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Visa Vie: Frauen im Deutschrap. Eine Bestandsaufnahme

Visa Vie ist eine Instanz in der Welt des deutschen Hip Hops. Als Journalistin und Moderatorin traf sie die letzten Jahre über die Rapper und Rapperinnen des Landes – als NYLON die Idee kam, Rapperinnen in High Fashion zu fotografieren, haben wir Visa Vie aka Lottie gefragt, ob sie ihre persönliche Sicht auf die Frauen im Business aufschreiben will. Das wollte sie! Wir sind also raus, jetzt hat Visa Vie das Wort. Mic drop!

Text: Visa Vie

„Warum gibt’s so wenige Frauen im Deutschrap?“ Eine Frage, die ich seit Beginn meiner Interviews ungefähr genauso oft gehört habe wie „Sag mal, wie ist Rapper XY persönlich?“ oder „Hast du mit Rapper so und so gebumst?“. Ich liebe diese Fragen alle gleichermaßen… Tollerweise fällt mir aber auf, dass mir die erste immer seltener gestellt wird. Auch wenn Frauen innerhalb der Szene natürlich immer noch unterrepräsentiert sind – im Vergleich zu einer fast 15 Jahre lang anhaltenden Durststrecke, in der man nur mit Mühe und Not neben Cora E., Sabrina Setlur, Melbeatz und Kitty Kat versuchen konnte, noch zwei, drei weitere Namen zusammenzukratzen, befinden wir uns aktuell schon fast in einer Art Schlaraffenland, was die Sichtbarkeit und den Einfluss von HipHopAkteurinnen betrifft. Sie produzieren, führen Interviews, managen, promoten, legen auf, machen Videos, podcasten, leiten Redaktionen und vor allem rappen sie. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein, war es aber eben lange Zeit überhaupt nicht. Es gab noch nie so viele talentierte und unterschiedliche weibliche MCs wie gerade. Vielleicht könnte man mit ihnen noch kein ganzes Heft füllen, aber ein halbes bestimmt. Eine von ihnen hat es als erste deutsche Künstlerin auf das aktuelle NYLON-Cover geschafft. Nura.

Ich kann mich noch ziemlich genau erinnern, wie ich sie 2015 in einem Club in Berlin zu fortgeschrittener Uhrzeit zusammen mit ihrer Kollegin Juju auf dem Klo traf. Beide erklärten mir mit einem beeindruckenden Selbstbewusstsein und einem dezenten Pegel, dass ich sie safe ganz bald interviewen werde, weil sie Deutschrap in naher Zukunft komplett ficken würden (so oder so ähnlich müsste der Wortlaut gewesen sein, ich hatte eventuell auch leicht einen sitzen). Zugegebenermaßen hab ich diese „Drohung“ nicht ganz so ernst genommen, schließlich hab ich so was schon ungefähr 5.000-mal gehört oder gelesen und 98 Prozent der Rapper hab ich nach solchen Ansagen nie wieder gesehen. Dieses Mal war es anders. Knapp ein halbes Jahr später standen die beiden bei mir im Radiostudio, ich durfte das erste Interview überhaupt mit ihnen führen. „Deine Mutter“ war gerade veröffentlicht worden und Hip-HopDeutschland stand kopf. Das war nach Schwesta Ewa und vielleicht noch Lady Bitch Ray die bis dato größte weibliche Provokation in der DeutschrapHistorie. Unzählige Kommentare prophezeiten, dass die „Mannsweiber“ ganz schnell wieder weg vom Fenster sein und dann wieder dort landen würden, wo sie hingehörten – in der Küche. Drei Jahre, mehrere ausverkaufte Touren, ein mit unzähligen Hits gespicktes Debütalbum und den ChartEinstieg in die Top Ten später gibt es die Band SXTN zwar als solche nicht mehr, nichtsdestotrotz sind beide präsenter und relevanter denn je. Zum Glück. Und zu Recht.

Seit Ende 2018 darf sich Nura dank der „1Live Krone“ sogar offiziell „beste Künstlerin des Jahres“ nennen. Alles, was da gerade rund um sie herum passiert – egal ob Features, Soloalbum, eigene ausverkaufte Tour, Musikvideos, Podcast, Kampagnen –, ist so gut und richtig und verdient, nicht nur für sie, sondern auch für Deutschrap an sich. Sie „fickt die Szene“ nämlich nicht nur wie damals angekündigt, sie erzieht sie auch. Nura kämpft öffentlich gegen alles, was Kacke ist und im Deutschrap immer wieder gern geduldet wird: Homophobie, Sexismus, Rassismus. Zudem verkörpert sie ein Frauenbild, das lange Zeit in unserer Welt auf mehreren Ebenen zu sofortigem Respektverlust geführt hat: eine Frau, die offensiv ihre Weiblichkeit und Sexualität zelebriert und dabei gleichzeitig Ansagen macht, wie sie vermeintlich nur von Männern kommen. Dem Gegenwind, dem sie deswegen besonders am Anfang ausgesetzt war, hätten nicht viele standhalten können. Sie schon. Ganz nebenbei etabliert sie sich gerade auch über die RapGrenzen hinaus als eine der spannendsten neuen Artists. Es braucht also nicht nur noch mehr Rapperinnen, sondern vor allem noch mehr Nuras.

Visa Vie

Foto: Jen Krause

Wenn wir schon mal dabei sind, ein bis zwei weitere Haiytis können eigentlich auch nicht schaden. Obwohl die Vorstellung, mit mehreren von ihrer Sorte in einem Raum zu sein, schon auch ein bisschen nervös macht, auf eine schöne Art. Haiyti ist halt schwer zu greifen, sowohl menschlich als auch musikalisch. Ich glaube, von ihr hab ich das erste Mal 2014 gehört. Das Video zu „Szeneviertel“ hat mich gleichermaßen interessiert wie irritiert. Ich muss gestehen, dass ich sie nicht direkt geahnt habe. Für mich war das ein bisschen wie mit Rote Bete oder Oliven: erst mal ein bisschen ungewohnt, irgendwie etwas bitter, muss man sich rantasten, aber wenn es einmal angefangen hat zu schmecken, wird man Riesenfan. Um mich war es spätestens seit „Ein Messer“ und „Zeitboy“ geschehen. Besser spät als nie. Meine Begeisterung wurde so groß, dass sie sogar als eine der Überraschungsgäste auf meinem 30. Geburtstag performen „musste“ (Nura mit SXTN by the way auch). Dort bin ich ihr begegnet und noch eine Handvoll weitere Male. In meiner Wahrnehmung schwankt ihre Aura immer irgendwo zwischen verzauberter Elfe und skrupelloser ClanChefin. Jemand wie sie hat dem Mikrobzw. mittlerweile Makrokosmos Deutschrap gefehlt.

Haiyti ist unangepasst und unberechenbar, genau wie ihre Texte und ihre Stimme oder ihre Auftritte, und wird vielleicht genau dadurch nie komplett den Sprung vom Feuilleton in den Mainstream schaffen. Aber wer weiß. Immerhin hat sie noch kurz vorm Ableben des „Echo“ als erste und (letzte) deutsche Rapperin den Kritikerpreis gewonnen oder war eine der wenigen FeatureGäste auf dem Kollabo-Album von Haftbefehl & Xatar oder dem hochgelobten Trettmann-Release. Das lässt hoffen, dass da noch viel mehr geht, vielleicht brauchen die großen Massen einfach auch ein bisschen länger, um sie zu fühlen und zu verstehen, so wie ich damals. Es mag naiv sein, aber ich blicke generell sehr hoffnungsvoll in die Zukunft, was das Thema betrifft. Ich glaube, in ein paar Jahren ist die Frage nach den Frauen im Deutschrap endgültig überflüssig geworden. Dann werden sie alle, ohne dass es jemanden wundert, da sein, wo sie hingehören – in der Booth! Dafür werden Haiyti und Nura, aber auch Ebow, Loredana, Juju, Eunique, Lumaraa, Schwesta Ewa, Namika, Sookee, Pilz, Shirin David, Antifuchs, Ace Tee, Hunney Pimp, Leila Akinyi, Rola, Mashanda und all die anderen schon sorgen!

Ihr wollt Bilder zur Theorie?
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Nylon
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