ist, wie Menschen mich beurteilen, einfach aufgrund meiner Genderidentität, meiner sexuellen Orientierung oder der Art und Weise, wie ich eben aussehe. Man muss das ganze Jahr über darüber sprechen, weil außerhalb des Pride Month diese Themen kaum Gehör bekommen. Wir müssen deshalb darüber sprechen, damit auch Menschen, die nicht Teil dieser Community sind, die nicht in dieser Bubble leben, auch davon berührt werden, davon mitbekommen, dafür sensibilisiert werden. Und daher ist es wichtig, dass man Medien auch ermahnt, das ganze Jahr über diese Themen zu sprechen und nicht nur in einem Monat.

Snacks und gutes Essen sind wichtig für eine gute Work-Life Balance. Leni, für dieses Thema bist du Expertin und hast kürzlich dein Buch “Work, Life, Liebe” veröffentlicht. Was sind deine Top-Tipps für mehr Achtsamkeit im Arbeitsalltag?

Leni: Da hast du vollkommen recht! Wenn ich mein Snickers nach der Mittagspause nicht gegessen habe, kippt die Stimmung aber ganz schnell (lacht). Abgesehen von den Snacks ist es natürlich total wichtig, dass wir lernen, gesunde Grenzen zu setzen. Damit meine ich, dass wir im Arbeitsalltag auch mal mutig sind und “Nein” sagen, wenn uns die Kollegin wieder eine weitere Aufgabe zuschieben möchte und wir eigentlich schon völlig überlastet sind. Viele von uns sind “People Pleaser” und das ist meist auf die Kindheit und Jugend zurückzuführen. Wir haben gelernt, dass wir belohnt werden, wenn wir etwas gut oder richtig machen. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass wir keine Maschinen sind sondern Menschen, denen auch mal ein Fehler passieren darf. Hört in euch rein, was sind eure Bedürfnisse? Gönnt euch eine Meditation oder Atemübung für zwischendurch und probiert euch vielleicht mal an einem Dankbarkeitsjournal.

Headerfoto: Juri Reetz

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