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Warum die Tinder-Besessenheit der Millennials alles verändert

Ja, okay, fast jeder von uns war doch irgendwann mal Mitglied der Swiping-Clique. Warum Online-Dating à la Tinder & Co. jetzt wirklich alles verändert.

Text: Jenna Birch // Bild via NYLON.com


Ich habe den gesamten letzten Sommer damit zugebracht, wahllos völlig fremde Männer zu daten. Okay, nicht völlig wahllos. Ich habe geswipet, eine Auswahl getroffen, gechattet und mich zu Drinks verabredet (an gut beleuchteten öffentlichen Orten). Meine Freunde haben mich schon damit aufgezogen, dass ich einen ganz bestimmten Typ hätte: Ärzte, weil ich früher selbst Ärztin werden wollte.

Ich habe viele neue Leute kennengelernt, die ich sonst nie getroffen hätte – dank meiner Matchmaking-Buddies Tinder und Bumble. Aufgewachsen im Zeitalter von Technologien und Online-Dating, ist es für viele von uns Millennials selbstverständlich geworden, andere Singles schnell und einfach kennenzulernen. Laut einer aktuellen Studie, die im Oktober veröffentlicht wurde, verändert Online- und App-Dating die Gesellschaft drastisch – auch wenn unsere Generation dies für selbstverständlich hält.

Und auch wenn Online-Dating heutzutage völlig normal ist, bleibt doch immer die Frage, ob Tech-basiertes Dating wirklich die effektivere Methode ist, den Partner fürs Leben zu treffen. Behauptungen, das Internet sei übertrieben gut darin, unglaubliche Paare zu kreieren, sind nicht besonders aussagekräftig. Während der Recherche-Arbeiten für mein eigenes Buch über Beziehungen war der Effekt von App-Dating das Erste, worüber die meisten Singles mit mir sprechen wollten. Schließlich ist es trotz allem ein ziemlich anstrengender Prozess.

Zu viele Optionen können die Wahl erschweren. Für den Psychologen Barry Schwartz  steigern einige wenige Möglichkeiten unsere Zufriedenheit, wohingegen zu viele den gegenteiligen Effekt haben können. Beim Online- oder App-Dating muss man durch Hunderte von Matches swipen, jedes Profil lesen, online chatten, ein Date festlegen und zu einem Date gehen – nur um den ganzen Prozess immer wieder zu wiederholen, bis man ein Match findet, bei dem die Chemie stimmt und das ebenfalls Interesse daran hat, eine feste Beziehung einzugehen.

Ja. Es ist mühsam. Manchmal braucht es viele Matches nur für ein einziges „Vielleicht“. Deshalb vereinbaren einige Dater gleich mehrere Termine in einer Woche. Oder legen ganze Marathon-Dates in nur einer Nacht hin. Ich erinnere mich an das Gespräch mit einem Mann, der mir einen Freitag beschrieb, den er von der Happy Hour übers Dinner bis zum Absacker mit drei verschiedenen Frauen verbrachte. Es ist schwierig, jedes Date voll auszukosten, wenn man so viele davon hat. Schwierig herauszufinden, wie man sich sowohl während des Dates als auch danach gefühlt hat, um tatsächliches Interesse an einer Person zu bekunden. Ihr müsst eine Strategie finden, die zu eurer Persönlichkeit passt. Und ja: Die kann auch etwas Trial and Error beinhalten.

Prinzipiell ist gegen App-Dating überhaupt nichts einzuwenden. Es hat das Potenzial, unsere Welten im positiven Sinne auf den Kopf zu stellen, während sich neue Technologien immer weiter ausbreiten. Wie Forscher herausgefunden haben, verdrängt Online-Dating in gewisser Weise traditionelle Kennlernmethoden – etwa durch Freunde und Familie. Während sich Metropolregionen noch immer über ein lebhaftes Nachtleben freuen können, habe ich meinen Freunden schon oft von den Bars meiner mittelgroßen Stadt erzählt, in denen Flirtversuche seit der Erfindung von Tinder entschieden abgenommen haben. Warum sollte man einen Korb von einem Fremden riskieren, wenn man wahrscheinlich die gleiche Person in einer App treffen kann und beide nach rechts swipen? Wir hängen an einem Freitag lieber mit unseren Freunden ab und halten unser Dating-Leben getrennt davon.

Mit Online-Dating vergrößert ihr auch euren Interessens-Pool. So wie ich im Sommer scheinbar nur Mediziner gefiltert hab, könnt ihr alles filtern, was euer Herz begehrt. Die Filterfunktion übers Profil geht aber auch weit über oberflächliche Eigenschaften hinaus. App-Dating in Kombination mit der gestiegenen Anzahl von Frauen in Ausbildungen und Jobs, hat zu einer Zunahme der „assortativen Paarung“ geführt –auch bekannt als Beziehungen mit einem Partner, der einem selbst in vielen Dingen ähnelt, die über Oberflächlichkeiten hinausgehen. Match.com hat 1995 den Grundstein fürs Online-Dating gelegt. Gefolgt von Websites wie OKCupid in den frühen 2000ern und schließlich Tinder, das den App-Boom 2012 ins Rollen brachte. Davor hatte man nur wenige Möglichkeiten, seine bessere Hälfte zu treffen. Vielleicht über Familie oder Freunde, Kirche, Arbeit oder Hobbys, oder vielleicht in einer Bar oder einem Café, wenn man mutig genug war und etwas Glück hatte. Aber die meisten Menschen trafen sich in ihrem „losen“ sozialen Netzwerk. „Während die meisten Leute wahrscheinlich nicht einen ihrer besten Freunde gedatet haben, sind sie sehr wahrscheinlich mit Leuten ausgegangen, die mit ihrem Freundeskreis verbunden waren – zum Beispiel einem Freund eines Freundes“, erklärt MIT Technology Review.

Online-Dating hat im Grunde alle unsere sozialen Netzwerke gesprengt. Wenn ihr euch übers Online- oder App-Dating verabredet, werdet ihr euch viel eher mit einem völlig Fremden treffen. Und wenn ihr dank dieser Tech-basierten Methode ein Paar werdet, geht ihr eine neue Bindung ein, die es vorher noch nicht gab. Und die so die Struktur eures sozialen Netzwerks völlig verändert.  Um den Standpunkt zu untermauern, dass Online-Dating gesellschaftliche Beziehungen komplett verändert, verweisen Forscher darauf, dass immer mehr Ehen zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen geschlossen werden. Ich hatte das noch gar nicht so wirklich wahrgenommen, ehe ich von dieser Forschung hörte. Also schaute ich mich in meinem eigenen sozialen Umfeld nach Beweisen um – und tatsächlich: Von meinen vier engsten Freunden trifft das auf zwei zu. Natürlich gibt es für diesen Aufwärtstrend noch andere mögliche Gründe als Online-Dating, aber letzterer scheint der wichtigste zu sein. Nach jedem Online-Dating-Boom kommt es zu einem Anstieg interkultureller Beziehungen. Der letzte große Sprung war 2014, etwas mehr als ein Jahr nach dem Launch von Tinder.

Darüber hinaus sprechen Wissenschaftler auch von stärkeren Ehen in einer Gesellschaft, die sich voll und ganz dem Online- und App-Dating verschrieben hat. In der Vergangenheit haben Forscher einige Gründe herausgefunden, weshalb Online-Dating eine besonders praktikable Methode sein kann, seinen Traumpartner zu treffen. Vor allem, weil man nach gleichen Interessen filtern kann und man eher jemanden trifft, der motiviert ist, eine Beziehung aufzubauen. Beides ist ein guter Grund, um zu swipen, Dates auszumachen und neue Leute zu treffen. Nachdem ich in diesem Zeitalter der „Optionen“ viele Paare interviewt habe, bin ich voller Hoffnung auf stärkere Beziehungen. Obwohl Online-Dating ein holpriges Unterfangen sein kann – das Swipen, das Ghosting, das Unbekannte – kann es einen auch mit vielen verschiedenen „Typen“ zusammenbringen. Viele verschiedene Leute zu daten, die man größtenteils über Apps kennengelernt hat, ist heute für viele ganz normal. Wenn ihr ein bisschen herumgedatet habt, wisst, was ihr braucht und was ihr mögt, könnt ihr leichter sagen, wann eine Beziehung das Zeug hat, zu halten. Ganz zu schweigen davon, dass ihr dann auch eher von eurer Entscheidung überzeugt sein werdet. Und das macht all diese schlechten Tinder-Dates und Ghosting-Episoden absolut wert.

 

Robin Micha
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