Model Indi Irvin über Diskriminierung in der Modeindustrie
Das Model engagiert sich seit Jahren für mehr Diversity in der Modewelt. Sie sagt: „Wir müssen gesehen und gehört werden“. Wir haben Irvin zum Gespräch getroffen.
Foto: Courtesy of Indi Irvin // Text: Sydney Gore
Letzten März rückte India „Indi“ Irvin ins Zentrum der Aufmerksamkeit, als sie zusammen mit einer Gruppe farbiger Models vor der Balenciaga-Show unter dem Motto „Black Models Matter” demonstrierte mit dem Ziel, die systeminhärenten rassistischen Tendenzen auf der Paris Fashion Week und darüber hinaus aufzuzeigen. Irvin hatte den Protest organisiert, um ein Bewusstsein für den Mangel an Diversität und Inklusion in der Modeindustrie zu schaffen. Obwohl sie damit die Branche angriff, der sie selbst angehört, und so auch ihre Modelkarriere in Gefahr brachte, demonstrierte Irvin mit ihren Gleichgesinnten weiter.
Vor dem Black-Models-Matter-Protest war die 26-Jährige bereits stark an der Free-the-Nipple-Kampagne beteiligt. Man kann sie sogar in einem kurzen Dokumentarfilm sehen, in dem eine Gruppe Frauen oben ohne durch New York marschiert.
„Mir war das sehr wichtig, da ich absolute Verfechterin der Gleichberechtigung bin. Ich fand es schon immer unfair, dass ein Typ etwas machen kann, ein Mädchen aber für genau das Gleiche komplett anders beurteilt wird“, sagt sie. „Ein Mann kann oben ohne an den Strand gehen, aber wenn eine Frau das macht, ist es auf einmal etwas ganz anderes. Es geht mir noch nicht einmal darum, dass ich unbedingt oben ohne herumlaufen möchte, aber ich möchte die Freiheit haben, es tun zu können.”
Irvin beschreibt sich selbst als Unisex-Model und vergleicht sich gern mit Mulan, der einzigen Disney-Prinzessin, mit der sie sich identifizieren kann. Mulan schnitt sich nicht nur die Haare ab, um heimlich zum Militär zu gehen und ihrem Land zu dienen, sie kämpfte auch für das, an was sie glaubte. „So war ich auch schon immer” – mit dem großen Unterschied, dass Irvin nicht im Verborgenen kämpft: Sie will, dass die Welt weiß, wer sie ist und wofür sie steht.
In jüngster Zeit hat sich Irvin auch der Kunst bedient, um Gesellschaftskritik zu üben. Wir sprachen mit dem Model über ihren politischen Aktivismus und ihre weiteren Pläne zur Beherrschung der Mode- und Kunstwelt.
In welchem Alter hast du begonnen, dich politisch und gesellschaftlich zu engagieren?
Ich glaube, meine frühesten Protest- und Aktivismus-Erfahrungen habe ich mit meiner Mutter gemacht, gegen die ich mich konstant aufgelehnt habe. Als Kind war ich sehr burschikos, ein Tomboy, aber sie wollte immer, dass ich Kleider trage, und ich reagierte darauf mit: „Warum? Warum muss ich ein Kleid anziehen? Warum kann ich keine Jeans tragen? Warum kann ich nicht das anziehen, was ich möchte?” Diese Argumentationen mit ihr waren mein frühester Protest.
Es ist generell schwer, als Model zu arbeiten – aber besonders für farbige Frauen. Warum war es für dich wichtig, auf der Pariser Fashion Week zu demonstrieren und deine Meinung laut auszusprechen?
Die ganze Branche ist sehr trendbeeinflusst: Sie nehmen alle dasselbe Mädchen und lassen sie laufen und laufen, bis sie komplett „aufgebraucht“ ist. Ich war bei so vielen Castings in Mailand und habe mein Bestes gegeben. Aber genommen wurden nur die gleichen fünf Models aus New York. Sie kamen durch und übernahmen die Shows. In Mailand gibt es keine schwarzen Models, daher dachte ich: „Oh, ich habe diese Saison richtig gute Aussichten.” Es lief okay für mich, aber nicht so gut, wie ich eigentlich wollte, also war ich schon genervt, als ich in Paris ankam, und ich hatte dort nur eine Show.
Ich wollte ein Zeichen setzen und auch die großen Models, die für diese Shows laufen, ermutigen, sich darüber zu äußern, was in der Branche passiert und dass sie nur als Trends benutzt werden. In Paris war es schon immer dasselbe, es hat sich nie viel verändert. Von den vier großen Fashion-Week-Städten war New York dieses Jahr die einzige, die Transgender-Models hatte. Da Paris aber so traditionell ist, war es für mich der perfekte Ort, um zu demonstrieren.
Du machst etwas wirklich Notwendiges: Wenn die Menschen in der Branche nicht jetzt ein Zeichen setzen, wird es niemals irgendwen kümmern.
Ja, genau. Vor dem Protest habe ich noch meinen Agenten angerufen. Ich hätte es so oder so getan, aber ich dachte, ich sollte ihn vielleicht vorher um Rat fragen. Also rief ich ihn an und fragte: „Soll ich das wirklich machen? Glaubst du, das ruiniert meine Karriere? Meinst du, dass ich dann nie mehr einen Job bekomme und niemand mehr mit mir arbeiten möchte?” Er antwortete nur: „Ehrlich gesagt, du solltest das machen. Sichtbarkeit ist besser als Unsichtbarkeit.”
Als ich den Protest organisierte, legte ich die Karten offen vor mir auf den Tisch. Ich sagte mir, wenn das jetzt meine Karriere war und ich danach nichts mehr mache, ist das okay für mich. Ich könnte aufhören zu modeln, und es würde mir nichts ausmachen. Und im Endeffekt war es großartig, es wurde viel mehr darüber berichtet, als ich gedacht hätte – ich bin wirklich froh, dass ich es gemacht habe.
Warum ist es wichtig für dich, zu protestieren?
Ich habe mich lange bei „Black Lives Matter” engagiert, aber irgendwann damit aufgehört, weil ich so demotiviert war. Wenn wir demonstrierten, kam die Polizei und nahm uns einfach fest… Nichts passierte. Eine Zeit lang gab ich das Protestieren auf, aber jetzt mache ich weiter damit, weil es wirklich wichtig ist. Wir müssen gesehen und gehört werden. Wir gehen nicht weg – und wenn sie uns treten und schlagen und festnehmen, kommen wir am nächsten Tag wieder.
Wo siehst du die größte Entwicklung in der Branche, was Inklusion und Sichtbarkeit angeht?
Das ist definitiv in New York. Es wird immer normaler, Transgender-Models laufen zu lassen: Zwei waren in der Show von Marc Jacobs. Aber das sind auch nur zwei von so vielen Mädchen, die ihr Bestes geben. Trotzdem ist New York meines Erachtens am weitesten; am schlimmsten ist es wohl dagegen in Mailand.
Gibt es denn im Backstage-Bereich, in Bezug auf die Stylisten und Hair- und Make-up-Artists, Verbesserungen?
Ich glaube nicht. Ich glaube noch nicht einmal, dass das bislang ein Thema ist. Ich merke, dass „Black Models Matter” zum Trend wird, dass viele Leute drüber reden. Aber ich glaube nicht, dass es auch den Backstage-Bereich erreicht. Viele Haarstylisten haben keine Ahnung, was sie mit krausen Locken machen sollen. Im Haar- und Make-up-Bereich ist man entweder weiß oder asiatisch. Verrückterweise gibt es niemanden am Set, der wirklich weiß, was er mit uns anstellen soll.
Kannst du mir noch etwas über Dein Kunstprojekt erzählen, das Du kommenden Sommer präsentieren wirst?
Es wird so etwas wie eine Reise nach innen. Ich habe das Konzept noch nicht komplett zusammen, aber ich möchte mich stärker auf den Performance-Aspekt konzentrieren. Ich will wenig Beleuchtung, dramatische Musik, afrikanische Trommeln… Ich möchte eine Geschichte erzählen, ohne Worte, nur durch Bewegung und Berührung. Ich will zeigen, wie es ist, im eigenen Körper gefangen zu sein. Das ist natürlich ein weites Feld und ich habe auch noch nicht alles beisammen, aber ich werde viel mit Spiegeln arbeiten. Ich möchte den Menschen helfen, nach innen zu blicken. Ich glaube, diese Sichtweise kann wirklich die Welt verändern, denn alles kommt von innen.
Was motiviert dich, jeden Tag aufzustehen und für das zu kämpfen, was Du liebst?
Ich glaube an Gott und an Jesus Christus. Meine Spiritualität motiviert mich, denn ich glaube, dass es einen Grund für mein Dasein gibt. Manchmal bin ich auch zerstreut, aber je älter man wird, desto mehr begreift man, dass wir alle hier auf dieser Welt sind, um uns zu lieben und gegenseitig zu helfen. Mich motiviert die Tatsache, dass ich immer noch hier bin und noch große Dinge vor mir habe. Wenn du ehrlich zu dir selbst bist, werden sich alle kleinen Puzzleteilchen zusammenfügen.
Wie schaffst du es in dieser Zeit am besten, dich auch um dich selbst zu kümmern?
Die Kunst ist wahrscheinlich meine beste Therapie. Ich arbeite noch nicht allzu lange künstlerisch und habe erst vor vier, fünf Jahren begonnen, meine Arbeiten zu zeigen, aber die Kunst hilft mir, fokussiert zu bleiben. Reisen auch. Bei allem, was gerade in der Trump-Regierung passiert, und auch in einer so großen Stadt wie New York kann man sich manchmal richtig gefangen fühlen. Daher war ich das letzte halbe Jahr in Europa. Ich bin einfach aus einer Laune heraus abgereist und hatte keine Ahnung, was ich genau machen würde – und alles hat sich ganz wundervoll gefügt.
Was möchtest Du am Ende des Jahres erreicht haben?
Ich würde gerne in weiteren Ländern und Städten vermittelt werden, besonders in Paris und London. Aber ehrlich gesagt, kommt es, wie es kommt. Ich wünsche mir, dass meine Familie und ich gesund bleiben, das ist eigentlich auch schon alles. Ach ja, und wenn Trump abgesetzt werden würde, wäre das super!
Meine Mentorin ist gerade in Afrika. Für mich ist sie eine unglaubliche Inspirationsquelle. Zur Zeit ist sie in einem kleinen Dorf und hilft dabei, Wasser aus den Bergen zu holen. Sie macht also etwas wirklich Essenzielles. Ich habe sie jetzt so lange nicht gesehen und würde auch gern nach Afrika reisen. Am liebsten auch ein halbes Jahr in so einem kleinen Dorf verbringen und mein Netzwerk und meine Bekanntheit dafür einsetzen, dass Hilfe zu den Menschen gelangt, die sie wirklich brauchen.