Wie die Subkultur der „Alt Black Girls“ gerade aufblüht und warum ihre Facetten unendlich sind
Mit dem Mainstream-Erfolg von Künstler*innen wie Willow Smith, Doja Cat oder Rico Nasty bricht nicht nur auf Social Media ein neues Zeitalter für „Alt Black Girls” an. Welche neuen Facetten die Subkultur hat und warum sich der Anglizismus „Alternative” nicht eingrenzen lässt, lest ihr hier.
So langsam aber sicher kehren die Meisten von uns wieder ins Gesellschaftsleben zurück. Das führt dazu, dass junge Schwarze Menschen, die sich selbst als „alternative” bezeichnen [hierbei geht es stehts um den popkulturellen englischen Begriff bzw. das (Musik-)Genre „Alternative”, nicht das deutsche Worte alternativ/Alternative, Anm. d. Red.], eine neue selbstbewusste Identität entwickelt haben. Im digitalen Zeitalter ist „alt” die Abkürzung für den Begriff; auf Social Media hat die Subkultur längst an Bedeutung gewonnen. Alternative-Subkulturen gibt es zwar schon seit Jahrzehnten; außerhalb des Mainstream wären die ersten Assoziationen hier die Emo- und Punk-Szene. Diese Gruppen sind jedoch gesättigt von vielen weißen Anhänger*innen und haben dazu geführt, dass Schwarze Alternative-Subkultur auf natürliche Weise ihre eigene Einheit bildet. Durch Vernetzung auf Social Media befreien sich junge Schwarze Menschen, die Teil dieser Szene sind, nun aber von den Grenzen, die ihnen auferlegt wurden. Damit sind nicht nur die Lockdown-Einschränkungen gemeint, sondern auch durch die gesellschaftlichen Erwartungen darüber, wie diese jungen Menschen sein sollten. Statt sich diesen Erwartungen anzupassen, schwimmen sie mit auf der neuen Welle von Schwarzer Alternative-Kultur.
Black Alt Culture auf TikTok und Insta: Die Perspektive einer neuen Generation
TikTok und Instagram haben in den letzten Monaten vor allem dazu beigetragen, mehr Alt Femme Blackness zu zeigen. Rico Nasty, eine Künstlerin, die sowohl Punkrock als auch Rap macht, steht an vorderster Front, wenn es darum geht, diese Alternativity in die Kultur zu tragen. „Du weißt, dass du ein Schwarzes Girl bist, oder? Dein Haar sollte eingeflochten und nicht hochgespiket sein“, heißt es übersetzt in den Lyrics zu ihrem Song „Jawbreaker”. Ricos Texte haben den Nerv der Zeit getroffen und werden von „altblackgirl”-Creators auf TikTok immer wieder rezitiert. Unter diesem Suchbegriff finden sich Videos von Schwarzen Frauen mit experimentellen Frisuren, von neongefärbten Zöpfen bis hin zu rasierten Irokesen, Gesichtspiercings und Make-up-Looks. Sie lip-syncen alles von Trap Metal bis hin zu Willow Smiths Pop-Punk-Nummer „Transparentsoul”. Damit öffnet sich die Büchse der Pandora von Schwarzer Subkultur aus der Perspektive einer neuen Generation.
„Es ist wichtig, Künstler*innen zu haben, die anders sind. Es ist wichtig, diese Art von Einflüssen in deinem Leben zu haben, wenn du so bist und dich völlig ausgeschlossen fühlst von der Welt.” – Doja Cat
„Alternative Musik zu hören, war für mich ein Solo-Trip”
Gibt Mensch nur den Begriff „altgirl” in einer dieser Apps ein, werden Schwarze Frauen in der Regel im Algorithmus ausgeblendet. Das führt zu einer Trennung, die die Geschichte der Alternative–Szene auch außerhalb des digitalen Raums widerspiegelt. „Als Schwarze Alt-Person war der physische Raum der Alternative-Szene – wie zum Beispiel eine Garagenband – nie mein Zuhause“, sagt Melanie McClain, A&R bei der Indie-Musikfirma Secretly Group. „Alternative Musik zu hören, war für mich eine Art Solo-Trip”.
Collage via NYLON.com
Für Schwarze Frauen kann sich die Musik als Hörerinnen und Künstlerinnen in einer auf Männer ausgerichteten Branche erst recht isolierend anfühlen. Besonders ermutigend ist aber, dass Schwarze Alt-Frauen nun ihren Weg in den Mainstream gefunden haben, und zwar eben durch Musikerinnen wie Doja Cat und Willow Smith an der Seite von Rico Nasty. Sie spielen eine Vorreiterrolle dabei der breiten Masse vielseitige Femme Blackness näher zu bringen. Doja zeigt das in ihrem experimentellen Image und ihren Auftritten, die im vergangenen Jahr von Rock bis Elektro reichten. „Es ist wichtig, Künstler*innen zu haben, die anders sind“, sagte die Rapperin über ihre Inspirationsfunktion für Schwarze Teens. „Es ist wichtig, diese Art von Einflüssen in deinem Leben zu haben, wenn du so bist und dich völlig ausgeschlossen fühlst von der Welt.”
Alt Femme Blackness von Musik bis Beauty- und Fashion-Industrie
Der Einfluss dieser Künstlerinnen hat den Weg für Underground-Musikerinnen wie LustSickPuppy und Junglepussy geebnet, die nach jahrelangen Performances vor Publikum rein innerhalb der Subkultur nun mehr Sichtbarkeit auf größer Bühne bekommen. Diese Künstlerinnen setzen sich weiterhin über die Grenzen hinweg, die ihnen als Schwarze Frauen in der Musik gesetzt wurden, und zeigen ihre ungebrochene Entschlossenheit, ganz nach oben zu kommen. Die Modeindustrie steht dem in nichts nach und setzt sich mehr und mehr für Alt Black Femmes ein. Der unkonventionelle Look von Make-up-Künstlerin Raisa Flowers zum Beispiel, zu dem gebleichte und rasierte Augenbrauen, mismatched Grills und gewagte Beauty-Looks gehören, hat ihr online eine große Fangemeinde beschert – und eine beeindruckende Liste an Kund*innen. Flowers gehört zu den immer bekannteren Schwarzen Frauen, die als Models für große Marken wie Calvin Klein und Savage X Fenty gebucht werden, und ermutigt die Branche zu einem Wandel in der Akzeptanz von Schwarzer Alternative Beauty.
Junglepussy und Rico Nasty. Bilder: Jason Mendez/ Josh Brasted/Getty Images via NYLON.com
Dass das Aussehen Schwarzer Frauen infrage gestellt wird, die sich Piercings oder Tattoos ins Gesicht stechen lassen – Hauptbestandteile der Subkultur – ist eine Ironie des Schicksals. Beider Wurzeln liegen im Schmuck afrikanischer Stämme. Frauen vom Stamm der Mursi in Äthiopien lassen sich ab dem Alter von 15 Jahren die Ohren stechen, ebenso wie Maasai-Männer und -Frauen in Kenia. Tätowierungen und Nasenpiercings gehen auf traditionelle Inder*innen und das Volk der Beja in Ägypten zurück. Sie stehen für Reichtum und Ansehen. Diese Verbindungen mögen im Westen verloren gegangen sein, aber Alternative–Ästhetik kann einen Weg zurück bieten.
Der Blick für eine neue, eigene Tiefgründigkeit
Obwohl es das Argument gibt, dass Schwarze Frauen aufgrund ihrer individuellen Ausdrucksformen nicht als „alternativ” bezeichnet werden sollten, wird der Begriff für diejenigen, die Teil der Szene sind, als bestärkend angesehen. „Ich begrüße es, alternative zu sein“, sagt Areana Powell, eine spirituelle Beraterin, die sich seit ihrem 14 Lebensjahr so identifiziert. „Meine Mutter hat mich auf Metallica, Asking Alexandria und andere Heavy-Metal-Musik gebracht, als ich in der High School war. Zu dieser Zeit kam auch Tyler, the Creator auf und läutete die ,Schwarze Emo-Welle‘ ein. Alt Musik öffnete mir den Blick für Tiefen in mir, die ich früher verdrängt hatte.“
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Von Verdrängung und Verbindung in Communities
Schwarz und alt zu sein, kann innerhalb der Community zu Ablehnung führen. Die heute 23-jährige Areana Powell hat genau die nach eigenen Angaben schon erlebt. „Ich fühlte mich von meiner Race ausgestoßen. Meine Familie wurde als dämonisch bezeichnet, aber meine Eltern halfen mir, mich damit wohl zu fühlen, anders zu sein.“ Das Gefühl der totalen Verdrängung kann ein einsamer Raum sein. Social Media aber hat dazu beigetragen, Verbindungen für Schwarze alt Menschen in dieser Situation zu schaffen. „Instagram, Reddit und jetzt Twitter sind die Orte, an denen ich andere alternative Schwarze Frauen finde“, fügt Powell hinzu. „Es ist, als hätten wir uns alle auf Tumblr versteckt, aber jetzt sind wir hier draußen und haben Spaß, und ich bin so froh, das zu sehen.“
„Alternative zu sein ist nicht nur eine Art. Ich definiere es für mich selbst.“ – Melanie McClain
Alternativ Aufblühen in Brooklyn
Melanie McClain wuchs in der Ära von MySpace auf und fand dort ihre erste Community. „Jede*r nutzte es als Social-App. In den Foren war ich extrem aktiv, so wie man heute Twitter-Freund*innen hat.“ Durch die Musik konnte sie sich mit dem Alternative-Sein identifizieren. „Das ist der Bereich der Alternative-Kultur, in dem ich mich wohl fühle. Alternative zu sein ist nicht nur eine Art. Ich definiere es für mich selbst.“ Physische Räume sind für die Alternative- Erfahrung Schwarzer Menschen ebenso wichtig. McClain hat festgestellt, dass das Leben in Brooklyn, New York, ein großartiges Umfeld für das Aufblühen der Szene ist. „Brooklyn hilft dir, eine größere Perspektive auf alternative Blackness einzunehmen. New York normalisiert es. Hier fühle ich mich verstanden.“
Der Einfluss von „Afropunk“
Brooklyn ist auch die Heimat des Afropunk, einem der etabliertesten und bekanntesten Schwarzen Alternative-Festivals. Afropunk wurde 2003 von James Spooner und Matthew Morgan für die Schwarze Punk-Szene in New York mitbegründet. Das Festival feierte im selben Jahr sein Debüt, in dem der gleichnamige Dokumentarfilm einen tiefen Einblick in die Alternative-Szene der USA gab. Seitdem wurden weitere Festivals ins Leben gerufen – zweifellos inspiriert durch den Erfolg von Afropunk – die Räume für alt People of Color bieten. Darunter sind „Decolonise This” in London und das „Bla/Alt Festival” in North Carolina, USA.
Von Headliner*innen wie FKA Twigs bis hin zu Nischenkünstler*innen wie IAMDDB und Moonchild Sanelly zelebrieren die verschiedenen Acts des Afropunk seit Jahren die Botschaft, dass Schwarze Menschen „so viele verschiedene Dinge sein können“ – eine Botschaft, die der frühe Punk-Performer Ryan Bland, jetzt Leadsänger der New Yorker Hardcore-Gruppe Ache, in der oben genannten Doku zum Ausdruck bringt. Black-Alt-Pionier*innen wie Lenny Kravitz, Grace Jones und Erykah Badu traten dort ebenfalls auf. Sie gehörten zu einer Generation einflussreicher Persönlichkeiten der Subkultur, bevor das digitale Zeitalter ihr einen weiteren Aufschwung ermöglichte und erneut zeigte, dass Blackness wirklich unendlich ist.
Eigene Räume schaffen
Social Media ist heute entscheiden wichtig für diejenigen, die sich in ihrer Umgebung ausgegrenzt fühlen oder sich danach sehnen, mehr über die Szene zu erfahren. Melanie McClain gründete während des Lockdowns zum Beispiel eine Gruppe auf Clubhouse. „Jeden Freitag veranstalte ich einen New Music Friday. Er heißt ,Blurred Lines‘ und handelt von Schwarzen Künstler*innen, die die Grenzen zwischen den Genres verwischen und eine Alternative-Perspektive einnehmen“, sagt sie.„Es gibt keinen anderen Raum für diese Menschen. Ich würde gerne sehen, dass in Zukunft Schwarze Menschen im Mittelpunkt von ,Alternativeness‘ stehen“. Andrea Powell schließt sich dieser Meinung an: „Ich hoffe, dass jüngere Generationen weiterhin Schwarzes Leben annehmen und authentisch sind.“
Text: Escher Walcott // Titelbild: via NYLON.com