Voguing: Warum die Ballroom-Kultur mehr als nur Tanz bedeutet
Spätestens seit der Netflix-Serie „Pose” dürfte Voguing auch dem Mainstream ein Begriff sein. Tatsächlich aber blickt die Ballroom-Szene schon auf eine jahrzehntelange Geschichte zurück. Warum die Community viel mehr als nur einen Tanzstil bedeutet, beschreiben euch diese Fotos vom „Goodies Function Kiki“ Ball in Hamburg – und die Worte einer echten House-Mother.
Fotos: Bartosz Ludwinski // Text: Andra Wöllert
Sobald ich einen Fuß in den Ballroom setze, bin ich Zueira Mizrahi Angels. Ihr kann keiner was, sie ist hyper sexy, liebt aufwendige Outfits und zeigt Haut. Und sie liebt die Aufregung, bevor sie auf den Runway tritt und hoffentlich alle umhaut.
Ballroom ist eine Subkultur, die schwarze und latinx Schwule und Transpersonen vor über 40 Jahren in New York geschafften haben, weil sie in der heteronormativen und auch queeren, weißen Gesellschaft marginalisiert wurden. Sie kreierten sich mit Vogue Balls ihren Safe Space und mit so genannten „Houses” ihre Ersatzfamilien.
„Voguing ist für mich Leben! Ich kann darin alles sein, was ich will, und kann mich präsentieren, wie ich will!“ – @dominik.lamovski
„Für mich ist Voguing dynamisch und einfach real!” – @jayjayrevlon
2011 habe ich zum ersten Mal eine Voguing-Performance gesehen und war inspiriert von der Eleganz des Tanzes, der sich aus Model-Posen wie in der „VOGUE” entwickelte. Die hatte ich nicht. Also habe ich an Voguing-Workshops teilgenommen – und wusste einen Scheiß von der Ballroom-Welt.
Es gibt nämlich nicht nur Voguing. Der Tanz ist zwar ein Highlight, aber nur ein Bruchteil eines Balls. Es gibt viele weitere Disziplinen, in denen man sich messen kann: Fashion-Kategorien wie „Runway”, Body-Kategorien oder Realness, in denen sich Gays und Transpersonen heteronormativ geben, wie es auch in ihrem Alltag nötig ist, um nicht belästigt zu werden. Niemand muss voguen.
„Weiblichkeit und Sexualität werden in der Ballroom-Szene gefeiert und nicht als etwas gesehen, das vor der Gesellschaft versteckt werden sollte.” – @sahra.abbassi
Für mich war Voguing die Suche nach Stolz und Weiblichkeit, deshalb wurden die Kategorien „Sex Siren” und „Body” mein Ventil. Mein kurviger Körper wurde immer schon sexualisiert und so konnte ich meine Sexiness allen in konzentrierter Form ins Gesicht slappen – in einem Safe Space. Ich bin so darin aufgegangen, dass ich heute als „So Extra Berlin” Vogue Balls organisiere und eine führende Rolle in meinen beiden Houses Mizrahi und Angels übernommen habe. It’s Mother Zueira now.
„Voguing bedeutet Freiheit – es hat mir beigebracht, mich selbst und meinen Körper mit Stolz zu tragen.” – @sahra.abbassi
Die Netflix-Serie „Pose“ zeigt das Familiengefüge eindrücklich: Eine Trans Woman of Color gründet ein House, wird Mother und wohnt sogar mit ihren Kids unter einem Dach. Man sieht die schönen Seiten, wie die opulenten Outfits und den Zusammenhalt, aber „Pose“ erzählt auch von der Aids-Welle der 80er, Sexarbeit als oft einzige Option oder dass Eltern ihre schwulen Söhne verstoßen. Ballroom ist ein Hafen für all diese Kids, in dem sie der Star sein können.
Aber auch für weiße Cis-Frauen wie mich ist er ein Safe Space. Heterosexuelle Männer haben es schwerer. Sollten sie auch. Denn vor allem wegen ihnen ist dieser Ort entstanden und wegen ihrer Abwesenheit fühlt er sich sicher an. In erster Linie gilt, Ballroom ist ein Space für queere POCs, schließlich wurde er von ihnen ins Leben gerufen. Ballroom ist aber auch inklusiv. Zeigst du Respekt, bist du willkommen in diesem wundervollen Utopia.
Mehr zum Voguing-Ball „Goodies Kiki Function” erfahrt ihr in unserer aktuellen Print-Ausgabe.