Was zu tun ist, wenn euch euer Leben um die Ohren fliegt
Atmet tief ein und aus. Und vergesst nicht: Am Ende wird alles gut.
Text: Carolyn Yates
Manchmal ändert sich alles auf einmal. Ob es eine plötzliche Trennung ist, euer Hund von einem Auto angefahren wird, eure Mutter von einem Auto angefahren wird, ihr gefeuert werdet oder eine von hundert anderen möglichen persönlichen Krisen auftritt: Schlechte Dinge passieren ständig aus dem Nichts heraus. Wie also damit umgehen?
Drückt die Pause-Taste
„Das Erste ist: Keine großen Entscheidungen treffen, das Tempo rausnehmen, sich um sich selbst kümmern und realisieren, dass man nicht klar denkt“, sagt Psychologin Jenny Taitz, Mitglied des „American Board of Professional Psychology“ und Autorin des bald erscheinenden Buches „How to Be Single“. Die Forschung zeigt, dass intensive Emotionen der Problemlösung im Weg stehen und Menschen bei IQ-Tests und logischen Fragestellungen schlechter abschneiden lassen. Das bedeutet: Versucht erst einmal zur Ruhe zu kommen – egal, wie schlimm die Situation ist. Haltet den Atem an, während ihr euer Gesicht in eine Schüssel Eiswasser taucht, Eis auf eure Wangen drückt oder Eiswürfel in die Hände nehmt. „Das Gesicht in Eiswasser zu stecken oder Eis in der Hand zu halten, schafft einen Tauchreflex, der euch physiologisch beruhigt“, sagt Taitz. Wenn ihr euch panisch fühlt, versucht fest verankert und präsent im Hier und Jetzt zu bleiben. Konzentriert euch darauf, wie sich eure Füße auf dem Boden anfühlen. Oder schaut euch eure Umgebung an und benennt jedes Objekt, das ihr seht. „Sich selbst zu sagen: ‚Das ist eine Pflanze, das ist ein Stuhl, das ist ein Tisch, das ist eine Uhr’, kann Sie aus diesem Panikzustand und der negativen Gedankenspirale herausholen“, sagt Grazel Garcia, Paar- und Familientherapeutin mit eigener Privatpraxis in Los Angeles.
Versucht, schädliche Bewältigungsmechanismen zu identifizieren, die wiederum ihre ganz eigenen Problemen mit sich bringen können. Vor allem, wenn der Verlust sehr komplex ist, sind „Abwehrmechanismen als vorübergehende Antwort präsent, die einen durch die erste Welle des Schmerzes tragen. Erdrückende Emotionen können zu Selbst-Sabotage führen“, so Garcia – und meint damit zum Beispiel Drogenmissbrauch. Und: Habt keine Angst davor, eine Krisen-Hotline anzurufen, wenn ihr eine braucht.
Seid nicht durcheinander, dass ihr durcheinander seid
Nun seid ihr also ruhig – oder zumindest so ruhig, wie es im Moment möglich ist. Sobald ihr über eure Gefühle nachdenken könnt, ist es wichtig, euch auf eure Emotionen einzulassen. „Entscheidend ist, dass ihr eure Gefühle anerkennt –selbstverständlich seid ihr aufgewühlt. Bevor ihr dies jedoch tut, solltet ihr einen Schritt zurück treten und euch darüber bewusst werden, welche Emotionen ihr fühlt und wie intensiv sie sind“, so Jenny Taitz. Die Alternative – also die Emotionen bzw. sich selbst dafür zu verurteilen, dass man sie fühlt – bedeutet, dass ihr zwei Dinge durchleiden müsst: das ursprüngliche Gefühl sowie darüberhinaus noch Schuld oder Scham, was die Dinge noch schlimmer macht. „Das Vermeiden von Gefühlen, schafft eine Krise, während die Anerkennung von Gefühlen als etwas völlig Normales, wirklich hilfreich ist“, erklärt Jenny Taitz. Wer sich keine Gefühle erlaubt, kann das auch in Form von körperlichen Konsequenzen zu spüren bekommen. „Manche können körperliche Traumata erfahren, wenn sie weiter an Emotionen festhalten, die unterdrückt wurden“, erläutert Grazel Garcia. „Es gibt so viele Dinge, die in unserem Körper gehalten werden, und Unterdrückung schafft keinerlei Art von Bewegung. Daher könnten auf diesem Weg Angst und Symptome von Depression entstehen.“
Aufarbeitung: ja, aber maßvoll
Auf die Anerkennung folgt die Verarbeitung. „Insgesamt ist es von Vorteil, mit der Aufarbeitung anzufangen, sobald keine Gefahr mehr besteht“, schreibt uns Psychotherapeutin Wendy Ortiz, eine in Los Angeles ansässige Paar- und Familientherapeutin und Autorin von „Excavation: A Memoir“ in einer E-Mail. Aber der Prozess der Verarbeitung hängt immer auch von den jeweiligen Menschen und Umständen ab. „In einer Krise gibt es alle möglichen Gefühle. Einige von ihnen, darunter auch Trauer, sind nicht auf einer bestimmten, linearen Zeitlinie zu finden.“ Soll heißen: Viel Zeit in die Aufarbeitung eines Ereignisses zu investieren, muss nicht zwangsweise helfen und kann sogar das Gegenteil bewirken. „Es ist nicht hilfreich, etwas fünf Stunden lang niederzuschreiben oder sich sofort in einer Selbsthilfegruppe für Trauernde anzumelden“, glaubt auch Jenny Taitz. Wer immer wieder darüber nachdenkt, was passiert ist, die immer gleichen Bilder im Kopf abspielt oder jedem Freund detailgetreu davon erzählt, läuft Gefahr, in einer endlosen Grübelei zu versinken. Und die kann das Leid nur noch verschlimmern. „Durch ständiges Nachsinnen akzeptieren wir eine schmerzliche Erfahrung nicht, sondern durchleben sie immer wieder. Dadurch wird es umso schwerer, die Situation zu bewältigen“, so Taitz. Stattdessen: Akzeptiert, was passiert und lernt, im Moment zu sein.
Findet heraus, was ihr mit euch selbst anfangen könnt
Wenn ihr beginnt wieder nach vorne zu schauen, ist Struktur der Schlüssel. „Wenn sich jemand infolge einer Krise an irgendeiner Art von Struktur festhält, profitiert er meist schon vom bloßen Akt des Erwachens oder indem er irgendwo hingeht oder irgendetwas tut“, sagt Wendy Ortiz. Garcia empfiehlt, regelmäßig jemanden zu treffen oder anzurufen, dem man vertraut – zusammen mit Training, Meditation, viel Schlaf, Verzicht auf schädliche Substanzen und Hilfe von Freunden, die einem guttun oder dem Therapeuten. Wendy Ortiz schlägt vor, Listen zu schreiben: Wen könnt ihr um Unterstützung bitten? Welche Aktivitäten findet ihr beruhigend? Was braucht ihr, um jeden Tag oder sogar jede Stunde Balance zu finden?
Wenn ihr könnt, vertagt große Entscheidungen auf später
„Ich empfehle Akzeptanz, Validierung, Selbst-Mitgefühl, Selbst-Beruhigung. Was ich nicht empfehle, ist Dinge wegzuschieben oder sich zu wünschen, dass sie anders wären. Aber es ist nicht ganz leicht: Einige Dinge müssen Sie von sich schieben, wenn Sie keine großen Entscheidungen treffen wollen“, sagt Jenny Taitz. Auch wenn man die sofortige Panik hinter sich gelassen hat, kann es eine Weile dauern, bis man wieder klar denken kann. Aber manchmal gibt es Entscheidungen, die sich nicht aufschieben lassen. Ihr könnt euch Zeit nehmen, um in Ruhe herauszufinden, was ihr von einem zukünftigen Partner erwartet, aber nicht, was ihr in einer Trauerrede sagen wollt. „Aber seien Sie nett zu sich“, rät Taitz. „Es ist wirklich schwer, nach einem Todesfall klar zu denken, man muss einfach nur eine ausreichend gute Entscheidung treffen.“ Wenn schließlich die Zeit kommt, wieder in größeren Dimensionen zu denken, kann „ein klares Gespür für die eigenen Werte […] oder für ein Ziel im Leben“ helfen, um herauszufinden, was als nächstes kommt, so Taitz. Aber es ist okay, wenn diese Zeit noch ein wenig hin ist. „Es gibt keine festgelegten Zeiträume für Heilung oder Wachstum. Jeder verarbeitet anders“, versichert Ortiz.
Nur ihr könnt euch auf emotionale Verwüstung vorbereiten
Schlimme Dinge passieren. Und irgendwann wird etwas passieren, wodurch auch ihr euch wirklich, wirklich schlecht fühlen werdet. Ihr könntet euch also einfach schon darauf vorbereiten. „Destabilisierende Ereignisse können überraschend sein. Oder aber etwas, dessen wir uns schon bewusst waren und auf das wir gewartet haben. Die Frage ist: Welche Ressourcen hat eine Person bereits aufgebaut und aufrechterhalten, die sie angesichts destabilisierender Ereignisse oder Krisen unterstützen werden?“, fragt Wendy Ortiz. Sich in Achtsamkeit zu üben, im Moment zu leben, Meditation zu lernen (Jenny Taitz empfiehlt Headspace) und ein erfülltes Leben zu leben – mit Aktivitäten, die Spaß machen: All das hilft in einer Krise. Aber noch mehr, wenn ihr bereits mit diesen Dingen vertraut seid. Gleiches gilt für sozialen Support. „Sozialer Support ist in einer Krise sehr hilfreich. Stellen Sie also sicher, dass Sie gute Freunde haben. Und um gute Freunde zu haben, müssen Sie selbst ein guter Freund sein“, so Wendy Ortiz weiter.
Zurück in die Zukunft
Auch wenn ihr jetzt mit den Augen rollt: Versucht, neben all eurer Traurigkeit die Chance auf Veränderung und persönliches Wachstum zu sehen. „Es ist nicht immer nützlich oder produktiv, zu viel Lebenszeit in die Vorstellung zu investieren, wie die Zukunft einmal sein wird. Und dies ist ein günstiger Moment, um das zu erkennen“, sagt Ortiz. „Im Leben geht es um ständigen Wandel. Einige Veränderungen sind dramatischer, andere subtiler – aber es ist immer in Bewegung.“ Gleiches gilt für Gefühle. Zum Glück. „Erkennt, dass Emotionen kommen und gehen“, rät Jenny Taitz. „Die Menschen sind sehr schlecht darin, vorherzusagen, wie sie sich in Zukunft fühlen werden oder wie lang und intensiv sie sich schlecht fühlen werden. Oft denkt man: ‚Ich werde mit einer Trennung bestimmt nicht gut fertig’. Aber tatsächlich verkraftet man es am Ende besser als erwartet. Es sei denn man glaubt, dass man es wirklich nicht gut bewältigen kann, dann wird es irgendwann zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. […] Akzeptieren Sie Ihre Emotionen als etwas, das in diesem Moment passiert. Und prognostiziert nicht, dass ihr euch für immer so fühlen werdet.“