Baysound what?? Wir haben Hillbilly-Visionär LIL an der Ostsee getroffen
LIL schreibt seit 20 Jahren Songs, die niemand kennt. Jetzt teilt er sie er mit der Welt. Aber nur auf seiner eigenen Website. Hier erfahrt ihr alles über den Rapper aus Schleswig Holstein.
Wer ist LIL? Vielleicht das bestgehütete Geheimnis zwischen Lübecker Bucht und Holsteinischer Schweiz. Vielleicht auch einfach ein Typ mit Bandana und Peugeot Speedfight 1, der nachts über Feldwege rollert – und dabei Songs schreibt, die niemand kennt, weil er sie nirgendwo veröffentlicht. Außer auf seiner eigenen Website. Klar.
LIL ist 34, macht seit 20 Jahren Musik – und wurde von der lokalen Presse jüngst als „Rap-Newcomer“ betitelt. „Mir egal“, sagt er trocken. „Irgendwie muss einen die Presse ja nennen. ‚Der Dings‘ können sie ja schlecht schreiben.“
Aus „Ortskontrollfahrt“ wird ein Fotowettbewerb
In die Öffentlichkeit gespült wurde LIL (wenn man das überhaupt so nennen kann) durch einen Fotografie-Wettbewerb. Kein Label-Move, kein Promo-Trick. Einfach ein Kunstprojekt aus Bock. Entstanden ist das Ganze beim Arbeiten am Song „Ortskontrollfahrt“ – einem Track über nächtliches Unterwegssein im Hinterland. „El Norte, wie wir das hier nennen“, scherzt LIL.

Underdog in Angriffspose? – Montage mit Motiv aus dem Fotowettbewerb Nachts in Schleswig-Holstein, initiiert von LIL & Mark Smith – Hintergrundfoto: Karsten Schlüter
Zusammen mit seinem Produzentenfreund Mark Smith, der normalerweise eher für Popgrößen mit Millionen-Streams komponiert, startete er das Projekt. „Wir wollten sehen, wie die Leute hier im Norden die Nacht sehen – ich schreibe ja ständig darüber, aber was bekommen andere vor die Linse? Ohne Filter. Ohne Algorithmus. Einfach echte Perspektiven“, sagt LIL. Überraschung: abertausende Fotos kamen rein.
„LIL ist anders als alle, mit denen ich sonst arbeite“, sagt Mark Smith. „Er hat keine Karriere-Agenda. Er will einfach Welten bauen.“
Mit LIL nach Bayview
Bayview – so heißt diese Welt. Sie ist fiktiv, aber angelehnt an den echten Norden. Eine erfundene Bucht – die Bay –, eine Stadt mit Hinterland, ein Kosmos, in dem LIL seine Songs verortet. „Nur über die Lübecker Bucht zu schreiben, wär mir zu langweilig“, erklärt er. „Bayview ist angelehnt an den echten Norden und meinen Lifestyle, nur literarischer. So’n bisschen wie Haruki Murakami mit DLRG-Shirt“, lacht LIL.
„So ein World-Building-Approach hat auch seine Vorteile“, meint er. „Wenn du eine eigene Welt hast, kannst du dich musikalisch komplett frei bewegen – und dich fragen, wie sich so eine Welt anhört.“

El Norte: Kuhstall, Sternenhimmel und 80 km/h bis Strand. So sieht’s bei LIL zuhause aus. Platz 14 aus dem Fotowettbewerb Nachts in Schleswig-Holstein (Foto: Hugo Richters)
Baysound – der neue Norden?
„Baysound ist, wie Bayview klingt“, erklärt LIL. Nicht Hip-Hop, nicht Pop, nicht Schlager. Sondern: Baysound. Ein eigenes Ding, eine Haltung, ein Mosaik.
Für LIL spielt das Unterwegssein eine zentrale Rolle: „Antizipation ist doch eine der schönsten Freuden überhaupt, no? Wenn Musik sich anfühlt wie Cruisen, wie Aufbruch, dann ist schon viel gewonnen“, sagt er. „Durch die Nacht. Oder durch den Tag. Hauptsache unterwegs.“
LIL mag leichte, lebensbejahende, helle Produktionen. „Wenn ich den Norden vertone, dann hell“, sagt er. „Schwere und übertriebene Nachdenklichkeit sind nicht so meins.“ Dabei spielt das Genre für ihn keine Rolle. „Ich höre ja selber alles mögliche. Haben die Beginner doch auch mal gesagt: Wer Hip-Hop macht, aber nur Hip-Hop hört, betreibt Inzest, oder so“, grinst LIL. „Und als gute alte Dörfler lieben wir halt Pop, Rock und Schlager. Think: Disco, Dorffeste, Oldie-Nights, Trecker-Trecks.“ (Anm. d. Red.: Das Beginner-Zitat stammt von Jan Delay, aus ‚Fäule‘)
Der erste Track auf LILs Website ist „Domino“. Domino Day anyone – eine 2000er-Referenz? „Da habe ich gar nicht drüber nachgedacht. Maybe. Ich kenne das von früher, ja. Aber was ich eigentlich sagen wollte: Nicht den hundertsten Schritt vor dem ersten durchdenken. Einfach mal den ersten Stein tippen und schauen, wohin es einen führt.“
Darauf rappt LIL in, sagen wir: Ostsee-Lingo – „Gewichte in der Vario rotieren minimal im Flow“ – und reimt „Rainbow Pussy Unicorn” auf “Bayview City Musical“. Eine Referenz an die Lackfarbe, mit der er kürzlich die Felgen seines Rollers bearbeitet hat. Und an die Vision, einer fiktiven Gegend einen eigenen Sound zu geben. Kein Witz.

Felge oder Fashionstatement? Rainbow Pussy Unicorn (rechts) – Lackiert by LIL – obviously.
„Ich mag Sachen, die keinen Sinn machen müssen“, bringt LIL es zurück auf den Boden. „Guck mal, ich trag DLRG-Shirts und Muschelketten. Ich steh auf türkise Bandanas und Chinos braun wie Strandsand. Das ist einfach mein Style. Das ist die Bay. Einfach mal machen, nicht so viel nachdenken. Das können ja die seriösen Künstler übernehmen“, zwinkert er.
Straight El Norte
Ob das alles irgendwie mit Rap zu tun hat? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. LIL rappt uns „Scooter Splash“ vor, ein weiteres Demo, das von einer Rollerwaschanlage im sonnigen Norden handelt. Gut rappen kann er jedenfalls.

Fährt man wohl noch mit über 30? (Peter Pan much?) LILs Speedfight-1 – Bayview-Style und Redneck-Attitude auf zwei Rädern.
„Ich bin kein Hamburger. Ich komm aus Schleswig-Holstein“, sagt LIL, angesprochen auf eine mögliche neue Hip-Hop-Vision für den Norden. Ein wichtiger Unterschied (für LIL). Denn während Hamburg als Wiege des deutschen Rap gilt – mit Acts wie Beginner, Fettes Brot oder Samy Deluxe – ist Schleswig-Holstein bisher eher ein weißer Fleck auf der Rap-Landkarte.
„Vielleicht ist das gut so“, überlegt LIL und schaut auf die Lübecker Bucht. „Wenn sich eh keiner für uns interessiert, hat man alle Freiheit, seinen eigenen Sound zu machen…“
Darum nennt er seine Musik auch nicht Bay-Rap, sondern Baysound. Weil es ums Gefühl geht. Um Bayview. Um die Reise.
Und nu?
Was bleibt, ist kein Hype. Kein Hit. Sondern eine Haltung. Eine fiktive Bucht, in der es erlaubt ist, Kunst zu machen, die keinem Format folgt. Die nicht um Aufmerksamkeit buhlt, sondern einfach existiert – wie ein Soundtrack für eine Gegend, die es gibt und doch nicht gibt.
„Tippt den Stein Domino“, sagt LIL.
Und dann sieht man, was passiert.