Lost and Found: Erfahrungen von Kreativschaffenden aus der südasiatischen Diaspora
Menschen aus der südasiatischen Diaspora sind in der Kreativbranche immer noch unterrepräsentiert. In diesem von Sepia inszenierten Editorial teilen fünf Personen ihre Lebenserfahrungen und Perspektiven ihrer Herkunft und kulturellen Identität in Bezug auf ihre kreative Arbeit.
Mittlerweile werden die Casts in der Modebranche immer diverser. Aber oft ist es noch so, dass BIPoCs zwar vor der Kamera stehen, das Team hinter den Kameras aber noch all white ist. Im Editorial Lost & Found von Sepia, einer Plattform mit Fokus auf die südasiatische Diaspora, erzählen uns fünf Menschen mit südasiatischen Wurzeln von ihren Erfahrungen als Teil der Kreativbranche.
Sie berichten, wie sie ihre Herkunft und kulturelle Identität wahrnehmen und in ihre Arbeit einfließen lassen, was es bedeutet, in einer hauptsächlich weißen Gesellschaft aufzuwachsen und wie sie den Bezug zu ihrer Herkunft verloren und wiedergefunden haben.
Die Interview- und Porträtreihe wurde von einem Team mit größtenteils südasiatischen Wurzeln produziert und es wurde bewusst auf Styling mit traditioneller Kleidung und Schmuck verzichtet, um Stereotype zu vermeiden. Stattdessen sind subtile Details in Requisiten und in den Looks zu sehen, die den kulturellen Hintergrund der Personen widerspiegeln.
Sichtbarkeit für Kreativschaffende aus der südasiatischen Diaspora
Sepia ist eine in Berlin ansässige neu gegründete Plattform und Kreativwerkstatt, die sich an die südasiatische Community richtet. Sie will Menschen mit vielfältigen südasiatischen Hintergründen eine Bühne bieten, um ihre Geschichten und Arbeiten zu teilen, die in den gängigen Medien leider oft noch nicht ausreichend repräsentiert sind.
Mit Sepia wollen die Gründerinnen Pia Ahmed und Yashvi Sheth – deren Wurzeln selbst in Bangladesh und Indien liegen – einen Raum schaffen, in dem die Vielfalt und Kultur der südasiatischen Gesellschaft gefördert wird. So soll besonders Personen mit südasiatischen Wurzeln aus der Kreativbranche Gehör, Wertschätzung und Verständnis entgegengebracht werden, da dieser Bereich selten gefördert und noch seltener mit Südasiat*innen in Verbindung gebracht wird.
*Anm. d. Red. Südasiatisch bezieht sich auf die Menschen, die aus der Region Südasien stammen oder dort ihre Vorfahren haben. Südasien ist ein Subkontinent im südlichen Teil Asiens und besteht aus mehreren Ländern, darunter Bangladesch, Bhutan, Indien, Malediven, Nepal, Pakistan, Sri Lanka und Afghanistan.
v.l.n.r. Fatima: Shirt von Rescha Paris, Rock von Weekday, Hand- und Beinwärmer von Lion Busch, Ohrringe: Stylist’s own, Schuhe: Fatima's own Yashvi: Top & Bralette von Rescha Paris, Top & Rock von Olivia Ballard, Schuhe: Yashvi's own Ram: Jacke & Shirt von Emeka, Hose: Ram's own, Schuhe von Asos
Fatima, Firas, Johnny, Ram und Yashvi im Interview mit Sepia
Sepia: Wer bist du? Erzähl uns ein wenig über dich.
Fatima Khan: Mein Name ist Fatima Khan, ich bin 1987 in Bhola, Bangladesch geboren und in Köln, Deutschland, aufgewachsen. Heute bin ich freie Autorin, Künstlerin, Kuratorin und Moderatorin. 2018 habe ich die [qlit]*clgn, das erste feministische Literaturfestival Deutschlands initiiert und mitbegründet, zu dem ausschließlich nichtweiße Frauen und genderqueere Personen eingeladen waren. Derzeit studiere ich literarisches Schreiben und arbeite an meinem Debütroman.
Firas Colin: Ich bin Firas Colin, halb deutscher und halb bengalischer Fotograf/ visueller Künstler, der in Deutschland aufgewachsen ist. Mein besonderer kultureller Background hat die Person, die ich heute bin, sowie meine Herangehensweise an das Leben und die Fotografie stark beeinflusst.
Johnny Kulo: Mein Name ist Johnny Kulo, ich bin Künstler und Musikdirektor und lebe in Berlin. Geboren und aufgewachsen bin ich in Nagpur, einer Stadt in Nordindien in einem gläubigen Haushalt. Ich habe in der Kirche Musik gemacht und jedes Instrument gespielt, das man mich hat spielen lassen: Schlagzeug, Keyboard, Gitarre, alles mögliche. Das war jahrelang meine Verbindung zur Musik, bis ich älter wurde und die Welt des Songwriting entdeckte.
Ram Paramanathan: Mein Name ist Ram Paramanathan. Hauptsächlich arbeite ich als Redakteur und Creative Producer für TV-Shows. Aber ich lasse meine Kreativität auch in Social-Media-Inhalte und Strategien für Marken und ihre Kampagnen einfließen. Wie viele andere Non-Stop-Arbeitende mit Migrationsgeschichte, reicht das natürlich nicht aus, denn ich gebe auch Konzerte mit Karnatischer Musik (süd-indische klassische Musik), organisiere Community Veranstaltungen wie „The South Asian Hangout” und schreibe Artikel für Kulturmagazine.
Yashvi Sheth: Mein Name ist Yashvi. Ich wurde in Mumbai, Indien, geboren und bin in Deutschland aufgewachsen. Ich arbeite hauptsächlich als Model, bin aber auch ab und zu in der kreativen Produktion tätig. Außerdem habe ich Sepia mitbegründet, um eine Plattform zu schaffen, die sich an die südasiatische Community richtet.
Erstes Bild: Yashvi: Top & Hose von Lion Busch, Kleid von Olivia Ballard, Schuhe: Yashvi's own, Ohrringe: Stylist’s own Zweites Bild: Firas: Shirt von Esoraa, Weste & Hose von Sleep-Over, Schuhe von Asos
v.l.n.r. Johnny: Shirt von Hien Le, Weste & Hose von Emeka, Schuhe von Topshop Yashvi: Top & Hose von Lion Busch, Kleid von Olivia Ballard, Schuhe: Yashvi's own, Ohrringe: Stylist’s own
Ich sah immer mehr südasiatische Models, die für große Marken arbeiteten, und diese Art der westlichen Repräsentation war wirklich etwas, was ich damals gebraucht und geschätzt hätte. – Yashvi
Gab es, als du jünger warst, einen Moment, in dem du deine Herkunft abgelehnt hast, und hast du mit zunehmendem Alter gelernt, sie zu akzeptieren? Wenn ja, auf welche Weise ist das geschehen?
Fatima: Lange Zeit hätte ich mir nicht vorstellen können, Goldschmuck oder ein Nasenpiercing zu tragen. Als ich 2019 das erste Mal nach meiner Geburt wieder in Bangladesch war, hat sich mein Blick und meine Perspektive darauf sehr verändert und ich habe mir noch vor Ort ein Piercing stechen lassen. Nachdem ich wieder zurück in Deutschland war, bat ich meine Mutter um die aufwändig verzierten, schweren Goldohrringe, die sie von meinem Vater zur Hochzeit geschenkt bekommen und die sie mir vorher immer wieder angeboten hatte. Ich ziehe sie heute vor allem dann an, wenn ich mich besonders schick machen möchte.
Johnny: Von außen betrachtet mag es so aussehen, als würden alle „Inder*innen“ dieselbe Erfahrung machen. Aber ich bin bezüglich Sprache, Kultur und Ideale zwischen zwei völlig unterschiedlichen Realitäten aufgewachsen, und das war für mich ein viel größerer Kulturschock als der Umzug nach Deutschland.
Ram: Ich würde sagen, dass ich durch die Kunst und die Sprache, die meine Eltern mir beibrachten, schon immer mit meiner Herkunft verbunden war. Heute erkenne ich, dass es eine Phase gab, in der ich mich emotional von meiner Herkunft getrennt habe, da ich das Gefühl hatte, nicht das zu sein, was von mir erwartet wurde. Ich nahm an allen traditionellen Tanzkursen, am Musikunterricht und an Gemeindeveranstaltungen teil, aber ich war mir sicher, dass ich nicht wirklich „einer von ihnen“ war.
Yashvi: Meine Eltern wollten sicherstellen, dass das nicht passiert, also haben wir so ziemlich jedes Jahr Indien besucht. Und ich muss sagen, dass ich sehr dankbar dafür bin, denn so konnte ich die Verbindung zu Mumbai und zu meiner Familie dort aufrechterhalten. Trotzdem war es manchmal schwierig, offen gegenüber und stolz auf die Herkunft zu sein, wenn jeder um einen herum Stereotype auf einen projiziert.
Die Leute waren damals auch offen rassistisch und sagten Dinge wie „Du bist hübsch für eine Inderin“ und machten sich über meine Hyperpigmentierung lustig. Das hat mein Selbstvertrauen wirklich beeinträchtigt. Als ich älter wurde und beschloss mit dem Modeln anzufangen, gewann ich mein Selbstvertrauen zurück. Ich sah immer mehr südasiatische Models, die für große Marken arbeiteten, und diese Art der westlichen Repräsentation war wirklich etwas, was ich damals gebraucht und geschätzt hätte.
Yashvi: Top von Rescha Paris, Top von Olivia Ballard Ram: Jacke & Shirt von Emeka Johnny: Shirt von Hien Le, Weste von Emeka Fatima: Shirt von Rescha Paris, Ohrringe: Stylist’s own Firas: Shirt von Esoraa, Weste von Sleep-Over Fatima: Shirt von Rescha Paris, Rock von Weekday, Hand- und Beinwärmer von Lion Busch, Ohrringe: Stylist’s own, Schuhe: Fatima's own Firas: Shirt von Esoraa, Weste & Hose von Sleep-Over, Schuhe von Asos
Was hast du über dich selbst herausgefunden? Wie hat sich dadurch deine Perspektive verändert?
Fatima: Viel zu lange habe ich mich lediglich daran abgearbeitet, nicht dem zu entsprechen, was meine Familie oder die Mehrheitsgesellschaft von mir als Frau erwartet hat. Es ist sehr schwierig für mich, mit der Scham umzugehen, die ich früher bezüglich meiner Herkunft empfunden habe und der Schuld, die ich heute deshalb empfinde. Mittlerweile bin ich aber auch sehr wütend, dass die Dinge, für die ich damals ausgegrenzt wurde, wie unsere Gewürze, unser Essen, unsere Kleidung, unsere Ästhetik, heute von weißen Menschen „entdeckt” und angeeignet werden, um als weltoffen und progressiv zu gelten.
Firas: Als ich jünger war, kämpfte ich mit meiner Identität und fühlte mich oft nicht verbunden mit meiner bengalischen Herkunft, da ich die einzige Person in meinem Kindergarten/ Schule war, die anders aussah und eine Sonderbehandlung erhielt, z. B. anderes Essen, weil ich muslimisch bin. Es hat mich jeden Tag daran erinnert, dass ich anders bin. Als ich jedoch älter wurde und mehr Menschen mit asiatischem Hintergrund kennenlernte, begann ich, meine Wurzeln tiefer zu erforschen, und mir wurde klar, wie wichtig es ist, mein Erbe zu schätzen und zu würdigen.
Johnny: Früher hatte ich immer das Gefühl, dass ich anders bin. Aber als ich älter wurde, habe ich gelernt, dass ich in der privilegierten Lage bin, mehrere Kulturen, die Teil meiner Identität sind, zu erleben. Irgendwann war ich in der Lage, stolz darauf zu sein, dass ich fließend Hindi und Tamil spreche und dass ich beides bin, Tamil und Maharashtrian.
Ram: Meine Sichtweise hat sich verändert, als ich herausgefunden habe, dass es in meiner Kultur einen Platz für Geschichten wie meine gibt, welche Queerness, Kreativität und Community in einer Weise zeigen, die es in der westlichen Kultur so nicht gibt. Ich fing an, mir eine auserwählte Familie aufzubauen, der ich sehr nahe stehe und für die ich sehr dankbar bin.
Mittlerweile bin ich aber auch sehr wütend, dass die Dinge, für die ich damals ausgegrenzt wurde, wie unsere Gewürze, unser Essen, unsere Kleidung, unsere Ästhetik, heute von weißen Menschen „entdeckt” und angeeignet werden, um als weltoffen und progressiv zu gelten. – Fatima
Ram: Jacke & Shirt von Emeka, Hose: Ram's own, Schuhe von Asos Fatima: Shirt von Rescha Paris, Rock von Weekday, Hand- und Beinwärmer von Lion Busch, Ohrringe: Stylist’s own, Schuhe: Fatima's own Yashvi: Ohrringe: Stylist’s own
Welchen Teil von dir selbst und/oder deiner Herkunft lässt du in deine Arbeit einfließen oder würdest du gerne in Zukunft einfließen lassen?
Fatima: Meine Herkunft und die Erfahrungen, die ich gemacht habe, fließen unweigerlich in jede Arbeit, die ich mache oder vor allem nicht mache. Lange Zeit habe ich mir nicht vorstellen können, einen Lebensweg als Künstlerin bestreiten zu können, so wenig, dass ich vor mir selber verborgen habe, dass ich schreiben will. Mittlerweile versuche ich genau diese Erfahrungen in meinem Schreiben zu verarbeiten.
Firas: Mit meiner Fotografie möchte ich die Schönheit und Komplexität der Welt um uns herum einfangen und gleichzeitig die reiche Vielfalt der Kulturen und Perspektiven, die in ihr existieren, hervorheben. Ich lasse mich sowohl von meiner deutschen als auch von meiner bengalischen Herkunft inspirieren und lasse Elemente beider Kulturen in meine Arbeit einfließen, um einen einzigartigen und dynamischen visuellen Stil zu schaffen.
Johnny: Ich habe nicht das Bedürfnis, meine südasiatische Herkunft mit Sprache, Bildern oder irgendetwas anderem untermalen zu müssen, um meine Identität zu unterstreichen. Und wenn, dann wird es sich auf natürliche Art und Weise ausdrücken.
Yashvi: Ich möchte normalisieren, dass es Teile von einem gibt, die mit der eigenen Kultur sehr verbunden sind, und Teile, die es vielleicht nicht sind, weil man aus dieser Kultur herausgewachsen ist. Ich denke, das ist es, was uns einzigartig macht.
Johnny: Shirt von Hien Le, Weste & Hose von Emeka, Schuhe von Topshop
Wenn ich zurückblicke, würde ich meinem jüngeren Ich sagen, dass ich keine Angst haben sollte, aufzufallen oder mein Anderssein zu akzeptieren. – Firas
Was würdest du einer jüngeren Version von dir selbst sagen?
Fatima: Gib nicht auf, irgendwann wirst du der Mensch sein können, der du schon immer warst und sein wolltest und das Leben führen können, von dem du immer geträumt hast.
Firas: Wenn ich zurückblicke, würde ich meinem jüngeren Ich sagen, dass ich keine Angst haben sollte, aufzufallen oder mein Anderssein zu akzeptieren.
Johnny: Jede Entscheidung, die ich getroffen habe, und alle Situationen, in denen ich war, haben mich genau dahin gebracht, wo ich sein will. Und ich würde nichts davon aufgeben oder mir etwas anderes wünschen.
Ram: Calm down Beyoncé, you are not alone.
Yashvi: Es wird alles besser.
Fatima: Shirt von Rescha Paris, Ohhringe: Stylist’s own
Fotos: Dhanesh Jayaselan
Foto Assistent: Selani Franchesca
Stylist: Aathirai Valentine
Makeup Artist: Florina Vyas & Hoi Tung Delphine Chan
Creative Director: Pia Ahmed, Yashvi Sheth, Dhanesh Jayaselan
Produktion: Sepia (Yashvi Sheth & Pia Ahmed)
Post-Produktion: Franco Erre
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