Künstlerin & Charakterkopf: Warum Aktivismus für Laetitia Ky Kopfsache ist
Die 24-jährige Künstlerin von der Elfenbeinküste Laetitia Ky formt Skulpturen aus ihrem Haar – und formt damit ihre Message für Toleranz und Geschlechtergerechtigkeit. In unserer aktuellen Ausgabe lernen wir einen mutigen Kreativkopf kennen und sprechen über die Klitoris auf dem Kopf und die Fuckfinger unter den Achseln.
Engagement hat viele Gesichter – oder sollten wir sagen, viele Frisuren? Im Fall von Laetitia Ky schon. 2016 fing sie an, ihr Haar zu Bildern zu flechten. Genauer gesagt schuf sie Skulpturen aus Draht, Faden und ihren Dreadlocks. Das Ky-Konzept, so nennt sie ihr Werk. Was als Spaß vor dem heimischen Spiegel begann – eigentlich hat sie ja Betriebswirtschaft in Yamoussoukro studiert –, wurde schnell zu ihrer Ausdrucksform. Und zum Hype, denn @laetitiaky hat mittlerweile bei Instagram knapp 300.000 Follower. Sie schafft Impact und das ist ihr Antrieb: „Mir hat zum Beispiel eine Frau eine Nachricht geschickt, in der sie schrieb, dass ihre Tochter weinte, weil sie so sehr glatte Haare haben möchte, und dass sie ihr dann meine Bilder gezeigt hätte, um die Kleine mit dem Afrohaar zu empowern. Sie sollte sehen, wie schön, vielseitig und cool Naturkrause sein kann. Ich finde es süß und ermutigend, dass sogar kleine Mädchen von dem, was ich tue, berührt werden können“, so die junge Frau aus Abidjan. Aber es geht ihr um mehr als die Sichtbarkeit für Afrohaar – es geht ihr um Reflektion. Und so wurden aus den netten Bildern auf dem Kopf unmissverständliche Statements. Laetitia wurde in den letzten Jahren immer politischer – und bringt eben nun mit ihren Haarskulputuren das zum Ausdruck, was ihrer Meinung nach in unserer Gesellschaft schiefläuft. Sie fasst es so zusammen: „Ich spreche mit meinen Haaren alles an, was mich aufreibt und berührt. Als überzeugte Feministin spreche ich vor allem über den Zustand der Frauen rund um die Welt und die Gleichberechtigung der Geschlechter. Aber es kann auch vorkommen, dass ich über andere Themen wie Depressionen, Waffengewalt oder Selbstliebe spreche. Am Ende des Tages spiegeln meine Haare meine Stimme. Ich möchte teilen, dass es wichtig ist, man selbst ohne Angst zu sein.“
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Sky isn’t the limit !!! You can do it ! 📸: @kyflorencia #sky #limit #cloud #sun #bird #face
Zum internationalen Weltfrauentag am 8. März zeigte ihr Haar eine Frau, die die Faust zum Himmel streckt – über 51.000 Likes bei Instagram. Am 6. Februar, dem internationalen Tag der Nulltoleranz gegenüber Genitalverstümmelung, postete sie ihr Haar in der Form einer Klitoris – über 38.000 Likes bei Instagram. Aber mal ganz unabhängig vom Insta-Ruhm, auf welche Frisur ist sie eigentlich selbst am meisten stolz? „Auf die Frisur, die ich im Zuge der ,Me too‘-Bewegung kreiert habe. Sie stellte einen Jungen dar, der den Rock eines Mädchens mit Worten anhob. Die Skulptur sollte erklären, dass sexuelle Aggression nie die Schuld des Opfers ist. Nach diesem Beitrag kamen viele Frauen zu mir und teilten mir ihre Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen mit. Es war herzzerreißend, aber ich war stolz zu sehen, wie sich diese Frauen befreit haben. Für einige von ihnen war es das erste Mal, dass sie ihre Geschichte erzählten – und das hat wiederum viele meiner Freundinnen und Anhängerinnen ermutigt, ebenfalls über ihre Erfahrungen zu berichten. Auch wenn es nicht meine beste Skulptur war, war die Wirkung erstaunlich.“ Laetitias künstlerischer und inhaltlicher Anspruch wurde in den letzten vier Jahren immer größer. An einer Frisur sitzt sie teilweise bis zu vier Stunden. Ihr ist mittlerweile klar, wie wichtig die sozialen Medien für sie als Aktivistin sind. „Ich denke, es ist effizienter, wenn eine Botschaft auf kreative Weise vermittelt wird. Bei den sozialen Medien und all den anderen Medien werden wir von vielen verschiedenen Informationen überflutet und wir nehmen uns nicht immer die Zeit, über diese Informationen gründlich nachzudenken. Wir scrollen immer weiter, ohne wirklich darauf zu achten. Aber wenn etwas auf kreative Art und Weise mitgeteilt wird, sind wir doppelt betroffen. Unsere Aufmerksamkeit wird erregt und die Chancen, dass wir darüber nachdenken, sind höher.“
„Ich tue das, um Botschaften von Selbstliebe, Toleranz, Gleichheit und Respekt rauszuhauen. Ich tue das, um die Welt, in der ich lebe, zu verbessern.“
Laetitia Ky geht es nicht nur um die Haare auf dem Kopf
Obwohl es natürlich nicht den einen Feminismus gibt und schon gar kein Regelwerk, wie man es als Feministin mit Körperbehaarung zu halten hat, schwärmt Laetitia ganz on brand in unserem Interview nicht nur über das Haar auf dem Kopf – sondern auch über Achselhaare mit Fuckfingern. Kein Witz, Laetitia flicht auch am Achselhaar an, um ihre Message rüberzubringen: „Ich liebe Haar einfach. Nicht nur die Haare auf meinem Kopf, sondern die Körperbehaarung im Allgemeinen. Sie gibt mir das Gefühl, schön zu sein. Und: Ich nehme mein Haar als Arbeitsmittel, denn die Botschaften, die ich damit kreieren kann, haben eine Wirkung.“
Ja, Laetitias Haare sind ihr wertvollstes Sprachrohr. Aber so viel Haarstolz und Mut brauchen Zeit. Auch bei ihr war es ein Prozess, bis sie alle Scham ablegte und die Haarkünstlerin in sich zeigen konnte. „Als ich ein Teenager war, schämte ich mich für alles an mir. Meine Hautfarbe, meine Körperform, meine Nase. Meine Haare mochte ich auch nicht“, sagt sie. Alle Girls um sie herum hätten sich damals ihre Haare chemisch geglättet und so tat sie es ebenfalls, ohne das zu hinterfragen. Auch wenn sie ihre Haare heute so wertschätzt, dass sie diese nicht mehr mit Relaxer bearbeiten würde, weiß sie, dass alles seine Zeit hat und einen zu dem Menschen macht, der man heute ist. Heute ist sie ein Charakterkopf.
Auf die Frage, was sie noch alles mit ihren Dreads zeigen will, folgt ein Monolog. Ein langer. Denn sie hat so viele Ideen beziehungsweise noch so viel zu tun im Kampf für Geschlechtergerechtigkeit und so viel, dass sie ihren „Schwestern“ mit auf den Weg geben möchte: „Ich hab so viel zu sagen, dass ich ein Buch füllen könnte. Aber wenn ich mich kurz fassen muss, möchte ich mit meiner Arbeit sagen: Ihr seid wertvoll. Die Gesellschaft versucht allzu oft, euch daran zweifeln zu lassen. Ich weiß, dass die Macht der Gesellschaft einschüchternd wirkt. Aber sobald sich Frauen ihres Wertes bewusst werden, kann sie nichts mehr aufhalten.“
Und Laetitia, die lässt sich auch nicht aufhalten. Bisher konnte sie zwar noch nicht von ihrer Haarpracht leben, aber die Zukunft sieht gut aus: Ihre aktivistische Insta-Kunst wird immer größer, Kooperationen winken und sie wurde gerade von Elite Models unter Vertrag genommen. Sie sagt es selbst, um sie muss man sich keinen Kopf machen.
Fotos: Laetitia Ky
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