No Stranger
Als frisch gebackener Kultserienstar und Neuling in der Filmindustrie hat Charlie Heaton seinen Platz in der Welt des Schauspiels gefunden.
Fotos: Maxime Imkert // Text: Millie Cotton
Einige Köpfe drehen sich um, als Charlie Heaton in dem kleinen Nord Londoner Café mir gegenüber Platz nimmt. Teenager am Nachbartisch flüstern aufgeregt bevor einer den Mut aufbringt, sich umzudrehen und Heaton zu fragen, ob er der Schauspieler Matthew Modine sei. Das ist ein ziemlich unerwarteter Fall von Filmpartnerverwechslung, aber Heaton verneint höflich. Der Teenie gibt nicht auf:
„Aber du bist auch von Stranger Things, oder?“ – „Bin ich,“ sagt Heaton. „Aber ich bin Charlie. Schön, dich kennenzulernen.“
Bei dieser Begegnung liegt ein Hauch von Bescheidenheit und Unbeholfenheit in der Luft, der an eine Szene mit Sonderling Jonathan Byers, gespielt von Heaton in der erwähnten Netflix-Hit-Serie, erinnert. „Als ich das Skript gelesen habe, konnte ich einige Parallelen finden,“ so Heaton. „Jonathan kommt aus einfachen Verhältnissen mit einer alleinerziehenden Mutter. Auch ich bin mit einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen. Jonathan ist jemand, der schnell erwachsen werden musste. Viel schneller als seine Kameraden. Das macht ihn zum Außenseiter. Ich denke, viele Jugendliche können sich mit dieser Figur identifizieren.“
Aufgewachsen in Bridlington, einer kleinen Stadt im Norden von England, zog Heaton im Alter von 16 Jahren nach London und verbrachte einige Jahre als Drummer in verschiedenen Bands. Nachdem er abgebrannt von einer Tour zurückkehrte und dringend einen neuen Gig brauchte, folgte er dem Rat seiner Schwester und schrieb sich kurzerhand in einer Casting Agentur ein. „Ich bin an diesem Tag tatsächlich nur zu einem Casting gegangen, unterschrieb bei der Agentur, die mich direkt für einen Werbespot in der Schweiz vermittelte, der dann in Cannes einen Löwen gewann und mir zu einem Agenten verhalf,“ erinnert er sich. „Ich habe ein paar Sachen in England gemacht und ging dann nach L.A. Dort wurde ich für diesen Film (Shut In) gebucht und damit startete ein regelrechtes Schneeballsystem.“
Tatsächlich, denn obwohl ihm erst sein Auftritt in „Strange Things“ den vermeintlichen Durchbruch bescherte, war es doch eigentlich seine Rolle als Stephen Portman im Psycho-Thriller „Shut In“, der ihn zu einem Namen in Hollywood verhalf. Und all das passierte ganz ohne professionellen Schauspielunterricht. Allerdings, so Heaton, hatte er das ausdrückliche Glück einiger Echtzeit-Crashkurse seiner Schauspielkollegen am Filmset, wo er sich in sehr guten Händen befand. In seiner noch so jungen Karriere arbeitete Heaton schließlich schon mit zwei der renommiertesten Damen der Filmindustrie zusammen:
In „Shut In“ war es Naomi Watts, die er „in erster Linie aus King Kong kannte“, und in „Strange Things“ 90er Jahre Legende Winona Ryder. „Winona gibt emotional alles in einer Rolle“, schwärmt Heaton. „Es ist so schön anzusehen wie verletzlich sie vor der Kamera sein kann. Sie hat mir beigebracht, meine eigene Verletzlichkeit zu akzeptieren und keine Angst davor zu haben. Sie ist eine Ikone. Für mich war es unglaublich als ein Niemand ans Set zu kommen und in Winona jemanden zu finden, der sich meiner annimmt, sich kümmert und mir soviel gibt. Das war schön.“
Natürlich hat Heaton neben seiner On-Set-Ausbildung auch seine Hausaufgaben gemacht. Zum Beispiel bei seiner Vorbereitung auf „Shut In“: In der Geschichte stirbt der Vater seines Charakters Stephen bei einem fatalen Autounfall. Stephen selbst überlebt zwar den Unfall, verfällt allerdings in ein Wachkoma, infolgedessen seine Mutter ihn in einem kleinen abgeschiedenen Dorf rund um die Uhr pflegen muss. Wie bereitet man sich auf ein solch tristes Debut in Spielfilmlänge vor? „ Ich habe mir einen französischen Film mit einem Typen im Wachkoma angesehen und mich viel darüber belesen, welche Symptome dabei auftreten,“ so Heaton. „Ich habe viele sehr traurige Videos online gesehen. Da ist eine absolute Leere in den Augen. Es findet keinerlei Kommunikation statt. Um das zu verinnerlichen, habe ich viel Zeit damit verbracht, bewusst gar nichts zu tun. Aber es ist schwierig, über diesen Film zu reden, weil es darin noch so viel mehr als das gibt.“
Das stimmt: Im Laufe der Geschichte nimmt Naomi Watts Charakter ein weiteres Kind auf, das auf mysteriöse Art und Weise verschwindet, woraufhin sich der Plot verdichtet… Oberflächlich betrachtet, hört sich das ziemlich bekannt an, oder?
„Nunja, es ist sehr viel düsterer als in Strange Things. Es ist unheimlicher,“ bemerkt Heaton. „Es geht um die Schuld dieser Mutter gegenüber ihrem Sohn und dem verschwundenen Kind. Da gehen einige Dinge vor in dem Haus und am Ende gibt es eine große Wende.“
Als wir unseren Brunch beendet haben und uns langsam auf den Weg machen wollen, will ich es nicht verpassen, noch ein paar Stranger Things Staffel 2 Insiderinformationen abzugreifen. „Jeder fragt das und wir müssen da immer enttäuschen: Wir wissen überhaupt nichts! Ehrlich,“ gibt Heaton offen zu. Ich nehme an, da muss auch ich einfach abwarten.