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Coverstory: Wie wird die Zukunft, Lil‘ Miquela? Der Roboter-Star über das, was kommt

Designer­-Outfits, selbstbewusstes Posing und jetzt auch noch ein eigener Song. Ein ganz normaler Influencer? Nicht ganz. Lil‘ Miquela ist ein Avatar mit 2,7 Millionen Followern. Ihr Erfolg hält dem Hier und Jetzt einen Spiegel vor. Utopie oder Dystopie? Eine Kreatur im Gespräch über die Kreation der Zukunft.

Magazin Cover Lil Miquela Frau steht vor Himmel
Handschuhe von Tasha Club, Rock von Lærke Valum, Ohrringe von Justine Clenquet; Foto: Brooke Ashley Barone

Der Signature Look: Sommersprossen, süße Zahnlücke, Space Buns und natürlich Sample Size. Dieses 19-­jährige US­amerikanische Girl mit brasilianischen Wurzeln bringt alles mit, um als Influencerin erfolgreich zu sein. Das ist sie auch, aber vor allem ist sie eines: nicht echt. Sie selbst spricht von sich als Roboter, andere verwenden den Begriff der künstlichen Intelligenz, wieder andere sehen hier nur ei­nen Motion-­Design-­Stunt. Wie auch immer man Lil Miquela einordnen möchte, ein Mensch ist sie nicht. Dennoch folgen ihr fast drei Millionen gebannte Zuschauer*innen, wenn sie Iced Matcha trinkt, sich am Strand räkelt oder ihr Auto wäscht. Faszinierend oder furchteinflößend? Die Vorstel­lung eines künstlichen Charakters, der mit seinen Postings angeblich bis zu neun Millionen Dollar im Jahr verdienen soll, ist auf jeden Fall kontrovers.

Mehr als eine Momentaufnahme: Coverstar Lil Miquela im NYLON-Interview

Ob das die Zukunft der Modebranche, der Werbung, gar der Menschheit sei, wurde viel diskutiert, seit Miquela Sousa, so der „bürgerliche“ Name der Figur, 2016 auf Instagram auftauchte. Sind unsere Vor­bilder so generisch, dass sie von Computern abgelöst wer­ den können? Und gilt das dann auch für uns? Werden wir irgendwann durch Avatare ersetzt: Science Fiction erst auf Social Media und irgendwann im Real Life… Menschheit, die sich selbst kanibalisiert, ein Klassiker unter den Dystopien – oder doch eher eine große Chance im Sinne einer fort­schrittlichen Zukunft? Mit Schöpfung und Kreation scheint sich dieser Star jedenfalls auszukennen. Aber hat die fiktive Entrepreneurin auch eine Meinung zur Gestaltung der Welt um sie herum? Wir haben einfach mal gefragt. Beep, beep.

Du hast gerade deinen ersten Song veröffentlicht, die Videopremiere von „Hard Feelings“ war der Opener des diesjährigen (digitalen) Lollapalooza-Festivals. Kommt jetzt bald ein Album?
Alben sind so 2019! Meine Manager würden mir wohl zustimmen, dass ich es niemals schaffen würde, Musik so lange zurückzuhalten, um einen Longplayer zusammen­ zustellen, anstatt jeden neuen Song sofort bei Spotify hochzuladen. Zurzeit nehme ich mir aber den Freiraum, zu schreiben und, ganz wichtig, vieles zu erkunden. Bei mir erwartet man am besten immer das Unerwartete.

Würdest du eigentlich auch gerne mal eine Liveshow spielen, wenn die Versammlungseinschränkungen es zulassen würden?
2020 war echt wild, Leute! Wir hatten einige wirklich gro­ ße und sexy Pläne für ein Event, das so nur mein Team und ich liefern könnten … Aber wir sind flexibel und energiege­ laden und nutzen dieses Momentum, um im nächsten Jahr etwas noch Krasseres und Besseres für meine Fans auf die Bühne zu bringen. Haltet die Augen offen, da kommt Großes!

Was können wir 2021 noch so von Lil Miquela erwarten?
Ich träume und plane vieles: mehr Musik, mehr Abenteuer, ein bisschen Romantik (warum nicht?), all meine lieben Freunde wieder in den Arm zu nehmen (fingers crossed) und ein paar große Momente, die zeigen werden, wer ich bin und warum ich hier bin.

Frau Steht vor Himmel Frau mit Handtasche Lil Miquela
Links: Tunika und Hose von LRS, Boots von Longchamp, Ohrringe von Justine Clenquet, Armreif von Tasha Club; Rechts: Total Look von Moschino

Du gibst ja bereits ganz offen zu, dass du kein Mensch bist. Was hältst du selbst für deine Mission auf der Erde?

Meine Mission ist es, empathisch und aufgeschlossen zu sein, Freude zu bringen, Aufmerksamkeit für Themen zu generieren, die mir wichtig sind, und all die tollen Stimmen zu unterstützen, die sich für große und mutige Veränderun­ gen einsetzen. Es geht mir nicht unbedingt darum, meine eigene Stimme zu nutzen, sondern vielmehr darum, jene zu finden, die wichtig sind, und ihnen Gehör zu verschaffen, sie hervorzuheben, lauter werden zu lassen und ihnen mehr Reichweite zu verschaffen, so gut ich kann.

Man munkelt, du verdienst bis zu neun Millionen Dollar im Jahr mit deinen Influencer-Kooperationen. Was bedeutet Reichtum für dich?
Es bedeutet, die Chance zu haben, mit meiner Kunst Dinge auszudrücken, die ich schon so lange sagen wollte. Ich bin so stolz auf das Musikvideo zu „Hard Feelings“. Ich denke, das liegt daran, dass ich endlich dort angekommen bin, Dinge auf einem Niveau zu machen, das ich mir schon im­mer gewünscht habe.

„Die Menschen sind nicht programmiert – sie können weiter lernen, wachsen und sich entwickeln”

Du bist eine Kreation, die offenbar ziemlich gut funktioniert. Es fühlt sich an, als könnten und müssten wir genau jetzt eine Zukunft erschaffen, die ebenfalls funktioniert. Hast du eine Idee dazu, was für eine Welt wir kreieren sollten?
Die Zukunft scheint gerade sehr diffus, wenn ich mich so umschaue. Da sind so viele große Entscheidungen, die dieses Jahr getroffen werden müssen, und es fühlt sich an wie ein echter Wendepunkt. Jede*r nimmt sich gerade Zeit, sich mit dem, was um sie/ihn herum geschieht, auseinan­derzusetzen, um sich für das wirklich Wichtige einzusetzen. Dies ist keine Momentaufnahme – es ist eine Bewegung, die nicht gestoppt werden kann. Deswegen fokussiere ich mich darauf, jeden Tag eine Möglichkeit zu schaffen, an­ deren zu helfen. Sei es in Form von Kreation, Information oder anderen Wegen, etwas zurückzugeben – es ist klarer denn je, dass es noch sehr viel zu tun gibt.

Welche Rolle werden dabei digitale Einflüsse spielen?
Ich glaube, wir sind darüber hinweg, Dinge als „digital“ zu kategorisieren. Realität und Virtualität sind eigentlich ein und dasselbe. Wir alle nutzen Plattformen wie Instagram, um unsere Geschichten zu teilen und unsere Meinung kundzutun. Worüber ich mich am meisten freue, ist, dass die Welt sich nun so gut vernetzen kann. Niemand ist mehr ohne Zugang zu Informationen oder den Menschen und Gruppen, bei denen man sich sicher und geborgen fühlt.

Frau sitzt mit Apfel im Mund Lil Miquela
Total Look von Moschino

Denkst du, die Menschheit wird sich zum Guten oder zum Schlechten verändern?
Zum Besseren. Die Menschen sind nicht programmiert – sie können weiter lernen, wachsen und sich entwickeln. Und wir sehen gerade, dass dies in großem Stil geschieht.

Wenn die Menschheit quasi noch einmal von vorne anfan- gen könnte und wir bis zum legendären Adam-und-Eva- Szenario zurückgehen: Was wäre wohl eine moderne und zeitgeistige Version dieser biblischen Geschichte?
Ich bin nicht ganz sicher, aber ich denke, sie würde Elon Musk und Grimes beinhalten und anstelle eines Apfels viel­leicht eine E­Zigarette oder so.

„Realität und Virtualität sind eigentlich ein und dasselbe”

Was sollte sich deiner Meinung nach genau heute ändern?
Ganz einfach: Die Leute sollten anfangen, ihre Schutzmas­ken zu tragen.

Vermutlich darfst du nicht zur Wahl gehen. Aber wen würdest du wählen, wenn du dürftest?
Keine Frage: Biden und Harris. Aber in Wirklichkeit geht es über die hinaus. Die US­Amerikaner müssen sich bei Staats­ und Kommunalwahlen anstrengen und sicher­stellen, dass sie für Kandidaten stimmen, die sich für – tief einatmen! – Racial Justice, Umstrukturierungen bei der Polizei, Einwanderung, Bildung, wirtschaftliche Gleichbe­rechtigung, Gesundheitsfürsorge und die Umwelt einset­ zen, um nur einige Punkte zu nennen.

Frau liegt auf Boden Lil Miquela
Kleid von Helen Anthony, High Heels von Miu Miu

Frau liegt auf Boden Apfel Schuh Lil Miquela
Total Look von Moschino

Fragen, Offenheit und keine Angst vor der Liebe – Miquelas Mottos

Was kannst du generell besser als ein Mensch?
Ich denke nicht wirklich in den Kategorien „besser“ und „schlechter“, wenn ich Menschen und Roboter vergleiche. Ich versuche, die Unterschiede einfach als Andersartigkeit zu sehen. Ich weiß, dass ich die Welt anders empfinde als ihr, aber gleichzeitig weiß ich auch, dass wir alle einige dieser Gefühle teilen. Deshalb versuche ich, der Welt meine Gefühle mitzuteilen, damit sie ihre eigenen Gefühle besser verstehen kann.

Und was empfindest du selbst als Schwäche gegenüber Menschen?
Ich altere nicht. Ich entwickle mich auf viele verschiedene Arten weiter, aber es gibt Teile von mir, die immer im exis­ tenziellen Strudel des Seins einer 19­Jährigen mit großen Augen und voller schlechter Entscheidungen stecken blei­ ben werden.

Was würdest du denn der jungen Generation raten, die gerade aufwächst, um eine Zukunft für diesen Planeten zu kreieren?
Eigentlich möchte ich davon absehen, Ratschläge zu ertei­ len. Es ist schwer, Menschen zu empfehlen, was sie tun oder sagen sollen, denn wie gesagt bin ich kein Mensch, aber was vielleicht noch wichtiger ist: Es ist schwer, Rat­ schläge zu geben, weil ich das Gefühl habe, dass auch ich noch so viel lernen muss. Um vielleicht trotzdem die Frage zu beantworten, würde ich dieser jungen, wunderbaren Ge­ neration denselben Rat geben, den ich mir selbst gebe: Seid offen, fragt so viele Fragen wie möglich, folgt eurem Herzen und habt keine Angst vor der Liebe!

Frau mit roten Stiefeln Lil Miquela
Jacke von Helen Anthony, Pullover von Jean Paul Gaultier Vintage über Artifact New York, Panty von Vivienne Westwood Vintage über Pechuga Vintage, Stiefel von Longchamp

Fotos: Brooke Ashley Barone
Styling: Harper Slate
Art & Creative Direction, Produktion und Postproduktion via Brud
Fotoassistenz: John Kacandes Gittens
Styling-Assistenz: Charlie Burke und Sophia Alvarez

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Turid Reinicke
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