Search:

K-Pop-Band aus Mensch und Avatar: Wie „Aespa” Pop und Künstliche Intelligenz vermischen

Diese K-Pop-Band hat acht Mitglieder, aber nur die Hälfte davon sind reale Menschen. Dürfen wir vorstellen: Aespa, der neueste Act in der Arena virtueller Musikstars. Hier hat jedes Bandmember einen eigenen Avatar, geschaffen aus künstlicher Intelligenz. Wie funktioniert das? Zeit für ein Meet & Greet.

Giselle fällt es schwer, sich auf ihre Vorlesung zu konzentrieren. Zu ihrer Verteidigung: Finden wir nicht alle Social Media manchmal spannender als den Unterricht? Als eine der vielen Menschen, die ihre æs – virtuelle Avatare, geschaffen aus den Daten, die wir im Internet posten – genau kennen, ist Giselle mit dem Thema bestens vertraut. Ihr Avatar, von den Meisten æ-Giselle genannt, sitzt im hinteren Teil der Klasse, trägt einen unscheinbaren Kapuzenpulli und schwänzt genauso wie Giselle, während sie beide über ein geteiltes Tablet an Texten arbeiten.

Gerade als der holografische Professor in die Erklärung eintauchen will, wie æs ein Teil von uns selbst sind, stockt er. Es gibt eine Störung, einen „Glitch”. Im Hintergrund ist æ-Giselle wie eingefroren. Während das Hologramm stottert und stottert, hört Giselle, wie ein Stift zu Boden fällt. Als sie sich umdreht, ist ihr Avatar verschwunden.

Wer das für den Anfang eines Science-Fiction-Films hält, liegt nicht weit daneben. Dies ist das erste Kapitel der Geschichte von aespa, der ersten K-Pop-Band mit eigenen Avataren aus künstlicher Intelligenz – den æs. Während die Band-Mitglieder Karina, Giselle, Winter und Ningning in der realen Welt unterwegs sind, halten ihre KI-Gegenstücke die Stellung in der virtuellen. Sie sind Freundinnen, Begleiterinnen und Unterstützerinnen der echten Mitglieder. Dass die Welt, die um einen Act geschaffen wird, kosmische Ausmaße wie bei aespa hat, ist üblich für die Entertainment-Firma SM. Wie sich herausstellt, spielen die Bandmember von aespa eine große Rolle in dem frisch erschaffenen fiktiven Universum, das das Label ins Leben gerufen hat. Es geht dabei um eine Mischung von Science Fiction, Technologie und Musik mit dem Namen „SM Culture Universe“. (Vielleicht bekommt es sogar bald seinen eigenen Hollywood-Film.)

Willkommen im Universum von aespa: So verläuft ihre Geschichte

Die Grundidee ist folgende: In der Welt von aespa leben Menschen und ihre æs nebeneinander. Die æs gehören zu einer virtuellen Welt namens FLAT, aber ein „Navigator“ namens NÆVIS hat ein P.O.S (Portal of Soul) geöffnet, das es den æs ermöglicht, ihr reales Gegenüber zu treffen – ein Prozess, der sich SYNK nennt. Die æs nehmen anschließend am Unterricht teil, halten ihrem Gegenüber bei Spielen den Rücken frei und teilen sogar die Vorzüge davon, ein Internet-Celebrity zu sein. Jedes noch so futuristische Märchen braucht aber auch eine*n gute*n altmodischen Bösewicht*in. In diesem Fall ist das die Black Mamba, ein schlangenartiges Wesen, das die Verbindung zwischen der realen Welt und der FLAT kappen will. Und irgendwie ruht die Zukunft der Welt also auf den Schultern dieser acht – nicht vier – Band-Mitglieder.

„Wir sind eine achtköpfige Gruppe“, erklärt Karina, Frontperformerin der Gruppe, auf einer Pressekonferenz zu ihrer neuen Single „Next Level“. „Wir hatten lange Unterricht, um unser Konzept und unser Universum vollständig zu verstehen. Jetzt wissen wir, wer wir sind.“

Schon vor dem Zeitalter des Internets waren virtuelle Idole eine feste Größe auf dem Radar der Popkultur. Frühere Aufzeichnungen nehmen das Wort „virtuell“ wörtlich: Von animierten Serien wie „Alvin and The Chipmunks”, „The Archies” und „Josie and The Pussycats” erschien außerhalb der Sendungen Musik, die auch dann von den Titelfiguren performt wurde. In den 1980er Jahren schuf man Japan außerdem das fiktive Idol und Sängerin Lynn Minmay aus dem Macross-Anime-Franchise. Ihr Song „Do You Remember Love?“ wurde schnell zu einem Klassiker und brachte noch Jahrzehnte später Coverversionen hervor.

„Ich denke, dass KI definitiv die Vorstellung davon erweitern kann, wie K-Pop in Zukunft aussehen kann, wie K-Pop-Idole und -Künstler*innen aussehen können.” – Jeong Areum, Sichuan University-Pittsburgh Institute

Im Jahr 1995 folgte dann Kyoko Date, das erste echte KI-Idol. Sie war es, die die Vorlage für virtuelle Stars des 21. Jahrhunderts wie Hatsune Miku und Kizuna AI lieferte. Und 2018 lernte die Welt K/DA kennen, eine virtuelle Girlband, die aus Figuren des Games „League Of Legends” besteht. Im März 2021, kurz nach dem Debüt von aespa, stellte die koreanische Entertainment-Agentur Pulse9 dann noch die Band Eternity vor, die ausschließlich aus KI-Mitgliedern besteht.

Band-Avatare: Mehr als eine Karikatur

In Südkorea geht die Welle virtueller Stars Hand in Hand mit dem Wiederaufleben des Science-Fiction-Genres selbst, das sich mit unserer Position in der heutigen Welt auseinandersetzt. „Ich denke, dass wir gerade jetzt, angesichts von Umweltproblemen, globaler Erwärmung und Pandemien dazu neigen, mehr darüber nachzudenken, wie die Zukunft aussehen wird“, sagt Jeong Areum, Assistenzprofessorin für Geisteswissenschaften und Schreiben am Sichuan University-Pittsburgh Institute. „Ich denke, dass KI definitiv die Vorstellung davon erweitern kann, wie K-Pop in Zukunft aussehen kann, wie K-Pop-Idole und -Künstler*innen aussehen können“, sagt sie. „Es wird unendlich viele Kollaborationen und Möglichkeiten eröffnen.“ Das Konzept von Aespa jedoch geht darüber hinaus, einer Art Karikatur nur Stimmen und Persönlichkeitsmerkmale zu verleihen. Wie Lee Soo Man, der Gründer von SM Entertainment, beim letztjährigen World Cultural Industry Forum erklärte, sind die æ-aespa „unabhängige Wesen, da sie KI-Gehirne haben“.

„Obwohl die æ-Mitglieder auf der Grundlage unserer persönlichen Daten erstellt wurden, haben sie unterschiedliche Reize, die sie einzigartig machen. Selbst wenn wir den gleichen Part singen und tanzen, wird es anders aussehen, weil jede von uns ihren eigenen Stil hat, der sich in unseren Bewegungen zeigt, wenn wir auftreten.“ – Karina, Band-Mitglied aespa

„Sie freunden sich auch an und tauschen Informationen aus. Sie tun Dinge in ihren jeweiligen Welten und teilen das. Sie werden auch in der Lage sein, in der Welt der jeweils anderen zu kommen und zu gehen“, fügte Man hinzu, und meint damit digitale Welt, in der reale und virtuelle Mitglieder interagieren werden.

Da die æ-Mitglieder ihre Herkunft auf die persönlichen Daten der realen Mitglieder zurückführen, war es kein Problem, eine Art Mittelweg mit ihnen zu finden. „Es war nicht schwer, sich ihnen anzunähern, da sie viele ähnliche Eigenschaften wie wir haben“, erklärt Ningning. „Obwohl die æ-Mitglieder auf der Grundlage unserer persönlichen Daten erstellt wurden, haben sie unterschiedliche Reize, die sie einzigartig machen”, fügt Karina hinzu. „Selbst wenn wir den gleichen Part singen und tanzen, wird es anders aussehen, weil jede von uns ihren eigenen Stil hat, der sich in unseren Bewegungen zeigt (…).“

Eine Sound-Reise durch Genres, so futuristisch wie ihre Visuals

Der Sound von aespas Single „Next Level“ eine direkte Fortsetzung ihres explosiven Debüts „Black Mamba” – ist so umfangreich wie das Konzept der Band selbst. Während die Mitglieder darüber singen, dass sie es mit der Black Mamba aufnehmen, springt der Track von Dance-Pop über EDM bis hin zu 90er-Jahre-inspiriertem Hip-Hop. Es ist eine Reise durch die Genres, die genauso schwindelerregend ist wie die futuristischen Visuals, vor denen sie spielt.

„Bis [‚Next Level‘] hatte ich nur von unserem Blick auf die Welt gehört, aber das Video zu drehen und es visuell zu sehen, hat mir ermöglicht, wirklich in die Geschichte und die Figur einzutauchen”, fügt Band-Mitglied Winter hinzu. „Indem ich ein tieferes Verständnis des gesamten Konzepts erlangen konnte, war ich in der Lage, die Texte in ,Next Level‘ besser auszudrücken, da dieser Song auch unsere Weltanschauung betrifft.“

Das Engagement für ihr Konzept zeigt sich bis ins Detail der Veröffentlichungen von aespa, die vollgepackt sind mit Referenzen und Begriffen. Zusammen fühlen sie sich an wie eine Art Schatzsuche nach Hinweisen auf die Storyline, die nach und nach auch andere Acts aus dem Portfolio von SM Entertinament in ihre mythische Welt einbezieht. Kurz nach der Veröffentlichung von „Black Mamba“ entdeckten Fans Aespa-Begriffe wie „KWANGYA“ und „KOSMO“ in Songs von Bands wie NCT und EXO. Das führte zu Theorien darüber, wie die Gruppen miteinander verbunden sein könnten.

Menschliche Note: Wie bedenklich ist die „perfekte” Version eines Idols?

Andere haben jedoch Bedenken darüber geäußert, wie sich KI-Idole auf die Branche auswirken würden und welche urheberrechtlichen und ethischen Probleme sie mit sich bringen könnten. „KI-Idole könnten definitiv eine bessere, perfektere Version der Idole sein, die wir heute sehen“, spekuliert Jeong Areum. „Sie könnten definitiv ein sichereres Produkt sein, in das ein Unternehmen investieren kann – vorausgesetzt, sie sind erfolgreich und Menschen lieben sie”. Und genau das ist der größte Vorbehalt. Das Schöne an K-Pop ist, dass er so menschlich ist, dass der Weg einer Band – gespickt mit Geschichten über harte Arbeit, Entschlossenheit und Enttäuschungen – den persönlichen Triumphen und Misserfolgen der Fans entspricht. Für Jeong ist das ein Element, das über das perfekte Bild eines Idols siegt. „Man sieht, was das Idol mag, dessen Macken und Gewohnheiten und sogar Fehler“, sagt sie. „Das vervollständigt das Gesamtbild. Ich glaube, [Fans] wollen die menschliche Note“.

Was Jeong selbst angeht, so ist sie mit an Bord beim SM Culture Universe – genau wie viele andere. Im Zusammenhang mit dem vergangenen Pandemiejahr können KI-Idole die Bereiche von Unterhaltung, wie wir sie kennen, erweitern. „Es geht nicht nur um Storytelling oder Konzerte, sondern auch um all die anderen [Events und Fan-Dinge], die früher persönlich stattfanden, wie z. B. Fan-Schilder“, sagt Jeong. „[All das] findet jetzt virtuell statt. Dieses ganze Vermittlungskonzept wird bleiben.”

Vorbereitung für das wahre „Next Level”

Bleiben werden auch aespa, die sich über den Erfolg ihres Debüts freuen und jetzt auf noch größere und bessere Dinge in der Zukunft schauen. „Ich habe nicht damit gerechnet, so viel Liebe und Aufmerksamkeit zu erhalten, daher fühlt es sich ein wenig surreal an, aber natürlich bin ich sehr dankbar”, meint Karina. „Nach der positiven Resonanz, die wir mit unserer Debütsingle ,Black Mamba‘ erhalten haben, haben wir bei den Vorbereitungen für ‚Next Level‘ einen gewissen Druck verspürt. Ich denke aber, das war nur natürlich, denn der Druck kam von unserem Selbstvertrauen dazu, auf der Bühne zu stehen“, sagt sie und ergänzt, dass sie sich selbst zur Entspannung koreanische Varieté-Shows ansieht.

Ningning, die sich besonders für US-amerikanische Serien interessiert, schließt sich ihr oft an, während Giselle „entweder Musik hört oder Lieder singt und dabei Gitarre spielt“. Und wer sich fragt, wo Winter ist: Sie geht vermutlich spazieren – eine sehr menschliche Aktivität. „Ich liebe es, lange allein spazieren zu gehen. Ich finde das sehr heilsam und es ist schön, etwas Zeit für mich zu haben”, erklärt sie. Und, na ja, stimmen wir da nicht alle zu?

Text: Tanu I. Raj // Headerbild & Bilder: SM Entertainment via NYLON.com

Nylon
No Comments

Sorry, the comment form is closed at this time.

Neue Friyay Tunes: 5 aktuelle Releases für euer Wochenende Previous Post
Wie die Subkultur der „Alt Black Girls" gerade aufblüht und warum ihre Facetten unendlich sind Next Post

Follow us

Username field is empty.