Warum es guttun kann, sich die Haare abzuschneiden
Was machen Filmfiguren in einer Krise gerne mal? Genau, Haare abschneiden. Warum das aber nicht nur eine dramatische Geste, sondern manchmal echt hilfreich sein kann, beschreibt unsere Autorin hier.
Ein Ritual meiner Familie ist vielleicht etwas unkonventioneller. Wenn die Zeiten hart werden heißt es: Haare abschneiden. Es ist zu einem Kennzeichen für Zeiten emotionaler Instabilität und unserer unglaublichen Widerstandsfähigkeit gegenüber eben jenen Zeiten geworden. In den späten 90ern, nachdem mein Vater unerwartet gestorben war, hat meine Mutter ihre widerspenstigen schwarzen Locken abrasiert und sich für einen süßen Pixie Cut entschieden. Als mein Bruder endlich den Mut und die Kraft hatte, eine jahrelange Beziehung voller emotionalem Missbrauch zu beenden, rasierte er seine schulterlangen Haare ab. Und als ich vierzehn war und in der Schule gemobbt wurde, habe ich mir einfach die Hälfte meiner Haare abgeschnitten.
Haare abschneiden im Impuls: Manchmal klappt’s nicht
Ich bin dankbar, dass es keine Fotos aus dieser Zeit gibt, aber ich habe immer noch die lebhaften Erinnerungen daran. Ich erinnere mich, wie ich da stand, in unserem kleinen Badezimmer, das mit jeder Minute kleiner zu werden schien, ich mich anstarrte und wie ein kleiner Hund im Regen zitterte. Ich bin mir nicht sicher, wo ich die Kraft gefunden habe, die Schere zu nehmen und den ersten Schnitt zu machen, aber schon bald war die Tat getan. Schon bald wurde mir klar, dass ich einen schrecklichen Fehler gemacht hatte, und unter Tränen bat ich meine Mutter um Hilfe. Wütend und einfühlsam zugleich fuhr sie mich zu unserem Friseur, wo ich die harte aber notwendige Entscheidung traf, den Rest meiner Haare abzuschneiden. Erst auf dem College ging ich wieder zu einem anderen Friseur; ich fühlte mich so traumatisiert, als ich in diesem Stuhl saß und Frauen mich mit Mitleid anstarrten, als ich offenbarte, was ich mir selbst angetan hatte.
Die Erfahrung, sich in schwierigen Zeiten die Haare abzuschneiden, ist natürlich nicht einzigartig für meine Familie. Daran wurde ich vor kurzem erinnert, als ich die zweite Staffel von „The Handmaiden’s Tale” sah, in der Elizabeth Moss‘ Figur Ofred ihr Haar – in einem Anfall von Trotz und Schmerz – abschneidet. Sofort wandte ich mich an meinen Freund, der vom Anblick von Offreds blutverschmiertem Körper erschrocken war, und sagte: „Okay, also June muss in einem früheren Leben an einer Art Beauty School studiert haben. Schau dir diesen Long Bob an!“
Vom Unterschied zwischen TV und Realität
Okay, hier kommt der Unterschied zwischen einem emotional getriebenen Selbsthaarschnitt zu Hause und einem auf dem Bildschirm: Im Fernsehen und im Film werden diese Prozesse der Selbstzerstörung fast immer perfekt ausgeführt (eine erwähnenswerte Ausnahme ist Lena Dunhams Figur Hannah Horvath im zweiten Staffelfinale von Girls). In Insurgent verpasst sich Shailene Woodleys Figur Tris nicht nur einen stylischen Pixie Cut, sondern auch Highlights! Aber abgesehen vom Neid, den ich empfinde, wenn ich diese perfekten Long Bobs sehe, liebe ich es, anderen Menschen dabei zuzusehen, wie sie sich in einem Anfall voller emotionaler Wut die Haare abschneiden. I’m not alone!
„Ich denke, jemandem zuzusehen, wie er sich die Haare schneidet oder abrasiert, kann emotional sehr berührend sein, wenn nicht sogar befreiend, wenn das Schneiden oder Rasieren eine Handlung ist, die die jeweiligen Emotionen widerspiegelt“, sagt Annie Wright, Inhaberin und klinische Leiterin von der Beratungsstelle Evergreen Counseling in den USA. „Wenn sich jemand beispielsweise gefangen fühlt, wütend ist und sich selbst schlagen will, oder wenn man jemanden im Fernsehen oder wirklichen Leben sieht, der eine dramatische Aktion wie das spontane Haare abschneiden durchführt, kann das eine externe Symbolisierung der eigenen Gefühle sein. Gefühle, die man nicht ausdrücken kann oder will. Außerdem ist das Haar ein uraltes Symbol für Stärke, Männlichkeit und Macht, und der Akt des Rasierens oder Abschneidens kann auch eine starke Symbolwirkung auf einer fast unbewussten Ebene haben.”
Therapie oder Trigger? Haare abschneiden auf dem Bildschirm
Wright stellt jedoch fest, dass das Thema komplexer ist als die therapeutischen Vorteile dieser Szenen. „Das Beobachten dieser Aktionen kann meiner Meinung nach für manche Menschen emotional unterstützend sein, wenn sie eine emotional herausfordernde Zeit durchlaufen“, fährt sie fort. „Es ist aber auch möglich, dass das Zuschauen von jemandem, der sich die Haare abschneidet oder rasiert, bei manchen Menschen auch als Auslöser dienen kann. Die Antworten sind einzigartig, da jeder zu dieser Zeit etwas anderes durchmacht, aber sehr wahrscheinlich fühlen sich einige Menschen stärker und emotional erleichtert, wenn sie eine Aktion wie diese beobachten.“
Wenn ihr euch durch fiktive oder Real Life-Events inspiriert fühlt, um euch selbst ein Haar-Makeover zu verpassen, gibt es einige Dinge zu beachten. Friseurin Siobhan Benson zufolge ist es das Beste, sich für einen geraden Buzzcut zu entscheiden, um alle ungleichen Haaralbträume zu vermeiden. „Ich denke, der realistischste, einfachste Selbsthaarschnitt ist die komplette Kahlrasur wie bei Empire Records“, sagt sie. „Als Profi empfehle ich es nicht, aber die Leute sollten tun, was sie tun müssen! Ich höre, das es befreiend sein kann. Ich will niemanden davon abhalten, das zu tun, was er will, oder etwas zu verändern. Ich würde einfach warten, bis man an einem ruhigen Ort ist“
Text: Hafeezah Nazim // Bild via NYLON.com
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Dieser Beitrag ist ursprünglich am 08. Juli 2018 erschienen.