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Winona Ryder: She’s back!

Von einer angesagten Sci-Fi-Serie über eine Marc Jacobs Beauty-Kampagne bis zur Tatsache, dass so gut wie jeder Film, in dem sie jemals mitgespielt hat, gerade eine Kult-Renaissance erlebt – es gibt keinen Zweifel daran, dass Winona Ryder zurück ist.

Fotos: Ash Kingston // Styling: J. Errico // Text: Margaret Wappler

Es ist gut möglich, dass Winona Ryder eine Zeitreisende aus einem anderen Jahrzehnt ist. Schwer zu sagen allerdings, aus welchem. Vielleicht ist ihr Fluxkompensator auf Shuffle stehen geblieben und sie springt seit jeher zwischen den Zeiten hin und her während sie sich aus jeder Ära das Beste raussucht. Sie ist ein intensiver Mix aus 60er-Jahre Gemeindekind, 90er-Jahre Rocker-Goth und etwas durchschlagend intellektuell Viktorianischem. All das mischt sich an diesem Nachmittag der zwanglosen Unterhaltung in einem merkwürdig leeren Zimmer im „Hollywood Roosevelt Hotel“ zusammen, wie sicherlich an jedem Tag in Winona Ryders Leben. Im Alter von 44 strahlt sie aus, dass sie, trotz aller Selbstzweifel, unter denen sie in der Vergangenheit gelitten haben mag, jetzt auf dem Höhepunkt ihrer Stärke ist.

Im Film „Author: The JT LeRoy Story“ hatte sie einen heiß ersehnten Star-Auftritt. Und Zuschauer weltweit sind immer noch völlig geflasht von „Stranger Things“, diesem akribischen Stück 80er-Jahre-Spielberg-Nostalgie, das enorm von Winonas Wiederbelebung profitiert hat: Sie brilliert in der Rolle der Joyce, einer abgeplagten Alleinerziehenden, deren Sohn von übernatürlichen Kräften gekidnappt wird.

Für die meisten Menschen ist Winona Ryders Gesicht jedoch ein Tor in die 90er. (Ihr Freund Marc Jacobs nutzte den Fetisch rund um dieses Jahrzehnt aus, als er sie als Model für seine neuste Beauty-Kampagne wählte). Sogar heute, mit ihrem langen, welligen Haar und den zarten Linien rund um ihre Augen, ist es leicht, sich den Pixie-Haarschnitt und diese knallroten Lippen vorzustellen, oder ihren total verknallten Gesichtsausdruck während sie sich an ihren damaligen Boyfriend Johnny Depp kuschelt – Bilder, die heute als Klassiker der Neunziger gelten.

Als Tochter der Hippie-Autoren Cynthia Palmer und Michael Horowitz wurde Winona Ryder nach einer Kleinstadt in der Nähe des Farmhauses ihrer Familie in Minnesota benannt, wo sie lebten, bevor sie in eine Kommune im Norden Kaliforniens zogen. Es war eine Zeit, in der Eltern eines talentierten Kindes Hollywood immer noch als gefährlichen Wolf ansahen, vor dem sie ihre Tochter unbedingt beschützen mussten – und nicht als Chance für eine zukünftige Familien-Reality-Show. Schauspieler machten sich keine Gedanken um ihre Profile, aber sehr wohl riskierten sie Burnouts oder Schlimmeres durch Drogen und Angstzustände – alles Dinge, die Winona bekämpft hat, manchmal auf schmerzhaft öffentliche Weise. Die ganze Zeit hindurch war sie aber immer dazu aufgelegt, Späße über sich selbst zu machen. Beispiel 1: das Cover des „W“ Magazins aus dem Jahr 2002, auf dem sie ein „Free Winona“-T-Shirt trägt. Wenn man sich  den Medienrummel rund um Winonas Zusammenprall mit dem Gesetz ins Gedächtnis ruft, überrascht es nicht, dass sie sich an diese Zeit nicht gerne erinnert – egal wie sehr wir alle diese goldene Ära vermissen, als Alternative das Größte war. Wie hat sie das durchgestanden? „Du machst es einfach“, sagt sie. „Im Großen und Ganzen gibt es einfach schlimmere Probleme, um die man sich sorgen muss.“

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Als ich sie frage, ob sie sich bewusst ist, dass sie eine Goth-Ikone ist, zögert Winona, für einen Moment sprachlos. „Ich fühle mich irgendwie stolz, schätze ich, aber ich kann nicht alle Lorbeeren alleine absahnen“, sagt sie. Sie zitiert Robert Smith von The Cure, aber das ist Musik. Sie aber war die Königin der 90er-Goth-Vibes im Film (zweiter Platz: Christina Ricci, die zufälligerweise neben Winona Ryder und Cher in „Mermais“ spielte). „Das schmeichelt mir. Es ist lange her, aber ich habe mich zu dieser Zeit immer hingezogen gefühlt“, sagt Winona. „Ich habe gerade erst Pictures of You von The Cure gehört, weil ich diese alten Mix-Tapes habe, bei denen ich nicht weiß, was ich mit ihnen machen soll. Wie wandle ich die um? Ich habe immer noch einen Kassettenspieler.“

Unzählige junge Schauspielerinnen profitieren heute von der Basisarbeit, die Winona Ryder gemacht hat. Eine ihrer lautstärksten Fans, Emma Roberts, spickt ihre Rollen in „Scream Queens“ und „Amerincan Horror Story“ mit einer ähnlichen Mischung aus America’s Sweetheart trifft hexenhafte Energie. „Winona hat es sowohl schön als auch cool gemacht, merkwürdig zu sein“, sagt Emma Roberts, die sich die wilde Satire „Heathers“ als Vorbereitung für „Scream Queens“ angesehen hat und die behauptet, dass sie alle Zeilen von Winona Ryder aus „Girl, Interrupted“ auswendig kann. „Sie ist immer eine Trendsetterin, ohne es zu wollen“.

Was Winona Ryder von vielen ihrer Kolleginnen aus der Gegenwart unterscheidet, ist der Druck, auf Social Media zu performen. Sie hat keinen einzigen Account, aber das heißt nicht, dass sie jene verurteilt, die welche haben. „Ich weiß, dass es ein fantastisches Tool sein kann“, sagt sie, „aber muss man auch die ganze Verrückten als Follower haben? Gibt es eine Möglichkeit, …?“ Sie verstummt. Nein, gibt es nicht.

„Ja, ich bin einfach eine sehr private Person“, sagt sie.

Übrigens: Nenn sie „Goth“, aber nenn sie nicht „Grunge“ – von ihrer Beziehung mit dem Flanell-tragenden Dave Pirner von „Soul Asylum“ abgesehen. „Dieser ganze Name war ein bisschen merkwürdig. Irgendwie wurde ich da reingezogen. Nicht freiwillig, weil ich tatsächlich die Alben von Judy Garland gehört habe“, sagt sie.

Das Geschrei von Hollywood dringt durch die geöffneten Hotelfenster herein. Sie ignoriert den Lärm, während sie durch den Raum läuft und eine Speisekarte sucht, um Eier und Röstkartoffeln zu bestellen. Sie hat den ganzen Tag lang nur Tee getrunken und die reuelose Nachteule ist spät aufgestanden. „Bei uns sind alle nachtaktiv“, sagt sie, „das liegt in der Familie“.

Nachdem sie bestellt hat, lässt sich Winona auf dem monströsen Ledersessel nieder. Leicht zusammengekauert in einem verwaschenen schwarzen Leonard Cohen T-Shirt, schwarzen Jeans und Schnürschuhen, ein Buch von Václav Havel in den Händen, spricht Winona mit großer Bewunderung über den genannten Autor und ehemaligen Anführer der Tschechischen Republik. „Václav Havel war schon immer einer meiner Helden“, sagt sie. „Ich unterstreiche beim Lesen so viel. Das ist schrecklich – ich kann meine Bücher niemandem ausleihen, weil ich nicht weiß, ob ich nicht zu viel von mir preisgebe durch die Passagen, die ich unterstrichen habe, oder ob es die Leute einfach nur ablenkt.“ Sie beginnt eine Geschichte darüber zu erzählen, wie sie den Dramatiker beinahe persönlich getroffen hätte, der niedliche Bruch in ihrer Stimme, der sie immer ein bisschen schräg oder älter oder verwirrt (oder alles zusammen) hat wirken lassen, untermalt die Anekdote.

Vielleicht ist ihr markantestes Talent ihre Fähigkeit zum Reden, auf eine Art, die fast schon eine vergessene Kunst ist: lange Sätze aneinanderreihend, gefüllt mit Wissen, Anekdoten und philosophischen Spekulationen. Ein Sprachstil, den sie wahrscheinlich von ihren Eltern gelernt hat – der Art Menschen, die einen gegenkulturellen Acid-Weisen als ihren spirituellen Führer wählen. Ihre Gedanken verlieren sich in Wanderlust – und es macht Spaß, eine Weile mitzulaufen.

Vom Beginn ihrer Karriere an hat Winona zurückgeblickt. Als sie das erste Mal 1986 als Teenage-Mauerblümchen in „Lucas“ zu sehen war, waren es nicht ihre Zeitgenossen zu denen sie aufsah, sondern zu einem Mix aus alten Hollywood- und 70er-Art-Film-Ikonen: Audrey Hepburn, Gena Rowlands (mit der sie in Jim Jarmuschs „Night On Earth“ zusammenarbeitete), und Mentoren wie Jason Robards. „Ich war vielleicht ein bisschen ungewöhnlich“, sagt sie, zwischen Bissen in ihre Röstkartoffeln. „Ich war wirklich von anderen Jahrzehnten angezogen“. Als Teeanger las sie das erste Mal „Jane Eyre“ und wollte sich ins 18. Jahrhundert transportieren, bis ihre Eltern sie über die damaligen Abwassersysteme und Zahnärzte aufklärten.

Winona sehnt sich auch heute noch in andere Zeiten. „Ich denke, Schauspieler fühlen sich, auf eine merkwürdige Art, wie deplatzierte Seelen“, sagt sie. „Ich hatte schon viele Unterhaltungen darüber und zum Teil kommt es vielleicht einfach davon, dass wir uns in die Filmgeschichte stürzen und von den Dingen, zu denen wir uns hingezogen fühlen, wie historische Kostümfilme.“ Winona hat ihrerseits genug davon gemacht – „Bram Stoker’s Dracula“, „The Age of Innocence“, „Little Women“ – und nichts lässt ihre braunen Augen mehr strahlen, als über Filme zu sprechen, seien es kleine Indie-Filme, Blockbuster, Dokumentationen oder „Sundance“-Gewinner.

Obwohl wir im letzten Jahrzehnt kurze Blicke auf sie erhaschen konnten – am bemerkenswertesten als verbitterte Ballerina in „Black Swan“ – erlaubt „Stranger Things“ erstmals, Winonas Schauspielleistung über acht Episoden zu genießen. Von den Duffer Brüdern entwickelt, bietet ihr die Serie die perfekte Bühne: ein Charakter am Rande des Zusammenbruchs, der heimlich eine gewaltige Ausdauer an den Tag legt.

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Ross Duffer, die eine Hälfte der Zwillingsbrüder, sagt, dass Winona „dem Charakter diese wilde Energie gab, diese fanatische Seite“, die sie dazu brachte, eine der besten Szenen der Serie zu schreiben. In ihr lernt Winona, dass ihr vermisster Sohn mit ihr über Elektrizität kommuniziert, genauer gesagt, über verknotete Weihnachtslichterketten. Als die Lichter als Antwort auf ihre Fragen zum Aufenthalt ihres Sohnes blinken, „führt uns das durch eine ganze Bandbreite von Emotionen: Angst, Verirrung und Freude“, sagt Duffler, während er über den absurden Humor der Szene zwinkert.

Die Duffer Brüder hatten manchmal etwas Angst vor Winona – aber im guten Sinne. „Wir haben die Intensität, mit der sie an die Rolle heranging, nicht erwartet“, sagt Matt Duffer und erinnert sich daran, wie Winona oft für fünf bis zehn Minuten vor einer dramatischen Szene verschwand, nur um in einem anderen Zustand zurückzukommen. Tatsächlich ist ihre Performance eine emotionale Achterbahnfahrt: sie zerschlägt Telefone, bekommt einen Heulkrampf und pusht ihren zarten Körper an den Rande der Zerbrechlichkeit. Für Winona bedeutete die Rolle, jede Angst von Joyce darzustellen.

„Ja, ich bin ein bisschen Old-School“, sagt sie mit einem Grinsen. „Was gut und schlecht ist. Die einzige Art, die ich kenne, ist wirklich die Rolle zu leben“. Zuerst schreckte Fernsehen Winona ab, weil der Großteil ihrer Erfahrung im Film liegt. Aber selbst mit Zeitdruck wollte sie nicht ihr Privatleben für eine Szene ausschlachten: „Ich möchte nicht, dass Menschen Privates ansprechen. Ich denke, das kann einen Schauspieler angreifen und ich kenne viele Menschen, die sehr verletzt wurden. Es gibt Dinge in meinem Leben, die ich durchgemacht habe und die ich nicht für die Schauspielerei ausnutzen möchte. Das ist allerdings gar nicht so leicht, wenn der Drehtag zum Ende kommt oder man das Licht verliert. Es ist komisch. Es gibt einige Dinge, die mich zum Weinen bringen, aber ich habe das Gefühl, dass sie beinahe heilig sind“.

Winonas Verhältnis zur Kamera und wieviel sie bereit ist, ihr zu geben, ist immer Verhandlungssache. In „Girl, Interrupted“, einem Herzensprojekt, das sie jahrelang verfolgte bis zu seinem Erscheinen im Jahr 1999, hielt sie während Nahaufnahmen unter der Kamera die Hand von Mitarbeitern. „Ganz ehrlich, das sind die Menschen, die mir näher sind als der Regisseur oder Schauspielkollegen, du arbeitest so eng mit ihnen zusammen. Und das Merkwürdige ist ja, dass du so natürlich sein sollst und die Kamera vergessen musst. Also musst du dir der Szene bewusst sein und doch nicht bewusst sein. Ich muss sagen, dass meine Leute mir dabei geholfen haben. Bei all diesen Emotionen wussten sie immer, wie sich mich unterstützen konnten“.

Winona zeigt mir einen ihrer Tricks: Sie legt ihre Hände in ihren Schoß, mit den Handflächen nach oben. „Wenn du deine Hände nach oben drehst, fühlst du dich verletzlich. Es sind die kleinen Dinge. Das habe ich von Jennifer Jason Leigh gelernt als ich gerade mit dem Schauspielen anfing“.

So sehr Winona mit der Kamera (und ihrem Team) verschmilzt, manchmal gab es Momente, in denen sie einer Rolle so eng stand, dass sie zu dieser Person wurde. Beispiel: Lydia aus Tim Burtons „Beetlejuice“, eine ihrer größten Rollen. „Ich sah damals wirklich so aus, das waren meine Haare, ich war sehr blass. Sie mussten mich nur noch etwas abpudern“.

Burton, der Winonas dunkle Kräfte bereits für einige Projekte angezapft hat – inklusive einem Musikvideo für The Killers, in dem Winona an ein Folterrad gefesselt ist – sagt, dass sie „immer für alles zu haben ist, worum ich sie bitte“. Selbst wenn sie keine Spur von sich selbst in der Rolle wiederfindet. In „Edward mit den Scherenhänden“ verabschiedete sie sich von ihrem üblichen Stil und spielte eine blonde Cheerleaderin. „Ich denke, sie würde zugeben, dass sie sich mit dieser Rolle nicht identifizieren konnte. Sie wurde selbst von diesen Personen in ihrer Schule gemobbt“, sagt Burton. „Es war also auf jeden Fall eine Herausforderung, aber sie hat es sehr emotional umgesetzt.“

Was die „Beetlejuice 2“-Gerüchte betrifft: diese kann Burton weder bestätigen noch verneinen. „Ich habe darüber mit Winona und Michael Keaton gesprochen. Ich würde es, unter den richtigen Bedingungen, sehr gerne machen, aber es ist einer dieser Filme, wo es sich richtig anfühlen muss. Es ist kein Film, der nach einer Fortsetzung schreit – es gibt nicht die „Beetlejuice“-Trilogie. Aber ich liebe die Charaktere, also abwarten. Bislang gibt es jedoch keine konkreten Pläne.“

Obwohl ihre ehemalige Ästhetik von der Mode aufgegriffen wurde – Wes Gordon hat Lydias Vampirmädchen-Frisur in seiner Fashion-Show im letzten Frühjahr zitiert und Marc Jacobs nannte die Figur als Inspiration für seine Herbstkollektion –  ist es Marc Jacobs Beauty-Kampagne, die die heutige Winona Ryder einfängt. Fotograf David Sims zeigt sie in sattem, weichem Licht, ihre Smokey-Eyes blicken in die Ferne. Wiedermal strahlt sie eine Präsenz aus, als wäre sie direkt in der Kamera. „Sie modelt den Look nicht bloß, sie fühlt sich in die Rolle hinein und strahlt das aus“, sagt Marc Jacobs in einem Statement zur Kampagne. „Ein brillanter Kopf, Talent und körperliche Schönheit wie keine andere.“

Was sowohl die Marc Jacobs-Kampagne als auch „Stranger Things“ klarmachen, ist, dass Winona keine Angst vor dem Älterwerden hat. Eines Abends vor ein paar Jahren, als sie lange aufblieb und Fernseh sah, lief einer ihrer Filme. „Ich weiß nicht mehr, auf welchem Kanal das war, aber es war ein „Golden Oldie“ und irgendwie großartig. Ich musste lachen!“, sagt Winona und wirft ihren Kopf zurück. „Ich habe mir nie viele Gedanken ums Älterwerden gemacht. Ich will nicht unsensibel gegenüber den Diskussionen übers Alter sein, die gerade überall stattfinden, weil ich weiß, dass es auf jeden Fall ein Thema ist. Ich denke, für mich hängt es damit zusammen, dass ich so früh angefangen habe und immer mit den Erwachsenen rumhängen wollte.“ Solange sie sich erinnern kann, hat Winona eine starke Verbindung zu den älteren Menschen um sie herum gespürt. Sie will die Zukunft wie einen alten Freund empfangen. Eine Zukunft, die vermutlich sagt: Winona, forever.

 

Turid Reinicke
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