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Mal ehrlich, sind Award-Shows bald irrelevant?

Mit den Nominierungen für die Golden Globes 2021 sind viele unzufrieden. Hinter der Kritik steht eine größere Debatte, denn trotz A-List-Gästen kämpfen die Riesen unter den Preisverleihungen seit längerer Zeit um Relevanz. Schon im letzten Jahr haben wir uns deshalb gefragt: Brauchen Award Shows ein radikales System-Update?

Der Meilenstein-Gewinn von „Parasite”, dem koreanischen Blockbuster, konnte auch nicht helfen. Die Oscars 2020 waren vieles, aber nicht wirklich spannend. Anstatt etwa „aufregend“ oder gar „revolutionär” waren „sexistisch” und „rassistisch” schon im Vorfeld eher die beschreibenden Adjektive of choice. Auch andere Awards, darunter das musikalische Pendant Grammys, hatten in der Vergangenheit schon deutliche als auch weniger offensichtliche Probleme mit der Vielfalt – Stichwort Tyler, the Creator. Und wer kann eigentlich noch die letzten VMAs von denen im Jahr davor unterscheiden? Die Welt der Award Shows strauchelt. Dabei war sie einst eine Art international umfieberte „fünfte Jahreszeit” voller ikonischer Looks und Momente.

Dieser Artikel würde ursprünglich am 13. Februar 2020 veröffentlicht. Es wurden kleine Änderungen vorgenommen.

Flashback oder Ignoranz: Wie geht man mit Award Shows um?

An spannenden Persönlichkeiten und den passenden Looks mangelt es uns definitiv nicht. Und trotzdem scheinen innerhalb der letzten Jahre viele Award-Saisons nach dem gleichem Schema verlaufen sein. Sie sind gezeichnet von Debatten um Repräsentation und Diversity, und das nicht nur in ethnischer oder genderthematischer Aufstellung. Auch technische Kämpfe scheinen eine Rolle zu spielen. Musik- und Film-Streaming bietet klassischen Formaten die Stirn. Die verzweifelte Reaktion auf diese Ungleichheiten ist oft eine Rückschau. Als Teil ewiger Nostalgie teilen Medien Jahrzehnte zurückliegende Looks und Momente, anstatt die Gegenwart zu hinterfragen. Davon kann sich kaum ein Profil freimachen und es wäre gelogen, wenn wir in dieser Redaktion nicht auch schon vor solchen Flashbacks gestanden hätten. Die nächste Alternative wäre schließlich Ignoranz.

 

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Wenn es dann aber doch an das Recap einer Verleihung geht, spult sich das Tape ebenso oft von vorne ab. Man postet die besten Momente, meist gibt es einen Skandalauftritt, den es zu besprechen gilt. Die eine große Rede, oder eben ein gefeiertes Outfit von Billy Porter. Ein paar Tage später aber scheinen auch diese Eindrücke verweht, manchmal braucht es nur Stunden. Dass man sich in 10 Jahren gleichermaßen darauf zurückbesinnt? Very unlikely.

Die Message ist das einzige, was noch zählt

Lediglich die Statements für gesellschaftlichen Wandel, welche Award-Shows gerade noch zu hinterlassen versuchen, sind das, was bleiben könnte. Mehr denn je dienen der rote Teppich und die Bühne als Leinwand für Debatten über gesellschaftliche Missstände. 2020 gehörte zu den meistbesprochenen Outfits nicht etwa der Look eines  Mr. Porter, sondern einer Mrs. Portman. Die Schauspielerin Natalie Portman trug auf dem roten Teppich einen Mantel, auf dem die Namen von Regisseurinnen eingestickt sind. Regisseurinnen, die bei den Oscar-Nominierungen ignoriert wurden. Aktionen wie diese fordern auch auf  vermeintlich gleichgesinnten Seiten Debatten. So wurde Portman von Kollegin Rose McGowan scharf für ihren „Fake-Support“ kritisiert. Weniger interne Kritik erntete der schwarze Red-Carpet-Dresscode zur Zeit von #TimesUp vor zwei Jahren [Anm. d. Red.: Inzwischen wurde auch diese Bewegung kritisiert].

 

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Statt einem „Danke” gibt es wichtige Kritik

Es wirkt so, als sprächen Gewinner*innen in wachsender Frequenz immer mehr Themen an, die nichts mehr mit klassischen Danksagungen  zu tun haben. Vielmehr geht es um soziale Gerechtigkeit, wie zum Beispiel in den Reden von „Joker”-Darsteller Joaquin Phoenix oder des Teams hinter dem Oscar-Kurzfilm „Hair Love“. Manchmal richten sich die Worte sogar gegen die Award-Industrie selbst. Ex-NYLON-Coverstar Halsey hebt in ihrer Rede bei den American Music Awards die Fragestellung dieses Artikels nur noch einmal hervor. Auch Charli XCX freut sich über ihre Brit-Award-Nominierung, schlussfolgert bei aller Dankbarkeit aber auch, dass „diese Nominierung nicht wirklich irgendwas verändert”.  Fast scheint es also frech, häufig aber vor allem langweilig, wenn Preisträger*innen ihre Dankesrede – und damit ihre Plattform – nicht für Kritik oder eine wichtige Botschaft nutzen.

Dass dem so ist, ist selbstverständlich gut. In welcher Atmosphäre ließen sich sonst wichtige Messages verbreiten, wenn nicht auch im Kontext von Award-Shows? Wo könnte man besser öffentlich Zeichen für Wandel und Repräsentation setzen, als auf einer Bühne? Dennoch helfen diese Aspekte nicht dabei, dass das Prinzip der klassischen Preisverleihung immer öfter alt und eingefahren wirkt. Oder, besser, dass es sich an einer Zeit zu orientieren scheint, die mit dem aktuellen Medienangebot nicht mehr viel gemeinsam hat. Wie „subjektiv beeinflusst“ schon allein vorausgewählte Nominierungen sein können, zeigen die bereits erwähnten Rassismus- oder Sexismus-Kritiken.

Übereinstimmung unmöglich: Warum es keine „Besten” mehr braucht

Davon aber mal abgesehen: Wie sollen sich eine Academy-Award-Jury, eine Recording Academy oder sonstige Verbände im heutigen Angebot entscheiden? Die vergangene Dekade hat die Kulturlandschaft einmal mehr in so kleine Nischen unterteilt, dass manche Sub-Kategorie nur schwerlich zu identifizieren ist. In einer Zeit, in der Streaming-Rekorde einander innerhalb kürzester Zeit ablösen und täglich neue Filme und Songs hochgeladen werden, scheint es altmodisch, einmal pro Jahr „den oder die Besten” zu küren. Werden im Streben nach individuellem Geschmack die Stempel „Oscar-Preisträger*in“ oder die Grammy-Anzahl eines Albums nicht manchmal absichtlich überlesen? In manchen Freundebüchern dürfte das Feld des „Lieblingsfilms” oder der „Lieblingsband” heute wohl leer bleiben.

 

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Ein Beitrag geteilt von Diet Prada ™ (@diet_prada) am

Achtung: Update lange überfällig

Versteht mich nicht falsch, die eine Antwort auf die Frage nach einer stabilen Award-Zukunft habe auch ich (noch) nicht. Es ist auch nicht so, dass ich mir nicht jedes Jahr eine Galerie der Outfits ansehen würde oder insgeheim bei @diet_prada auf die Rezension jener warte. Oder, dass in unserer Redaktion nicht die Diskussionen um Highs und Lows dieser Abende geführt würden. Auch, dass sich das Gesicht von Awards mit ihren Gewinner*innen verändert, ist wichtig. Mit jedem weiteren Jahr frage ich mich dennoch, wie lange es noch in dieser Form weitergehen kann. Denn: Es braucht nicht noch weitere Kategorien, nicht nur Änderungen im Show-Ablauf, nicht nur Memes, sondern ein radikales System-Update. Vielleicht bedeutet das die komplette Abschaffung, vielleicht sogar noch mehr eigene Awards für Nischen. Zu verliebt scheint die US-amerikanische Entertainment-Welt dafür noch in das Überreichen kleiner goldener Figuren.

Die nackte Wahrheit: Die Zahlen der Award-Shows sinken

Am Ende belegen es aber die nackten Zahlen. Trotz kurzen Rebounds im letzten Jahr haben die Einschaltquoten der Oscars 2020 ein weiteres Minus von 20 Prozent erreicht, wie es in der „New York Times” heißt. Zwar muss berücksichtig werden, dass hier nicht die Zahlen von Streaming-Übertragungen einbezogen wurden. Ein neuer Tiefpunkt bleibt es aber trotzdem – und dabei waren die US-Zuschauer im letzten Jahr doch angeblich vor allem „liberale Frauen aus der Gen-Z”. „Nur” noch fünf Millionen Zuschauer mehr als die Golden Globes und Grammys (und auch die sanken um fünf Prozent) hätten die Oscars gehabt. Früher gab es einst 18 Millionen Viewer Unterschied. Ob das an der erneut fehlenden Moderation gelegen hätte, überlegt „Times”-Autor John Koblin. Oder daran, dass sich Streaming-Nutzer nicht mehr dreieinhalb Stunden Show am Stück reinziehen könnten, dazu noch unterbrochen von 40 Minuten Werbepausen. War die Oscar-Verleihung zu nah an andere Shows datiert?  „Gab es im Raum noch genügend Sauerstoff zum Atmen für die Oscars?”, fragt Koblin. Er liefert damit viele Rechtfertigungen. Eine große Frage aber fragt er nicht: Ob diese Luft überhaupt noch jemand atmen möchte.

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Robin Micha
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