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Zadie Smith Autorin Bücher Zeichnung

Zadie Smith über ihre Bücher, Mode und Aberglaube

Wir haben die Erfolgsautorin zum Interview getroffen – Und ja: Sie ist beeindruckend.

Illustration: Liz Riccardi // Text: A.N. Devers

Zadie Smith ist eine dieser seltenen Spezies von Buchautoren – sicherlich ein Genie, aber eines, das über die literarische Welt hinaus ein popkulturelles Bewusstsein schafft. Sie ist die neue Art von Literaturstar. Oder sogar die Art, die sich seit Ikonen wie Hemingway oder Fitzgerald missen lässt. Allerdings mit entscheidenden Unterschieden: Sie ist eine Frau, sie vereint jamaikanische und britische Wurzeln, ist auf zwei Kontinenten zu Hause (London und New York) und ungezwungen schön und stilvoll. Ihr erstes Buch, den Bestseller White Teeth (auf deutsch: Zähne zeigen), schrieb sie vor 20 Jahren als Studentin. Ihr letzter Roman Swing Time ist ein realistischer Einblick in Frauenfreundschaften, Migrationsfragen, Globalisierungsthemen, Prominenz, Klassengesellschaft und kulturelle Grenzgänge. In anderen Worten: Smith ist eine Autorin, die unsere moderne Gesellschaft reflektiert. Sie formt mit ihren Werken eine neue entscheidende Literaturgeschichte. Allein deswegen ist es eine große Ehre, mit ihr zu sprechen. Selbst gerade nach Nord London gezogen, wo Smith mich herzlich begrüßt, muss ich mich zusammenreißen, nicht ausschließlich danach zu fragen, wo ich essen oder shoppen kann und vor allem wie ich (als stereotypisch überschwänglicher Amerikaner) ein Zuhause in dieser viel reservierteren Kultur finden kann. Aber Zadie Smith ist freundlich und geduldig, wie es ihr Ruf schon vermuten lässt, und gibt mir großzügige Einblicke in die Unterschiede zwischen britischen und amerikanischen Freundschaften: Die britischen sind schwieriger zu schließen, dafür aber intimer. Sogar Justin Biebers kürzlichen Umzug in ein Nord Londoner Gutshaus können wir besprechen: „Ich liebe Bieber so sehr – so ein schöner Mensch. Er ist wie ein Adonis aus der Antike.“

Bei deinem College Abschluss hattest du im Grunde schon White Teeth geschrieben, während die meisten Leute in ihren frühen Zwanzigern immer noch auf der Suche nach sich selbst sind. Kannst du dich erinnern wie du dich dafür entschieden hast, eine Kreative zu sein?
Ich hatte in dem Alter keine Karrierepläne. Ich habe mich selbst als Student der Bücher empfunden und aus diesem Gefühl heraus entstand White Teeth. Heute habe ich dieses Gefühl immer noch, auch wenn ich mittlerweile im Berufsleben angekommen bin. Allerdings habe ich mich mit 23 nicht zurückgelehnt und gedacht „Gut, erledigt.“ Aber ich denke , dass es bei jungen Leuten heute stark verbreitet ist, zu denken, dass es im Leben darum geht, ein paar bestimmte Dinge abzuhaken und sich dann erfüllt zu fühlen. So als hätte man ein paar Punkte gesammelt, in irgendeinem ewigen Rennen. Du weißt schon: Heiraten, Kinder kriegen… Ich sehe das Leben nicht auf diese Weise. Ich sehe es als einen kreisenden Prozess in Richtung Tod. (lacht) Es ist schön, Dinge auf diesem Weg zu tun, aber ich sehe sie nicht als Errungenschaften. Es sind Erfahrungen. Ich denke, das hat etwas mit meiner Familie zu tun. Viele Leute fühlen sich, als würden die Eltern von ihnen verlangen, irgendeiner bestimmten Vorstellung zu entsprechen – Doktor zu werden, oder Anwalt. Und sie sind dann davon getrieben, diese Erwartungen zu erfüllen. Wohingegen das bei uns zu Hause eher eine wohlwollende Vernachlässigung war, so würde ich es nennen.

Klingt, als hätte dir nie jemand irgendetwas verboten.
Als ich gesagt habe, ich will nach Cambridge gehen, haben meine Eltern gesagt, „Oh, ok.“ Sie hatten keine Ahnung, was das mit sich bringt, aber es klang gut. Meine Mutter war immer sehr begeisterungsfähig und mein größter Fan. Bei uns wurde auch kein großer Wert auf stereotype Weiblichkeit gelegt. Ich habe Fraulichkeit immer als etwas wahrgenommen, das wahnsinnig viel Zeit in Anspruch nimmt. Auf Beautyrituale oder ähnliches wurde verzichtet, das gab es bei uns nicht.

Niemand wollte dich zu irgendetwas formen?
Nein, es gab bei uns auch keine Magazine. Nicht weil meine Mutter sie verbannt hätte, sondern eil sie einfach kein Interesse daran hatte. Diese ganze Welt existierte einfach nicht und die Welt, die wir im Fernsehen sahen, bestand fast nur aus weißen Leuten, da fühlten wir uns auch nicht besonders zugehörig.

Fühltest du dich fehl am Platz?
Ja. Ich meine, es ist quasi unmöglich, das nicht zu tun. Ich habe immer noch, wie vermutlich meine ganze Familie, die Angewohnheit, schwarze Menschen zu zählen. Das kommt aus meiner Kindheit, nach dem Prinzip: „Oh, da ist einer in dieser Fernsehsendung…“ Wenn ich heute auf ein Event gehe, zähle ich immer noch. Das ist schon das Gefühl einer Art Deplatzierung. Und es hat ein paar negative Konsequenzen, ist aber größtenteils eine interessante Erfahrung. All das sind Gründe dafür, dass es mir nicht in den Sinn gekommen ist, nicht einfach das zu machen, was ich wollte. Ich habe viele Jugendliche im College getroffen, die sich von der Geschichte ziemlich unterdrückt fühlten. Von der Literaturgeschichte, der Kunstgeschichte, oder dem Gefühl, nichts mehr hinzufügen zu können. Ich hingegen habe immer gedacht, ich könnte es weit bringen.

Du sagst, Weiblichkeit wurde in eurem Haushalt nicht besonders groß geschrieben, aber eine Sache ist für mich sehr prägnant in deiner Arbeit, insbesondere auch in Swing Time: Nämlich deine akribischen Beschreibungen von Klamotten und Mode.
Ich liebe Klamotten. Ich liebe sie einfach!

Ja, du bist dafür bekannt, Klamotten zu lieben.
Ich merke, wie ich mich immer mehr wie meine Mutter anziehe. Das finde ich schockierend. Ich habe sie neulich besucht und trug ein paar portugiesische Sandalen. Jemand hatte sie mir im Internet gezeigt und ich habe direkt drei Paar gekauft. Ich war besessen, keine Ahnung wieso. Ich zog mir also ein Paar an und ging zu meiner Mutter, die mir in den gleichen Schuhen die Tür öffnete. Aber die Frauen in meiner Familie kleiden sich generell ohne viel Schnickschnack.

Eher schlicht.
Ja, genau. Aber trotzdem schick. Es würde mir nie passieren, in Jogginghosen das Haus zu verlassen. Ich möchte ernst genommen, oder sogar ein bißchen gefürchtet werden. Ich glaube viele Frauen in Westafrika kleiden sich so. Wenn du dein Gewand, dein gewickeltes Kopftuch und das alles trägst, mutest du wie eine ziemlich charakteristische Persönlichkeit an.

Hast du dich neben deinen familiären Einflüssen, noch an anderen Modeikonen orientiert?
Ich habe mich mit keiner von ihnen wirklich identifizieren können. Ihre Welt schien mir nicht die meine zu sein. Klar habe ich Leute wie Katharine Hepburn oder Zora Neale Hurston bewundert, aber ich habe in ihnen kein Spiegelbild gefunden. Wenn ich jetzt hingegen meine Studenten sehe, oder wenn ich durch die Straßen von New York laufe und all die Afrohaare sehe, dann ist das eine regelrechte Explosion der Natürlichkeit. Da wäre ich gerne in der jetzigen Zeit aufgewachsen.

Denkst du Mode ist in der Romanliteratur unterrepräsentiert?
Nicht bei weiblichen Autoren. Wenn du Woolf liest, dann dreht sie gefühlte zehn Runden um einen Hut, einen Schal, oder ein Kleid. Und in ihren Tagebüchern erzählt sie davon, wie sie immer direkt mit dem Check zum Kleidergeschäft lief als sie gerade bezahlt wurde. In England gibt es eine gewisse Moral davon, dass man sich am besten gar nicht einkleidet. Aber die Logik dahinter impliziert eine gewisse Frauenfeindlichkeit. Eine Frau, die schön gekleidet ist, braucht ihr Gehirn nicht? Es gibt im Umkehrschluss also nur einen Beweggrund, als Frau sein Gehirn anzustrengen: Wenn du mit deinem Aussehen nichts erreichen kannst. Ich habe mich dieser Logik als junge Frau komplett gefügt. Schöne Frauen waren dumm, das habe ich so empfunden. Schönheit war eine Kompensation für Dummheit. Und ich war schließlich eine ernst zu nehmende Person!

Diese Denkweise kam ja auch während des Präsidentschafts-Wahlkampfes hin und wieder zum Vorschein.
Auf diese Weise ist man Teil des Patriarchats werden, indem man so denkt wie sie. Man teilt Frauen in zwei Kategorien: „Das hier sind die, die wir flachlegen und das dort sind die Nerds.“ Mir ist das klargeworden als ich nach Italien gezogen bin. In England fällt einem das nicht auf, weil wir ständig Ethik und Ästhetik verwechseln, das ist so unsere Art. Aber Italiener sehen einfach keinen Konflikt zwischen Attraktivität und Intelligenz. Für sie ist die Intelligenz das Schöne und die Schönen intelligent: Die sehen da einfach kein Problem.

Bist du abergläubig?
Nein.

Nein?
Nein, gar nicht.

Glaubst du an Glück?
Ich glaube, fast das ganze Leben basiert auf Glück. Talent zum Beispiel ist Glück. Das ist ein Argument für soziale Gleichberechtigung, weil Glück so irrational ist. Denkst du, jemand, der das Glück hatte, mit einer besonderen Begabung geboren zu sein, verdient ein besseres Leben? Ich denke das nicht. Ich glaube an die Integrität von Arbeit, aber ich glaube auch, dass zum Beispiel das Glück, das unfassbare Glück, das ich hatte, 1975 in London geboren zu werden zu einer Zeit grundlegender sozialer Verbundenheit ohne Krieg, so überwältigend ist, dass man ihm bis an sein Lebensende etwas schuldig bleibt. Ich hätte auch 1340 in Rumänien geboren werden können, oder irgendwo anders vor 1962 als dunkelhäutige Frau und mein Leben wäre unfassbar hart gewesen. Amerikaner sind immer so stolz darauf, Amerikaner zu sein, dabei ist es ein völliger Zufall. Die glücklichen Umstände deiner Geburt sind schließlich nichts, worauf du stolz sein könntest.

Wenn du jeder jungen Frau drei Bücher ans Herz legen könntest, welche wären das?
Wenn sie selber schreiben, oder auch nur eine ganzheitliche Frau sein wollen, dann Woolf’s A Room of One’s Own. Langweilige Empfehlung, ich weiß, aber unverzichtbar. Ich habe meine alten Favoriten, aber es gibt natürlich auch sehr viel Neues. Gerade lese ich Alexandra Kleemans You Too Can Have a Body Like Mine und jetzt gerade würde ich sagen, es ist sehr wichtig für jede junge Frau, dieses Buch zu lesen. Außerdem lese ich gerade Yaa Gyasis Homegoing und auch das scheint unverzichtbar zu sein. Ich musste ihr schon nach 80 Seiten eine Mail schreiben, um zu sagen, „wenn ich dieses Buch gehabt hätte, als ich 15 war, hätte ich ein anderes Leben gehabt.“ Überall gibt es diese fürchterlichen Kitsch-Romane über das Ende von diesem und jenem, aber Fakt ist: Checkt aus, was junge Frauen gerade schreiben. Jetzt ist eine sehr gute Zeit für Bücher.

Nylon
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