Warum Millennials so besessen von
Zimmerpflanzen sind
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Text: Taylor Bryant // Illustration: Jihyang Lim
Es war ein lebhafter Samstagnachmittag in New Yorks Chinatown, und im The Sill tummelten sich die Pflanzenliebhaber. Darunter Paare, die Bogenhanf betrachteten. Ein junger Mann, der über die Notwendigkeit einer hängenden Version der Hoya kerrii debattierte – eine herzförmige Pflanze, die, wie ein Sill-Mitarbeiter betonte, „selten und sehr schwer zu finden“ ist. Und eine junge Frau, die an der Ladentheke Tipps bekam, welche Pflanzen sich am besten für ihre Lebenssituation eigneten. „Mit Sukkulenten kannst du nichts falsch machen“, beriet der Verkäufer sie. „Sie sind wie Männer: Je mehr du sie alleine lässt, desto mehr wollen sie dich.“ Eine Metapher, die zurückblickend wohl einen ziemlich schlechten Beziehungsrat abgab, aber die Idee war klar. Die Kundin kaufte am Ende die empfohlene Sukkulente, zusammen mit zwei anderen Pflanzen und drei Töpfen. Ich staunte nicht schlecht, als ihr der Gesamtpreis verkündet wurde: umgerechnet 212 Euro. Ohne mit der Wimper zu zucken, reichte sie ihre Kreditkarte herüber.
Die Beziehung zwischen Millennials und Pflanzen blüht gerade so richtig auf. Dem National Gardening Report 2016 zufolge entdeckten im Jahr 2015 sechs Millionen Amerikaner die Gartenarbeit neu für sich, fünf Millionen davon waren zwischen 18 und 34 Jahren. Damit überholen sie sogar noch ihre Eltern: 37 Prozent der Millennials bauen drinnen Pflanzen und Kräuter an – im Vergleich zu 28 Prozent der Elterngeneration. Nimm das, Martha Stewart! (Sie behauptete einmal, Millennials hätten nicht die Motivation zu lernen, wie man Tomaten oder Spinat anpflanzt, FYI.)
Und genau dieser Trend zeigt sich auch immer mehr hier bei uns. Es gibt viele Gründe, warum die 20- und 30-Somethings sich um einen grünen Daumen bemühen. Einer von ihnen ist der Ort, an dem sie leben. Der Trend gilt vor allem für Indoor-Pflanzen, da – wie die Statistik zeigt – weniger Millennials Häuser kaufen und sich stattdessen vermehrt dazu entschließen, in die Stadt zu ziehen und in Mietwohnungen zu leben. In winzigen Räumen und launischen Jahreszeiten beschränkt sich der Kontakt zur Natur häufig auf ein Minimum. Und genau dort kommen Zimmerpflanzen ins Spiel.
Judith de Graaff, Co-Autorin des Buchs „Wohnen in Grün: Dekorieren und Stylen mit Pflanzen“, weiß, wovon sie schreibt – auch wenn sie selbst kein Millennial ist. Sie züchtet seit Jahren ihre Indoor-Kollektion heran, die mittlerweile auf 150 Pflanzen herangewachsen ist. „Immer mehr Menschen leben in Städten. Sie leben in sehr kleinen Räumen“, erzählt uns Judith de Graaff. „Und auch, wenn es vielleicht ein paar Parks in der Nähe gibt, haben sie doch den Kontakt zur Natur verloren. Der einfachste Weg, um sich unseren Wurzeln wieder anzunähern, ist – abgesehen davon, einfach nach draußen zu gehen – Zimmerpflanzen ins Haus zu holen. Du siehst zu, wie sie wachsen und lernst, geduldig zu sein, weil sie nicht morgen oder sofort blühen.“
Dieser Aufwärtstrend sei auch auf die Gesundheitsthemen zurückzuführen, die Millennials am Herzen lägen. Auf der Verpackung angegebene Begriffe wie glutenfrei, biologisch und nachhaltig verleiten junge Konsumenten zum Kauf. Das gilt auch für unser Zuhause. „Die Millennial-Generation ist sehr um ihre Gesundheit bemüht und darum, dass ihre Umgebung gut für sie ist“, sagt Tara Heibel, Gründerin von Sprout Home. „Viele Leute kommen in den Laden und fragen, welche Pflanzen den besten Sauerstoff abgeben. Sie sind wirklich sehr darauf bedacht, ihr Leben besser zu nutzen. Und Pflanzen können ein Teil davon sein.“
Und auch für die psychische Gesundheit sind sie eine wahre Freude (ernsthaft: Es gibt Statistiken, die genau das beweisen). „Millennials werden Geld für Dinge ausgeben, die sie glücklich machen“, sagt Tara Heibel. „Sie werden heiraten und möglicherweise später im Leben Kinder haben – oder gar keine Kinder – und sie werden sicherstellen, dass ihre Umgebung eine ist, in der sie gerne leben wollen. Und Gott sei Dank sind Pflanzen ein Teil davon.“
Noch keine Kinder zu haben, ist in der Tat ein weiterer Faktor. Stattdessen werden Millennials zu „Pflanzeneltern“ von Aloe Vera, Gummibäumen, Sukkulenten und Strelitzien. Diese Spezies nach Hause zu holen, stellt zwar eine zusätzliche Verantwortung dar, die aber nicht annähernd so groß ist wie jene, die ein Kind mit sich bringt (und ganz nebenbei steht man auch weniger unter Druck, eine Pflanze am Leben zu halten als einen Menschen). Wenn überhaupt, hilft es, sich auf mehr Verantwortung im Leben vorzubereiten. Vielleicht dient eine Pflanze als Ausgangspunkt für ein Haustier, das einen dann wiederum einen Schritt näher an ein Kind heranbringt. Oder es ist einfach nur etwas, das man umsorgen, lieben und beim Wachsen beobachten oder mit dem man angeben kann. Und nur für den Fall, dass ihr es vergessen habt: Dies ist ein Artikel über Millennials. Und in dieser Gruppe ist ein Trend erst dann ein Trend, wenn er sich gut für Social Media eignet. Und das tun Pflanzen definitiv! Neben allem, was wir bereits erwähnt haben, sind sie vor allem schön anzusehen. So wird Tara Heibel nicht nur gefragt, welche Pflanze am leichtesten zu pflegen sei oder den meisten Sauerstoff abgebe, sondern auch welche sich am besten in der Wohnung mache. „Sie kommen mit ihrer Kamera und ihrem Telefon und zeigen mir Fotos von ihrem Zuhause, um den perfekten Akzent für ihre Möbel zu finden“, erzählt sie uns. „Sie sehen es als Teil der Architektur eines Raumes an. Pflanzen sind für sie eine Priorität und nicht bloß etwas Kleines, das sie auf den Tisch stellen. Sie machen Platz in ihrer Design-Ordnung für Pflanzen und betrachten sie als Teil des ästhetischen Gesamtpakets.“ Pantone ernannte „Greenery“ zur Farbe des Jahres 2017, was mehr als passend ist. Denkt nur dran, wie Millennial Pink abging und sich noch heute hartnäckig hält. Wir prognostizieren dasselbe in diesem Fall. Pantones Statement, um seine Wahl zu erklären, lautet:
„Greenery hat die Anmutung von jungen, frischen Blättern und Trieben und vermittelt Kunden das Gefühl, tief einzuatmen, um Sauerstoff und neue Kräfte zu tanken.“
Okay, wir hätten nichts dagegen, wenn sich dieses Gefühl noch ein bisschen länger halten würde – oder für immer. Tatsächlich gibt es bereits eine ganze florierende Gemeinschaft urbaner Dschungel-Liebhaber, die sich auf #MonsteraMonday oder #SansevieriaSunday freuen und deren größter Kick ein Zeitraffervideo über flauschige Bromeliengewächse ist. Quasi als Pendant zu den 60-Sekunden-Make-up-Videos auf Instagram für Beauty-Fans. Allerdings, liebe Kosmetik-Freunde, kann ein #Shelfie eures Schminktischs einem #PlantShelfie nicht das Wasser reichen. Daran gibt’s nichts zu rütteln.
Wird das Pflanzeninteresse der Millennials nachlassen, wenn sie älter werden und sich ihre Interessen verschieben? Möglich, aber weder Tara Heibel noch Judith de Graaff glauben daran. „Es wird sich wahrscheinlich im Laufe der Zeit verändern, zusammen mit den Pflanzenarten, die angesagt sind… Ich denke, in zehn Jahren wird es anders sein, aber es wird noch immer viele Pflanzen bei den Leuten zu Hause geben“, so Graaff. Nachdem sie ihre Kreditkarte dem Sill-Verkäufer herüber gereicht hatte, stellte die junge Frau fest: „Ich werde eine Katzen-Lady, aber mit Pflanzen.“ Woraufhin sie als Antwort bekam: „Achtzig Prozent der Leute, die hier hereinkommen, sind Katzen-Ladies. Es scheint also einen Zusammenhang zu geben.“ Ich selbst (ein Millennial!) bin zwar keine Katzen-Lady (und werde auch nie eine sein), habe aber mittlerweile 19 Pflanzen (Tendenz steigend). Man könnte mich also als wandelndes Klischee bezeichnen. Und der Grund für meinen Besuch bei The Sill an diesem Tag war, dass ich eine Pflanze ersetzen wollte – die ironischerweise eingegangen war, nachdem ich einen Kurs belegt hatte, wie man Zimmerpflanzen aufzieht. „Ich bin sicher, du wirst dieses Mal mehr Glück haben“, sagte mir der mitfühlende Sill-Mitarbeiter. „Ich komme sowieso zurück“, antworte ich. „Meine Wohnung könnte ein paar Rankengewächse gebrauchen. Und ich glaube an die Kraft der Masse.“