Das Original It-Girl Dianne Brill über ihr Nachtleben, das Älterwerden und Drag Race Germany
Andy Warhol nannte sie „Königin der Nacht”, sie war die Muse von Jean Paul Gaultier und Thierry Mugler, es wurde sogar eine Schaufensterpuppe mit ihren Maßen erstellt. Wir haben mit Dianne Brill, dem ersten It-Girl, im Interview gesprochen.
„Sorry, dass ich so entspannt wirke”, beginnt Dianne Brill unser Interview. Die gebürtige US-Amerikanerin verbrachte ein paar Tage Urlaub am Bodensee. Sie liegt auf einem Sofa, ihre wasserstoffblonden Haare zu einem Zopf geflochten, die Lippen rot geschminkt und facetimet von ihrem Handy mit mir.
Dianne ist vor allem für ihr ausschweifendes Nachtleben in den 1980ern in New York und als Muse von Thierry Mugler, Jean Paul Gaultier und Andy Warhol bekannt. Sie war auf zahlreichen Events und im legendären „Studio 54” unterwegs. Man sagt, wenn man Dianne auf einer Party sah, war es eine gute Party. Heute ist sie Model, Autorin, Unternehmerin und Jugde der ersten Staffel „Drag Race Germany”. Wir haben mit dem OG It-Girl über das Künstler*innendasein im New York der 80er, ihr Alter Ego „Fairy Godbabe” und ihre geheime Leidenschaft Kaffee gesprochen.
Dianne Brill im Interview mit NYLON
NYLON: Man sagt, du warst auf jeder guten Party in New York. Wie war das für dich, die Nächte durchzutanzen?
Dianne: Was niemand wirklich über mich weiß, ist, dass ich weder Alkohol trinke noch Drogen nehme. Ich habe damit komplett aufgehört, als ich mit circa 20 Jahren aus Florida wegzog. Das war gut, denn jetzt erinnere ich mich an alles. Und es gibt keine wirklich schrecklichen Bilder von mir, wie ich um drei oder fünf Uhr morgens betrunken nach Hause komme, mit verschmierter Wimperntusche oder einem abgebrochenen Absatz (lacht).
Als ich in New York ankam, hatte ich das Gefühl, endlich angekommen zu sein und verstanden zu werden. Ich musste mich der New Yorker Club-Szene nicht erklären. Und so kam es, dass ich mich mit Künstler*innen und Schriftsteller*innen traf. Wir hatten eine Community, die in den Clubs existierte. Wir sahen uns zwar manchmal tagsüber, aber im Grunde war es nachts in Clubs, wo wir uns trafen. Und das war auch der Ort, an dem die Kunst wirklich erfunden wurde. Das war der Nährboden für Creator*innen: RuPaul, Randy Barbato, Madonna und Marc Jacobs, sie alle kamen aus der „Danceteria”, einem Club in New York.
Beste Partybegleitung damals?
Ich würde sagen, Andy Warhol und ich hatten einen riesengroßen Spaß. Zum Beispiel auf meiner legendären „Coffee Achievers Geburtstagsparty”. In den USA war die Kaffeekultur noch nicht so verankert wie zum Beispiel in Italien, Frankreich oder Österreich. Wir hatten Coffee Shops, in denen es verwässerten Kaffee gab. Aber es war nicht so, dass man mit seinen Freund*innenen abhängt und Kaffee trinkt. Und ich muss sagen, dass ich eine der Ersten war, die sich in die Idee verliebt hat. Vielleicht, weil ich nicht trinke. Vielleicht war das Koffein wie ein Stimulans für mich. Die ganze Stadt war bei diesem Abendessen, das sich später in eine verrückte Party verwandelte.
Du hast viele Namen: Königin des Nachtlebens (Andy Warhol), Mutter aller It-Girls… Was löst das in dir aus?
Oh, es ist großartig, einfach fantastisch. Ich habe endlich begriffen, dass ich Künstlerin bin. Lange habe ich das nicht verstanden, weil ich dachte: ‘Ach, komm schon, Künstler*innen sind doch nur Leute, die eine Leinwand nehmen und etwas darauf malen, Skulpturen machen oder Bücher schreiben.’ Aber mir ist klar geworden, dass das nicht stimmt. Ich bin Schriftstellerin, Tänzerin, Model, Sängerin … Ich habe auf der ganzen Welt Hauspartys gegeben. Künstler*in sein ist ein Gefühl, dem man in seinem Leben nachspürt. Und wenn du dieses Gefühl findest, musst du es ausdrücken. Es gibt eine Million Wege, ein*e Künstler*in zu sein, nicht immer im klassischen Sinne. Aber dieses Gefühl ist noch so lebendig in mir, als wäre ich noch 20. Und das ist etwas, das nicht verschwinden wird.
Ich hatte das Glück, etwas zur richtigen Zeit zu tun oder die Person zu sein, die zur richtigen Zeit da war. Und das ist dann ein wunderbares Gefühl, weil man sich verstanden fühlt.
Was macht ein It-Girl aus und wie werde ich eins?
Um ein It-Girl zu sein, musst du authentisch sein. Wenn man nur versucht zu sagen, was die Leute hören wollen, anstatt was man wirklich fühlt, kann man den It-Girl-Status nicht sehr lange halten. Denn die Leute reden mit dir und testen dich, um zu sehen, wer du wirklich bist. Wenn du nichts zu sagen hast oder keinen Standpunkt vertrittst, wirst du leicht untergehen. Aber wenn du eine Anziehungskraft hast und gerne gibst und nimmst, dann kannst du ein It-Girl werden.
Zu geben ist sehr befriedigend. Sei es, dass man großzügig ist mit seiner Zeit oder Kunst oder dass man alles mit Menschen teilt, die man liebt und mit denen man zusammen sein möchte. Aber auch das Nehmen ist wichtig. Man muss auch in der Lage sein zu akzeptieren, was man bekommt. Und ich glaube, dass viele von uns ein Problem damit haben, ein Kompliment, eine Überraschung oder ein Geschenk anzunehmen. Besonders in Deutschland habe ich gemerkt, dass viele meiner Freund*innen ein Problem damit haben, wenn ich ihnen etwas schenke. Geben und Nehmen ist etwas, das wir noch besser lernen müssen.
Schon oft warst du Muse: Von Andy Warhol, Thierry Mugler und Jean Paul Gaultier. Aber was inspiriert dich?
Verbindung, echte Verbindung. Ich möchte jemandem in die Augen schauen und die Person kann die Augen offen halten und mich ansehen. Das finde ich sehr, sehr fesselnd. Ich bin immer auf der Suche danach, leider finde ich es nicht sehr oft. Aber wenn ich es finde, dann ist es für mich sehr erfüllend.
Du hast ein Buch geschrieben: „Boobs, Boys and High Heels: How to Get Dressed in Under Six Hours”. Wie lange hast du heute gebraucht, dich fertig zu machen?
Oh, mein Gott (lacht). Heute war ein sehr ungewöhnlicher Tag, denn ich wusste nicht, dass wir ein Video-Interview machen werden. Daher war ich heute schon im Bodensee baden und dachte nur: Was soll ich mit meinen Haaren machen? Ich weiß es nicht. Machen wir einen Zopf daraus. Dann noch schnell Smokey Eyes und Lippenstift. Ich habe diesen permanenten Lippenstift, den man morgens aufträgt und nach dem Schlafen ist er noch da. Ich mag die Konsistenz zwar nicht, aber mein Gott! Der hält.
Wenn man über dich recherchiert, findet man viele Infos von früher. Wer ist Dianne Brill heute?
Ich bin jetzt eine sprudelnde Quelle der Kreativität und bin an einem Ort angelangt, an dem ich mich wirklich ausdrücken, geben, nehmen und erschaffen kann. Ich kann absolut authentisch sein und wenn ich morgens aufwache, bin ich selbst – zwar mit aufgeklebten Wimpern, Stöckelschuhen und Push-up-BH. Aber das bin ich und das gehört zu meiner Authentizität. Ich habe vor einiger Zeit meine Kosmetikfirma verkauft, die ich 17 Jahre lang hatte. Jetzt kann ich mehr Zeit in New York verbringen. Und ich habe viele neue Freund*innen: All diese jungen, neuen, verrückten Leute, die in New York einfach aus dem Boden schießen und zusammenkommen und zu fünft in einer Zweizimmerwohnung leben, weil die Mieten dort so hoch sind.
Mit zwei von ihnen arbeite ich gerade an einem Memoire. Ich möchte meine Geschichte in einem Dokumentarfilm erzählen, aber so, als wäre sie fiktiv. Es soll nicht um mich gehen, sondern um die Figur der Dianne Brill und was ihr passiert ist, was sie erschaffen und gelernt hat. Wenn ich mit Freund*innen zusammensitzte, dann dauert es lange, bis ich merke, dass sie Anfang dreißig oder Ende zwanzig sind. Als ich 2019 den Life-Ball in Wien als mein Alter Ego „Fairy Godbabe” moderierte, wurde mir klar: Warum sollte es so etwas wie einen Altersunterschied geben, wenn man im Moment lebt und kreativ ist? Sei einfach du selbst. Fang nicht an, jemand anderes zu sein oder wie deine Eltern zu werden.
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Aktuell bist du als Judge bei Drag Race Germany. Kannst du uns dazu etwas erzählen?
Ich kenne RuPaul von früher und auch Fenton Bailey und Randy Barbato, die Produzenten von „RuPaul’s Drag Race”. Sie waren auf der Suche nach einer passenden Besetzung für „Drag Race Germany”: Barbie Breakout war offensichtlich. Barbie ist phänomenal in dieser Show. Sie könnte keine bessere Moderatorin sein. Es ist ein Traum, mit ihr zu arbeiten. Und auch mit Gianni Jovanovic. Er ist so was von lustig. Wenn ich neben ihm sitze, kann ich meine Augen nicht von ihm abwenden. Und dann bin da noch ich: Ich schätze, ich bin die enthusiastische Person im Raum.
Ich war während der gesamten Dreharbeiten so glücklich. Es hat mir einfach so viel Spaß gemacht. Das Schlimmste war, wenn wir die talentierten Queens rausschmeißen und sagen mussten ‘Tut mir leid, du hast leider nicht gewonnen’. Aber es ist toll, wie sie ihre Karrieren weiter ausbauen. Erstaunlicherweise ist Barbie ein großer Softie. Sie weint die ganze Zeit und wird ihrem Namen Barbie „Breakout” wirklich gerecht. Und Gianni auch. Er ist sogar noch schlimmer (lacht). Ich hoffe einfach, unser guter Wille zeigt sich und wird mit einer zweiten Staffel belohnt. Da würde ich sehr gerne wieder mitmachen.
„Drag Race Germany“ könnt ihr ab sofort auf Paramount+ streamen.
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