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Persönliches Essay von Kim Petras: „Niemand wollte über meine Musik sprechen, weil ich über LGBTQI-Rechte aufklärte“

Was machen, wenn Deutschland einen im Pop-Biz nicht mitspielen lässt? Auf zum größeren Playground. Kim Petras ist mit 19 Jahren von Köln nach L.A. gezogen: Für NYLON rekonstruiert sie im Kim Petras Essay ihren Weg zur internationalen Musikerin: Mittlerweile spielt sie mit den Großen, twerkt mit Charli XCX und bondet mit Demi Lovato. Byeeeeee!

Sie haben mich nicht ernst genommen. Sie kannten mich als Trans-Teenager aus dem Fernsehen. Niemand wollte über die Musik sprechen, die ich mache. Ganz ehrlich: Es war frustrierend. Ich hatte schon das Gefühl, dass die Leute nicht sehen wollten, dass ich Künstlerin bin, weil ich so öffentlich transgender bin. Weil es Reportagen über mich gab und weil ich über LGBQTI-Rechte aufklärte.

Selber Input, neuer Erfolg: Für die Karriere in die USA

Niemand gab mir wirklich eine Chance in Deutschland. Also? Zog ich mit 19 Jahren in die USA. Und plötzlich sagten alle: „Wow, du bist unglaublich.“ Es ist schon witzig, denn im Grunde tat ich dasselbe, war in Foren und arbeitete mit Produzenten im Internet, die mir seit meinem 17. Lebensjahr Tracks zum Schreiben geschickt haben. Und auch wenn das Internet alles verändert hat und man theoretisch von seinem Schlafzimmer aus Musik veröffentlichen kann – veränderte der Ortswechsel für mich alles: Ich musste erst nach Los Angeles ziehen, um auch in Deutschland angenommen zu werden. Plötzlich war meine Musik auch hier interessant, weil sie aus den USA kommt. Kein Scheiß, seit Jahren war ich nicht mehr zu Hause unterwegs und jetzt war meine Tour in Europa in Sekundenschnelle ausverkauft?!

„Ob Popmusik in Deutschland wirklich als eine echte Kunstform angesehen wird? Ich bin mir nicht sicher.“

Ob Popmusik in Deutschland wirklich als eine echte Kunstform angesehen wird? Ich bin mir nicht sicher. Ich komme aus Köln, als deutsches Kind hätte ich gerne deutsche Künstler gesehen, die Popmusik in großem Stil spielen. Das Vorbild, das mir früher fehlte, bin ich heute einfach selbst.

„Famous Friends” oder einfach nur Freunde?

Tag X(CX): Ich hätte niemals gedacht, dass sich Charli XCX bei mir meldet. Ich bewundere Charli, weil sie immer neue Nachwuchskünstler sucht. Sie hat mich ihrer Fanbase vorgestellt. Dafür werde ich ihr für immer dankbar sein. Troye Sivan tat das Gleiche. Dass ich für ihn die Show eröffnen durfte, war wirklich sick! Es ist so wichtig, Freunde zu haben, die dich in deiner Branche unterstützen – und du unterstützt sie auch wieder. Es hilft, ein Netzwerk von Künstlern aufzubauen, sich zu lieben und zu respektieren.

Ich erwische mich schon beim Gedanken, es seltsam zu finden, dass einige Leute in der Musikwelt nur mit Berühmten abhängen. Meine Freunde sind eben meine Freunde – und berühmt. Manchmal kann ich das kaum fassen. Aber ich bin echt mit jedem befreundet, mit dem ich arbeite. Ich habe hier in Los Angeles meine Leute gefunden, die ich wirklich liebe. Troye und Charli sind ride or die.

Der Fame bleibt in den Interviews – nicht bei Mama und Papa

Ich weiß aber, dass der ganze LA-Hype nicht wichtig ist, daran erinnern mich meine Eltern in Deutschland zum Glück. Wir facetimen so oft wie möglich: Wenn ich dann erzähle, dass ich zum Beispiel für „L.A.“ Reid gesungen habe, dann fragen sie eh: „Was? Wer? Was ist das denn?“ Es tut gut, dass dieses Zeug für sie keine Rolle spielt. Deshalb versuche ich auch, nicht mit ihnen über meine Karriere zu sprechen – denn dann rede ich nur über mich. Und das tue ich ja in Interviews bereits genug. Wir sprechen lieber über ganz normale Dinge und sie halten mich auf dem Laufenden, was in der Heimat passiert.

„Manchmal werde ich gefragt, was ich meinem Teenager-Ich aus heutiger Sicht raten würde: einen Fuck auf das zu geben, was andere in der Schule sagen.“

Der „American Dream” im Kim Petras Essay

Manchmal werde ich gefragt, was ich meinem Teenager-Ich aus heutiger Sicht raten würde: einen Fuck auf das zu geben, was andere in der Schule sagen. Die können mich alle mal. Just kidding, ich formuliere es mal eher so: Ich würde mir sagen, dass alles okay wird. Dass ich an mich glauben soll. Grundsätzlich denke ich, dass du an deinem Ziel ankommst, wenn es so weit ist. Wenn ich all das nicht durchgemacht hätte als Teenager, hätte ich vielleicht nicht diese wichtigen Lektionen gelernt und an mir selbst gearbeitet, um besser zu werden. Ich wäre dann nicht die Person, die ich heute bin. Das war’s wirklich wert. Ich war eine Outsiderin in der Schule, dann deutschlandweit bekannt. Ich baute mich wirklich von Grund auf auf, zog mit meinem eigenen Geld, das ich durch Kellnern verdient habe, nach Los Angeles und schlief auf Studiocouchs. Wie gesagt: Niemand hat mir etwas geschenkt. Ich musste mich beweisen und jeden Tag in gefühlt einer Million Songwriting-Sessions schreiben. Ich tat wirklich verdammt alles, was mir möglich war, und glaubte an mich selbst. Zumindest habe ich es versucht.

„Denn das mit dem Selbstvertrauen ist ja so eine Sache: An manchen Tagen habe ich gar kein Vertrauen und an anderen habe ich all das Vertrauen der Welt.“

Denn das mit dem Selbstvertrauen ist ja so eine Sache: An manchen Tagen habe ich gar kein Vertrauen und an anderen habe ich all das Vertrauen der Welt. Das ist es auch, worum es auf meinem Album „Clarity“ geht: Unsicherheiten sind menschlich. Ich habe das Gefühl, dass es gerade als Künstler/-in schwer ist, immer selbstbewusst zu sein. Meine vorherigen Singles waren wie meine Superhelden-Version von mir selbst, dabei existiert die gar nicht. Vertrauen kommt und geht in Phasen. Und das ist okay. Woo-ah!

Fotos: PR

Dieses Kim Petras Essay wurde ursprünglich in NYLON Ausgabe #8 und am 05. Dezember 2019 veröffentlicht.

Nylon
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