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15 Jahre später:
Wie es ist, noch
einmal „Gossip Girl“ zu lesen

Wir sagen nur so viel: XoXo.

Text: Gray Chapman

Als mein Blick zum ersten Mal auf Cecily von Ziegesars Debütroman „Gossip Girl“ fiel, war ich 14 Jahre alt, Zahnspangenträgerin und an der bedrohlichen Schwelle zum jungen Erwachsenenalter. Nur ein paar Jahre jünger als die Charaktere des Buches, aber in einer völlig anderen Welt zu Hause.

Ich stand in der Buchhandlung im Gang zwischen den Bereichen für Jugendliteratur und Psychologie  – so ziemlich der einzige Ort in meiner Kleinstadt, an dem Kids mehr oder weniger cool abhängen konnten. Vermutlich hielt ich einen zuckerbeladenen Frappuccino aus dem hauseigenen Starbucks in der Hand, als ich ein Buchcover entdeckte, auf dem drei geheimnisvolle Hochglanz-Teens abgebildet waren. Ihre Gesichter waren nicht zu erkennen, sie hatten aalglattes Haar, freizügige Dekolletés und eine Haut, die von innen zu leuchten schien. Sie lachten, die Köpfe einander verschwörerisch zugewandt und trugen Partykleider, die es noch nicht einmal in einem Radius von 150 Kilometern um mein Einkaufszentrum herum zu kaufen gab. An einem ihrer Handgelenke hingen mehrere zarte Goldarmbänder. Ich schlürfte meinen schmelzenden Frappuccino und wusste: Diese Bitches musste ich kennenlernen.

Als eins dieser Mädchen, dem schmerzlich bewusst war, was andere von ihnen dachten – vor allem Buchverkäufer – packte ich das Taschenbuch und legte ihm die neuen Ausgaben des „The New Yorker“ und „The Economist“ bei. „Ich bin eine angehende Intellektuelle, deren Geschmack nur gelegentlich in die schmutzige Ecke abdriftet und das auch nur unter dem Deckmantel ironischer ‚Strandlektüre’“, schien mein Einkauf zu sagen. Müßig zu erwähnen, dass der Buchladen-Mitarbeiter noch nicht einmal meinen Blickkontakt suchte, während er meine Ware einscannte. Als ich nach Hause kam, zog ich mich ins posterbeklebte Versteck meines Zimmers zurück und las, wie Teenager es nun mal eben tun: begierig und in einem Rutsch durch. Rückblickend, ist der Roman die perfekte Zeitkapsel von New York City an der Wende des 21. Jahrhunderts. Die reichen Teens der Upper East Side haben nicht nur riesige Apartments und unbegrenzten Zugang zu Geld und Alkohol, sondern auch ihre eigenen Telefonanschlüsse. Blairs Terminplan ist so vollgepackt mit außerschulischen Aktivitäten, dass ihr Palm Pilot stets zu wenig Speicherplatz aufweist. Und für den ersten Sex mit Nate brennt sie ihm eine CD (auf der auch der J.Lo-Hit „My Love don’t cost a thing“ zu hören ist). Kati, eine von Blairs glücklosen Handlangern, wird dabei ertappt, wie sie eine pinkfarbene Tarn-Handtasche zu Barneys zurückbringt, nachdem Altersgenossin Isabel „all die Animal Prints und den Military Shit“ als out erachtet. In einer der vielen Bars, in denen Barkeeper – scheinbar ohne mit der Wimper zu zucken – Teenager bedienen, bestellt Serena einen Cosmo, während der Barkeeper ihr Feuer gibt. Feuer für ihre Zigarette, die sie dann genüsslich in einer New Yorker Cocktailbar raucht. Ich sag ja: Zeitkapsel.

Andere Teile des Buches sind jedoch zeitlos – was Fluch und Segen zugleich ist. In einer Passage beschreibt von Ziegesars herrlich gehässige Erzählerin (das namensgebende „Gossip Girl“) einen ziemlich genauen Prototyp des modernen Fuckboys, den sie „The Waspoid“ tauft. Er hat Geld, er ist hübsch und vielleicht weiß er, wie man segelt, aber ansonsten bindet er sich an nichts und niemanden. Und es gibt Dan, der mit Zigaretten, Kaffee und französischen Übersetzungen von Camus auf Parkbänken schmollt.

Wie viele Jugendromane mit Bestand berührt auch „Gossip Girl“ Themen, die die unterschiedlichen Gesellschaftsklassen durchbrechen. Wenn auch manchmal etwas ungeschickt. So ringt Blair mit einer Art Essstörung, von der anscheinend alle wissen, die aber keiner eingestehen will. Und auch die liebenswert ungeschickte Jenny kämpft mit ihrem sich verändernden Körper. Obwohl ich im Nachhinein nur mit den Augen rollen kann, wie unfair ihre armen Brüste während des gesamten Buches behandelt werden (Hey Jungs, Größe 75D ist nicht obszön!). Besonders erwähnenswert ist vermutlich das Ende des Romans, als Jenny vor Chucks rücksichtlosem Gefummel gerettet wird. Eine Szene, die ich ziemlich krass fand, als ich sie zum ersten Mal als Teenie las, die ich aber nun 15 Jahre später buchstäblich als sexuelles Vergehen bezeichnen würde. Die Wahrheit inmitten der Hierarchien, Gemeinheiten, und, ja, Gossip lautet: Teenager zu sein, ist hart. Sogar für die Kaschmir tragenden Kids, die ein Praktikum bei Oscar de la Renta machen. Für jemanden, der in einer Kleinstadt aufwuchs, wo Reichtum kaum zur Schau gestellt wurde, war dieses Buch das Tor zu einer ganz neuen Welt. Eine bissige, kitschige, schamlos affektierte Welt – aber dennoch neu und aufregend. Und jeder rastlose, mürrische, heimatverdrossene Tween weiß den Wert eines solchen Tors zu schätzen. Zwischen spektakulären Späßen und übertriebenen Dialogen von Blair, Serena und Co. lieferte das Buch ein erheiterndes Lexikon neuer Must-Haves: Cartier-Armreifen! Langärmelige Pucci-Kleider! Der geheimnisvolle Reiz, in einem Drakkar-Noir-Werbespot mitzuspielen (letzterer betrifft vor allem den notorisch notgeilen Chuck, dem wir im ersten Kapitel vorgestellt wurden.) Bis zu dem Roman hatte ich noch nie zuvor von Barneys gehört. In diesem Buch wird der New Yorker Luxus-Store nicht weniger als 14 Mal genannt.

Die Lektüre von „Gossip Girl“ hat mich sicher nicht zu einer Designkleider tragenden Constance-Billard-Anwärterin gemacht (die Schule, die Blair und Serena in der Serie besuchen), aber es hat mir das Konzept eines unverhohlen zur Schau gestellten Konsums nähergebracht. Luxus-Mode ist quasi ein eigener Charakter im Buch – und ich war fasziniert von der Macht, die man nur durch Geld ausgeben bekommen konnte. Es gab keinen einzigen Nadelstich von Pucci in meinem Kleiderschrank. Aber ich erinnere mich deutlich daran, wie ich an einem Schulbibliothekscomputer eBay durchforstete – auf der Suche nach rosa logoverzierten Girly-Dior-Taschen, nur um zu sehen, ob ich sie mir vielleicht eines Tages leisten könnte. Vielleicht stellte ich mir auch vor, wie ich künftig in meinem prächtigen Designer-Cocktailkleid Hof halten würde, zusammen mit den Mädchen und ihren glänzenden Beinen vom Buchcover, während filigrane Goldarmbänder von meinem Handgelenk baumeln.

Natürlich ist dieser Traum in der Zwischenzeit längst verblasst. Ersetzt durch meine Realität des Lebens in einer großen Stadt, die sich nicht als sehr „Gossip Girl“ like erwiesen hat. Und das ist okay. Denn wenn ich jetzt zurückblicke, sehe ich, dass diese Girly-Taschen absolut abscheulich waren. Ich schätze, einige Luxusgüter sind einfach nicht gut darin, zu altern.

Nylon
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