Warum sind Körpertypen immer noch ein Trend?
Gespräche über Körpertypen als Teil des „Trend-Zyklus” tragen dazu bei, dass die aktive Ablehnung der Body-Positivity-Bewegung im Verborgenen bleibt.
Im November veröffentlichte die New York Post eine umstrittene und inzwischen virale Reportage, in der sie sich von dem „Booty“ verabschiedete und den Heroin-Chic offiziell für „zurück” erklärte. Der Begriff „Heroin Chic” wurde Anfang der 1990er Jahre populär und bezeichnete die Verherrlichung eines extrem dünnen Körperbaus, dunkler Augenringe, zerzauster Haare und Kleidung, wie sie von Models in dieser Zeit getragen wurden. Seit einem Jahr wird in den sozialen Medien immer wieder über die Rückkehr dieser Ästhetik spekuliert. Zunächst wurde die BBL-Ära für „vorbei” erklärt, nachdem Kim Kardashian angeblich ihren Brazilian Butt Lift reduzieren ließ. Seitdem haben nostalgische Y2K inspirierte Modetrends, dramatischer und absichtlicher Gewichtsverlust von Prominenten und die ständige Bestätigung des Schlankheitsideals durch die Modeindustrie einen Sturm des „thin is in”-Wandels ausgelöst. Warum sind Körpertypen im Jahr 2023 immer noch ein „Trend”?
Ungeachtet dessen, was die Schlagworte „thin is in” und „Rückkehr des Heroin-Chic” implizieren, lässt sich nicht leugnen, dass Dünnsein in der jüngeren Geschichte der Modeindustrie immer der Schönheitsstandard war. Angesichts dieser Tatsache wirken Videos von dünnen Creator*innen, die sich darüber freuen, dass sie diesem Standard wieder entsprechen, nicht mehr zeitgemäß. Allerdings wurde das vergangene Jahrzehnt von der US-amerikanischen Vogue 2014 als „die Ära des großen Hinterns” bezeichnet, was auf den Anstieg der brasilianischen Po-Lifting-Verfahren zurückzuführen ist. Tatsächlich hat der Hashtag #BBL 7,3 Milliarden Aufrufe auf TikTok und die Zahl der weltweit durchgeführten BBLs ist seit 2015 um 77,6 % gestiegen. Jetzt, da Ultra-Skinny wieder im Kommen ist, kann sich die sich aktive Ablehnung der Body-Positivity- und Fat-Positivity-Bewegungen weiterhin unter Gesprächen über den „Trend-Zyklus“ verstecken.
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Während das BBL-Verfahren gefährlich ist und weiterhin betont, dass Kurven nur dann akzeptabel sind, wenn die Taille dünn ist, senden Prominente, die jetzt ihre früheren BBLs rückgängig machen, um dünn zu werden, auch eine ungesunde Botschaft. Dies, so die Menschenrechtsaktivist*in und Model maya finoh, hat auch mit Anti-Blackness zu tun. „Mir ist in letzter Zeit aufgefallen, dass sich weiße Influencer*innen und Celebrities in den letzten Jahren vom Blackfishing und der Aneignung bestimmter Phänotypen Schwarzer/Brauner Menschen abgewandt haben und sich stattdessen wieder dem Dünnsein zuwenden”, sagt finoh. „Ich sehe das – und andere haben sich ähnlich geäußert – als eine Rückbesinnung auf die weiße Weiblichkeit.”
finoh erklärt, dass die Fettfeindlichkeit, die die Modeindustrie mit ihren Körpertypen-Trends aufrechterhält, speziell in der Anti-Blackness verwurzelt ist. „Die Erklärung, dass der Hintern „vorbei” sei, verdeutlicht den Anti-Blackness Rassismus in der Modeindustrie, wenn man die Ursprünge der BBL-Operation versteht”, sagt finoh. Denn das Verfahren geht auf eine lange Geschichte eugenischer weißer brasilianischer Ärzt*innen zurück, die Methoden der plastischen Chirurgie entwickelten, um die schwarzafrikanische und indigene brasilianische Präsenz im Land zu schwächen. „Die Aussage, dass es mit den Hintern vorbei sei bedeutet gleichzeitig auch, dass die Verwendung von Schwarzsein als Ästhetik in der Modeindustrie vorbei ist: Weiß- und Dünnsein sind wieder in Mode.” Es war nie nur ein harmloser Teil des Trend-Zyklus.
Kirsten Oelklaus, Mitbegründerin und Direktorin von Bellatore Recovery, sagt, dass die zyklische Natur dessen, was in Bezug auf Frauenkörper in Mode ist, zu regelmäßigen Körperveränderungen ermutigt und diese von Natur aus gefährlich sind. „Jegliche Vergleiche zwischen einem Körper und einem anderen sind gefährlich und unglaublich entfremdend”, sagt sie. „Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass es keine ,Trends’ geben wird. Aber was wäre, wenn wir das Gespräch über Kleidung zum Trend machen würden und nicht über unsere Körper?” Natürlich gibt es eine Reihe von Aktivist*innen und Creator*innen, die sich für Körperakzeptanz einsetzen und genau das während der Rückkehr der Y2K-Mode getan haben, obwohl die Y2K-Ära selbst dafür bekannt ist, dass sie nicht Körper-inklusiv ist. Trends wie der virale One-Size Diesel Gürtel, ein kurzer Minirock, der den meisten Menschen nicht passen würde, entfernen sich jedoch immer weiter von der Größeninklusivität.
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Oelklaus sagt, dass jede Botschaft, dass es eine „korrekte Art” für das Aussehen unseres Körpers gäbe und dass wir alles tun sollten, um dieses Aussehen zu erreichen, zu extremen Maßnahmen ermutige. In Anbetracht der Tatsache, dass Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen derzeit stark zunehmen, stellt dies ein lebensbedrohliches Gesundheitsrisiko dar. Wie bei allen Trends, die von Celebrities unterstützt werden, geht es letztlich darum, dass reiche und berühmte Menschen weiterhin begehrenswert sind, weil sie einen Körpertyp haben, der für die breite Masse unerreichbar ist. Aus diesem Grund gab es in letzter Zeit Gerüchte über Prominente, die Ozempic-Medikamente einnahmen, um Gewicht zu verlieren, nachdem sich eine so große Zahl der Öffentlichkeit dem BBL-Verfahren unterzogen hatte.
Als wären die extremen Diäten der Prominenten auf der Met Gala und die nicht inklusiven Größen nicht schon genug Druck, können auch Feiertage und Familienfeste dazu führen, dass unerwünschte Gespräche über den Körper geführt werden. „Da viele Feiertagsveranstaltungen mit Essen zu tun haben, ist es unvermeidlich, dass Menschen ihr Verhalten und ihre Emotionen mitteilen, um eine Verbindung herzustellen”, sagt Oelklaus. „Versuche es zu vermeiden, dich darauf einzulassen, wenn jemand sagt, dass er*sie sich schuldig fühle, weil er*sie etwas gegessen habe. Wir müssen nicht das Gefühl haben, dass wir etwas „verdient” haben oder dass wir uns im neuen Jahr „bessern” müssen.”
Neben dem achtsamen Umgang mit Gesprächen zum Thema Essen, haben einige Creator*innen begonnen, sich auf den „thin is in”-Umschwung und die damit einhergehende Diätkultur-Rhetorik vorzubereiten. Sie schalteten Influencer*innen stumm, die eine Diät machen und folgen mehr Menschen, die ihren eigenen Körpertyp haben. finoh folge hauptsächlich anderen „BIPOC fat people”. „Die eigene Timeline auf eine Art und Weise zu gestalten, die Fettfeindlichkeit, Colorism, Ableismus und Misogynoir zurückweist, ist ein guter Weg, um den Frieden zu schützen und die algorithmische Voreingenommenheit zu bekämpfen, die versucht, uns ständig eurozentrische Schöheitsideale aufzudrängen”, sagt finoh.
@crutches_and_spice #stitch with @Danielle Allen, RD #parents need to be monitoring these things very closely. #ReTokforNature #bodypositive #bodyneutrality ♬ original sound – Crutches&Spice ♿️ :
Georgia Sky (bekannt als Bawdy Queen auf TikTok), eine in Los Angeles lebende Schauspielerin und Creatorin, die der Bewegung für Fett- und Körperakzeptanz angehört, ist der Meinung, dass der jüngste Dialog über das ultradünne Ideal ein absichtlicher Versuch ist, die Arbeit der Aktivist*innenen für Body-Positivity und Körperakzeptanz des letzten Jahrzehnts abzulehnen. „Dünnsein war nie wirklich aus der Mode und ich glaube, viele Leute sind nicht begeistert von der Idee der Body-Positivity-Bewegung und davon, dass es dabei um nicht-stereotypische Körper geht”, sagt Sky. „Bigger Bodies wurden schon immer belächelt, und ich denke, dass diese Modetrends diese noch weiter aus einem Raum verdrängen, in dem sie nie willkommen waren.”
Angesichts der Tatsache, dass dieser Trend zu extremer Schlankheit gewollt und ausgrenzend ist, sagt finoh, dass die Überwindung trendorientierter Körpergespräche eine tiefgreifende Hinterfragung „aller Unterdrückungssysteme, die im Spiel sind, die uns falsch erziehen und Gespräche über unsere Körper toxisch halten” erfordert. Dazu gehören natürlich auch Anti-Blackness, Ableismus, Frauen-, Trans- und Fettfeindlichkeit. Schließlich ist die Abkehr von der Vorstellung, dass ein bestimmter Körpertyp „im Trend” liegt, die einzige Möglichkeit, wie wir jemals aus diesem Karussell der ständig unerreichbaren Körperformen, die wir anstreben, herauskommen können.
Text: Laura Pitcher // Headerbilder: Lindsay Hattruck/NYLON, Getty Images, Shutterstock via NYLON.com
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