Mythos Boygroup: So yesterday!?
Die Band Hanson ist ein Beweis dafür, wie überholt das Konzept der Boygroup ist.
Foto: Etsy // Text: Anne T. Donahue
Letzte Woche feierte Hansons Debutalbum „Middle of Nowhere“ seinen 20. Geburtstag – eines der wichtigsten Jubiläen 2017.
Und zwar deshalb, weil Hanson, trotz ihrer aktuellen Vorliebe für Uralt-Playbacks und Old-School DJ-Sets, schon seit Mitte der 90er Musik erschaffen. Wir sollten niemals vergessen, dass die Brüder 1995 „Boomerang“ veröffentlichten, Ende letzten Jahres eine Compilation ablieferten und vor zwei Wochen mit Tegan & Sara herumalberten – und dazu noch alle paar Jahre Live-Alben, Originalaufnahmen und Kompilationen abfeuern. Hanson transzendieren letztendlich die Idee einer Boygroup, obwohl sie das eigentlich weder nötig haben noch hatten, denn Boygroups sind an sich nichts Schlechtes.
„Boygroup“ war ein Schimpfwort, seitdem Popmusik die erste hervorgebracht hatte, denn von den Fans wurde das immer gleiche, langweilige Bild gezeichnet. Sie waren keine „richtigen“ Fans, zu jung und zu aufgeregt, und schnell blickten die Erwachsenen auf die kleinen Mädchen, die ihre Boygroups und deren Musik vergötterten, verachtend herab – weil sie ihre eigene Fähigkeit, einen Künstler oder eine Band vollen Herzens zu lieben, verloren hatten.
Das Ironische daran ist, dass die ganzen jungen, männlich besetzten Popbands wie Hanson oder die Backstreet Boys, sogar One Direction, ohne ihre Fans niemals so groß geworden wären. Ohne die kreischenden jungen Frauen im New Yorker Ed Sullivan Theater wäre der Einfluss und Erfolg der Beatles in Amerika weitaus geringer gewesen. Ohne Fans, die ganze Stadien füllten, um in den 80ern die New Kids on the Block zu sehen, wäre „The Right Stuff“ nicht mehr als der Titel eines (sehr guten) Films von 1983. Und ohne Hansons Fangemeinde würde uns das Jubiläum von „Middle of Nowhere“ nur daran erinnern, wie alt wir alle geworden sind – und nicht an die Tatsache, dass künstlerischer Erfolg über Jahrzehnte hinweg eine riesige Leistung ist (die noch größer wird, wenn man bedenkt, dass sie sich nie verändert haben).
Die Sache ist die: Hanson sind der Beweis dafür, wie überholt das Konzept der Boygroup ist – und nicht nur, weil Taylor, Zac und Isaac mittlerweile Familienväter im Midlife-Crisis-Alter sind. Das Genre mal außer Acht gelassen, sind sie drei Brüder, die in einer Band Songs, die sie selbst geschrieben haben, auf ihren eigenen Instrumenten spielen. Wären sie und ihre Fangemeinde damals ein bisschen älter gewesen (oder erst 2017, wo Genre und demographische Merkmale nicht mehr zwingend verbunden werden, volljährig geworden), wäre das Trio einfach als Band bezeichnet worden, nicht mehr und nicht weniger. Doch aufgrund ihres Alters und des Alters ihrer Fans wurden sie mit Popgruppen, die so ziemlich das gleiche Publikum anzogen, in eine Schublade gesteckt – die Boygroup-Schublade der 90er.
Wenn du zu der Zeit, als „Middle of Nowhere“ veröffentlicht worden ist, als Typ Musik gemacht hast, die jüngeren Mädchen gefiel, warst du automatisch in einer Boygroup. Die 90er waren eine einzigartige Anhäufung junger Männer, die aggressiv ihre Gefühle besangen, und so ist jede Gruppe, die man mit diesem Jahrzehnt in Verbindung bringt, tief in nostalgischen Erinnerungen verwurzelt. Die Backstreet Boys, *NSYNC, Boyzone, Take That und O-Town (und viele, sehr viele weitere) feiern ihr Vermächtnis mit alten Fotos, Band-Wiedervereinigungen und Villen in Las Vegas. Hanson aber – egal, wie viele Cover von „MMMBop“ noch kommen – haben sich nie darauf ausgeruht. Im Gegensatz zu ihren Altersgenossen haben sie sich musikalisch und künstlerisch immer weiterentwickelt, was sie noch stärker von der Boygroup-Norm der 90er unterscheidet.
Aber Weiterentwicklung hin oder her, es ist einfach sinnlos, Künstler nach dem Prädikat „Boygroup“ zu beurteilen. Hanson mag eher eine traditionelle Band sein, aber die Unterschiede zwischen ihnen und ihren eher Choreographie-orientierten Kollegen haben nichts mit dem großen und nachhaltigen Einfluss zu tun, den alle von ihnen auf ein Millionen-Publikum hatten. Und ob die eine Band nun Instrumente spielte und die andere tanzte, ist ihre jeweilige Bedeutung nicht danach zu beurteilen.
Wenn wir Hanson als Boygroup bezeichnen, schränken wir sie als Künstler ein, da in „Boygroup“ auch die begrenzte Haltbarkeitsdauer der Formation anklingt. Das, zusammen mit der Tatsache, dass Boygroups meist mit einem jungen, weiblichen Publikum in Verbindung gebracht werden (als ob das etwas Schlechtes sein muss), und die Glaubwürdigkeit der Band wird zu einem Strohhalm im Pop-Feuer. Doch das ist hier nicht der Fall: Hanson haben über 20 Jahre in der Musikindustrie überlebt, und das ist ein großes Ding.
Genau wie Boygroups im Allgemeinen. Auch, wenn es für Erwachsene und phantasielose Musikkritiker einfach ist, gewisse Künstler unter den Teppich ihrer eigenen Verständnislosigkeit zu kehren, wäre die Popmusik ganz schön trostlos ohne Boygroup-Pioniere wie die Beatles, The Jackson 5, Wham!, Boyz II Men und One Direction – die wir, glaube ich, einfach nur „Bands“ nennen sollten.