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Letter to Myself: Riccardo Simonetti schrieb für NYLON einen Brief an sein Teen-Ich

Als NYLON mich gebeten hat, meinem jüngeren Ich einen Brief zu schreiben, habe ich lange überlegt, in welchem Alter ich wohl einen solchen Brief von mir am meisten gebraucht hätte. Und auch wenn ich mir heute manchmal selbst immer noch wünschen würde, von meinem zukünftigen Selbst versichert zu bekommen, dass alles gut gehen wird, glaube ich, dass mein Teen-Ich es noch ein bisschen mehr Zuspruch hätte gebrauchen können.

Text: Riccardo Simonetti
Fotos: Patrice Brylla

Du bist jetzt 18 Jahre alt, hast gerade diese neue Künstlerin Lana Del Rey für dich entdeckt und hörst „Video Games“ rauf und runter. Du gehst in die 12. Klasse und stehst kurz vor deinem Abitur. Die Haarlänge, die du gerade hast und mit der du dich ultra cool fühlst, wirst du in gar nicht allzulanger Zeit bereuen. Aber ich glaube, du würdest dir jetzt nicht einmal mal von dir selbst ausreden lassen, dass ein Bob einfach keine tolle Frisur für dich ist.

Übermut und Angst

Ich erinnere mich zu gut an die zwei größten Gefühle, die du gerade verspürst: Übermut und Angst. Fangen wir mit dem grenzenlosen Übermut an, der dafür sorgt, dass alle Menschen in deinem Umfeld dich für einen völlig abgedrehten Spinner halten. Einen, der nichts von dem schaffen wird, was er sich vorgenommen hat und schon gar nicht berühmt damit zu werden. Das Schöne ist jedoch, dass ich dich was das angeht überhaupt nicht bremsen möchte oder muss, denn es ist dir sowieso egal, was die Leute von dir halten. Du bist dir sicher, dass du auf diese Welt gekommen bist, um etwas zu verändern. Und auch wenn du mit 20 noch kein Oscar-Preisträger sein wirst, so wie du es gerade annimmst: Die nächsten Jahre werden auf jeden Fall zeigen, dass du einen Platz in dieser Gesellschaft finden wirst, an dem du für die Eigenschaften geschätzt und sogar gefeiert wirst, für die du jetzt so viel einstecken musst.

 

Du hast das Recht zu Funkeln, mein Teen-Ich

Ich erinnere mich an die Party, auf der du gerade warst und einfach ohne Grund blutig geschlagen wurdest, nur, weil du einen Blumenkranz getragen hast. Und auch wenn ich mich daran erinnere, dass du dir vorgenommen hast, dir dein „Recht zu Funkeln“ von niemandem nehmen zu lassen, weiß ich auch, dass du Angst davor hast, dass solche Dinge wieder passieren. Ich wünschte, ich könnte dir sagen, dass nach der Schule alles leichter wird. Aber das kann ich nicht. Deswegen ist es so wichtig, dass du unbedingt immer im Hier und Jetzt den Moment erlebst und dein „du selbst sein“ nicht aufschiebst, in der Hoffnung, dass dann alles besser oder einfacher wird. Um ehrlich zu sein werden dir noch ein paar ziemlich unangenehme Dinge passieren, die dich hinterfragen lassen werden, ob du richtig bist so wie du bist. Du wirst ziemlich unschöne Begegnungen in öffentlichen Verkehrsmitteln haben, wirst dich täglich für deine Klamottenwahl rechtfertigen müssen und wirst sogar mal in einem Bus angezündet. Und wenn ich dir eines mit auf den Wegen geben kann, dann nur, dass das alles dazu beitragen wird, dass du genau die Person wirst, die du sein sollst. Oder besser noch: Die Person, die du sein musst, um wirklich dieser Mensch zu werden, der etwas verändern kann. Es wird ein paar Male geben, in denen du mit allen Mitteln versuchst etwas zu sein, was du nicht bist und deinen Körper nicht sehr nett behandelst.

Essstörungen werden dich die nächstes Jahre begleiten um ein Schönheitsideal anzustreben, das nicht dein eigenes ist. Aber nichts was dadurch passiert, wird dich wirklich glücklich stimmen. Wenn du deine weibliche Seite liebevoll umarmst und wenn du anfängst, dich selber mehr zu lieben als die Vorstellung der Gesellschaft wirst du wirklich, wirklich glücklich sein.

 

Bewahre dir deine Träume

Der Weg, den du dir ausgesucht hast (immer und überall vollkommen du selbst zu sein) ist ein Weg, der vor dir noch nie jemand so gegangen ist und jeder Stolperstein, den du aus dem Weg räumen wirst, wird nicht nur dich weiter bringen – sondern ganze viele, die so sind, wie du. Du denkst jetzt, du wärst der einzige Schwule auf dem Land und kannst den Gedanken schwul zu sein noch nicht einmal richtig zulassen, weil zu viele schmerzhafte Erlebnisse hinter diesem Begriff stecken. Aber das wird sich ändern. Und auch wenn auf das Wort „schwul“ heute noch immer Beleidigungen, Ablehnung und Gewalt folgen, so wird das alles in dem Leben, das du in nur wenigen Jahren führen wirst, durch Worte wie Freundschaft, Akzeptanz und Liebe ersetzt.

Je eher du akzeptierst wer du bist, desto eher breitet sich dir ein Leben aus, das so viel schöner ist, als die Vorstellung deiner Zukunft, an die du dich noch klammerst. Trotzdem ist es unglaublich wichtig, dass du dir deine Träume immer wieder vor Augen führst, denn nicht wenige davon werden sich genauso verwirklichen, wie du sie dir gerade vorstellst: Deine heutigen Vorbilder werden morgen deine Freunde sein und das Tattoo, das du dir eben hast stechen lassen, um dein zukünftiges Buch nicht zu vergessen, wird seinen Zweck auch erfüllen und dich zum Bestseller-Autor machen.

Wie du siehst, wirst du es in ein paar Jahren immer noch nicht schaffen, dich kurz zu fassen. Und auch wenn deine Lehrer versuchen, dir weiß zu machen, dass du das unbedingt noch lernen musst – das musst du nicht. Lange Rede, kurzer Sinn (ja, du wirst die Sorte Mensch sein, die genau solche Floskeln benutzen wird): Du bist richtig, so wie du bist.

Für die nächsten Jahre brauche ich dir nichts zu wünschen, außer die perfekte Playlist. Alles andere kriegst du schon hin.

Ich liebe dich aufrichtig,

Dein 26 jähriges Ich

Riccardo

PS: Du solltest aufhören Instagram als Bildbearbeitungsprogramm zu nutzen – das können Leute sehen und schon bald wirst du ganz lange zurückscrollen müssen, um viele peinliche Momente zu löschen. Also halt dich, was die Selfies angeht, ein wenig zurück.

Nylon
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