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Wie Krysten Ritter sich ihren Dämonen stellt

Schauspielerin Krysten Ritter über ihren Debüt-Roman „Bonfire“.

Text: Kristin Iversen // Foto: Bailey Taylor via NYLON.com

Es ist fast unmöglich, Krysten Ritters Debütroman „Bonfire“ zu lesen, ohne sich vorzustellen, dass die Protagonistin der Geschichte, Abby Williams, wie Ritter aussieht, wie Ritter klingt und sich sogar wie Ritter kleidet. Oder zumindest wie Jessica Jones, die Titelheldin, die Ritter so unglaublich in der gleichnamigen Netflix-Serie verkörpert. Aber wer würde es euch verübeln? Schon gar nicht Krysten Ritter selbst, die mir sagte: „Ich finde es schön, Vergleiche zu Jessica Jones oder anderen großartigen, chaotischen Frauen auf dem Bildschirm zu ziehen, weil wir genau die brauchen.“ So ist auch Abby Teil einer geschichtsträchtigen Tradition komplizierter Frauen, deren psychische Beeinträchtigung sie manchmal lähmt, manchmal aber auch ihren Wunsch stärkt, in einer schlechten Welt Gutes zu tun.

Für Abby bedeutet das, zurück in ihre Heimatstadt Barrens, Indiana, zu kehren – ein Jahrzehnt nachdem sie fest davon ausging, sie hätte diese Zeit für immer hinter sich gelassen. Und doch ist Abbys Vergangenheit viel näher, als es ihr auf den ersten Blick erscheinen mag. Das erkennt sie schnell, als ihre Anwaltskanzlei die potenzielle Amtswidrigkeit eines örtlichen Unternehmens untersucht (es geht um die Vergiftung des städtischen Reservoirs) und sich diese Untersuchung auf ein wesentliches Geheimnis aus Abbys Leben ausweitet – eines, das mit dem verdächtigen Verschwinden ihrer ehemals besten Freundin zusammenhängt. Es ist ein klassischer Spannungsbogen mit vielen Wendungen und Überraschungen. Dabei wird Abbys sarkastische, grenzüberschreitend nihilistische Weltsicht durch ihren klaren Wunsch gemildert, die Dinge für andere Menschen in Ordnung zu bringen. Vielleicht hat sie das Gefühl, zu viel von der Welt gesehen zu haben, als dass sie jemals Vertrauen in diese haben könnte. Aber sie möchte andere vor dem gleichen Schicksal schützen.

Ritter hat viel Erfahrung mit komplizierten Frauen wie Abby und vielleicht hat dies ihren Wunsch bestärkt, eine weitere starke weibliche Stimme in die Welt zu tragen (neben Jessica Jones werden auch Erinnerungen an ihre Rolle der Chloe aus der Sitcom „Apartment 23“ wach; Abbys eisige Schale und ihr tiefer Kern könnten ihr auch die Beschreibung einbringen, „wie ein Fluss im Winter“ zu sein). Was auch immer die anfängliche Inspiration war: Fans von spannungsgeladenen Thrillern werden glücklich sein, dass sie es getan hat, denn mit „Bonfire“ ist Ritter eine straffe Erzählung gelungen, die um ein schreckliches Geheimnis kreist. Mehr als das: Sie hat ihren Lesern eine unvergessliche Erzählerin geschenkt, voller Macken, schlechten Gewohnheiten und Emotionen, zu der man auf bestmögliche Weise eine Beziehung aufbauen kann. Abby ist nicht perfekt, okay, aber das sind wir alle nicht. Und doch müssen wir alle durch dieses Leben navigieren. Also ist es besser, wenn wir uns dabei nicht alleine fühlen.

Ich habe mit Krysten Ritter über „Bonfire“ gesprochen, über ihre Herangehensweise an den Roman und ob sie Abby in einer Verfilmung des Buches spielen würde.

Wusstest du schon immer, dass du einen Roman schreiben willst? Was ist die Entstehungsgeschichte von „Bonfire“? Wie bekannt, arbeite ich beim Film und Fernsehen. Ich fing an, ein paar Skripte zu lesen und dachte: „Oh, ich möchte es versuchen. Ich werde versuchen, ein Drehbuch zu schreiben, einen Piloten, mehrere Piloten …“ Und wir gingen hinaus und drehten ein paar Szenen. Dann dachte ich: „Oh, ich möchte einen Film schreiben. Lass es mich versuchen.“ Ich habe immer eine Schublade voller Ideen, eine Menge Sachen, an denen ich gerade arbeite. Darum dreht sich meine Welt: Storytelling, die Entwicklung von Charakteren und das Aufdröseln von Charakteren. Es war die Zeit, in der ich „Jessica Jones“ drehte und viele Bücher las. Dann waren die Dreharbeiten beendet, und plötzlich war da diese Idee, die mich schon seit einer Weile beschäftigt hatte. Ich hatte all diese Bücher gelesen und all diese großartigen Charaktere und unglaubwürdigen Erzähler gesehen und fühlte, dass meine Idee als Buch wirklich gut sein könnte. Und dann bekam ich das seltene Geschenk, das Schauspieler normalerweise nicht bekommen: „Jessica Jones“ war abgedreht und eine zweite Staffel beschlossene Sache, aber „The Defenders“ stand für eine andere Zeit im Kalender und „Jessica Jones“ sollte anschließend kommen. Mir wurde also Sicherheit und Zeit geschenkt. Im Grunde haben sie mir gesagt: „Du wirst zwei Serien hintereinander drehen und 16 Monate lang Arbeit haben.“

Die Sicherheit, zu wissen, dass man in absehbarer Zukunft eine Stabilität haben und es einem gut gehen wird, ist ein riesiges Geschenk für eine kreative Person und sehr befreiend.
Ich bin jemand, der immer arbeitet und immer eine Million Dinge macht, Rollen bekommt oder was auch immer. Aber einige davon waren nicht so gut oder zumindest nicht so gut wie „Jessica Jones“, die für mich die beste Rolle überhaupt ist.

Ich denke, das ist eine angemessene Einschätzung dieser Rolle. Du hast sie aber auch wirklich zu der gemacht, die sie heute ist.
Ich habe so hart daran gearbeitet und sie erfüllt mich so sehr. Die ganze Hintergrundgeschichte aufzubauen … Ich stecke große Arbeit hinein, und es bringt mir viel kreative Erfüllung.

Wie hast du dich „Bonfire“ genähert?
Ich habe mit meinem TV-Pitch begonnen, da [Bonfire] ursprünglich ein TV-Pitch war, und habe es von da aus einfach wachsen lassen. Ich habe einen Vorschlag geschrieben, der 100 Seiten umfasste. Es war noch kein ganzes Buch, aber es zeigte, was es werden würde. Und dann habe ich es herumgereicht und noch ein bisschen ausgearbeitet, um zu sehen, welche Art von Feedback ich bekommen würde. Und die Leute mochten es. Ich bekam tolle Antworten und dachte: „Heilige Scheiße, das passiert wirklich.“ Also bestand der Prozess wirklich darin, es jeden Tag wachsen zu lassen. Und das kann bedeuten, dass es an einem Tag sehr stark wächst und am nächsten nicht so sehr. So sind es vielleicht mal ein paar Absätze, dann eine 11-seitige Bearbeitung, dann eine 20-seitige Gliederung, das Exposé, um dann den Rest auf einer Pinnwand zu skizzieren. Ich hatte eines dieser Korkbretter, auf das ich Karteikarten pinnte und schließlich erkannte: „Oh, ich hab noch so viel mehr zu tun.“ Dann gab ich einen weiteren Handlungsstrang hinzu und all sein Wendungen. Und dann zerlegte ich alles in Stücke.

Ich arbeitete zum Beispiel sehr lang an den ersten drei Kapiteln und ging sie immer wieder durch. Dann machte ich weiter. Ich hatte immer meine Karteikarten und mein Korkbrett als eine Art Wegweiser bei mir, schmiss ständig etwas über den Haufen, ging zurück und schrieb es neu. Über den Haufen schmeißen, zurückgehen, neu schreiben und es so in Angriff nehmen. Es war eine lange Zeit. Es hat zwei Jahre gedauert, bis der erste vollständige Entwurf vorlag. Dann noch einmal sechs bis acht Monate des Umschreibens. Der Fortschritt ist also immer nur einen Fuß vor dem anderen. Ich stand jeden Morgen auf, ging direkt zu meinem Computer, immer noch in meinem Schlafanzug, machte mir eine Kanne Kaffee und arbeite bis mindestens 17 Uhr. Dann machte ich eine Pause, um eventuell nachts wieder an den Computer zurückzukehren – je nachdem, wie ich mich fühlte. Wenn du einen Lauf hast, solltest du weitermachen und dich ganz darauf fokussieren. Und falls nicht, versuch einfach, an irgendwas zu denken. Das ist der eigentliche Dreh- und Angelpunkt.

Du beschreibst einen sehr organischen Prozess, der aber stark davon abhängt, dass man das von dir erwähnte Geschenk der Sicherheit und Zeit hat.
Ja, und sich auch die Zeit dafür nimmt. Natürlich kommen andere Dinge auf, man hat noch andere Pflichten und muss sich auch Zeit für sich selbst nehmen. Und manchmal wirst du wirklich müde. Es ist also eine Kombination all dieser Dinge –dieser magische Moment, wenn eine Idee zu dir kommt und du denkst: „Ich hab’s! Ich muss das so schnell wie möglich aufschreiben!“ Und es kommt natürlich auf die Arbeitsmoral an.

Eine Sache, die ich beim Lesen dieses Buches sehr stark empfand, war das Eintauchen in die Körperlichkeit der Charaktere. Es fühlte sich alles sehr direkt an. Denkst du, dass die intuitive Wahrnehmung eines Charakters etwas ist, was du aus deiner schauspielerischen Erfahrung mitbringst?
Ja, ich denke, es war etwas, das ich mitgebracht habe, weil ich meine Werkzeuge dabei hatte, die ich brauche, um Charaktere zu bauen und zu zerlegen. Ich liebe es, tiefer zu gehen. Ich liebe es, Dinge zu beschreiben – für alle Charaktere. Ich erstelle Seiten. Zum Beispiel für Abby, um wirklich in ihre Körperlichkeit zu kommen, in die Dinge, die sie tut. Es fühlt sich so an, als sei alles verschlüsselt. Es kommt aus meinem Gehirn, von mir. Ich betrachte es als mein eigenes Gefühl, und dann erstreckt es sich von dort aus in die Fiktion und nimmt sein eigenes Leben an. Bau darauf auf, und dann weißt du irgendwann nicht mal mehr, womit du angefangen hast. Ich finde meinen Weg darin, wie ich mich in meinem eigenen Körper fühle. Ich bin froh, dass es du es auch so empfindest. All das, die Szenerie und das Setting stammen aus meinem Gehirn, daher, wo ich herkomme, wie es dort aussieht, und ich habe es einfach in diesen fiktiven Raum gestellt. Ich denke, das ist es, was ich als Künstler mitgebracht habe, etwas das sich tief in die Psychologie des Geschehens eingräbt. Ich weiß nicht, was die Antworten sind, aber ich hoffe, Gefühle ausfindig zu machen.

Abby ist wie eine offene Wunde oder zumindest kaum geheilt. In ihre Heimatstadt zurückzukehren ist, als würde sie den Schorf abreißen. Der psychische Schaden, den Abby mit sich trägt, wird meiner Meinung nach zu vielen Vergleichen mit Jessica Jones führen. Sie sind beide wirklich starke Frauen, die unglaublich schwierige Zeiten durchgemacht haben. Die Art, wie sie damit umgehen, ist vielleicht nicht perfekt, aber das ist okay. Was denkst du über die neue Sichtbarkeit komplexer weiblicher Charaktere wie diese in der Popkultur?
Vor ein paar Jahren begannen sich die Dinge auf der Kinoleinwand und dem Fernsehbildschirm im großen Stil zu verschieben. Plötzlich sieht man diese komplizierten, chaotischen Frauen und die Leute verschlingen sie. Wir verschlingen sie, weil es eine Lücke gab und wir uns jetzt repräsentiert sehen. Wir alle sind kompliziert. Wir alle haben etwas, vor dem wir davonlaufen, und wenn du erwachsen wirst, funktionieren diese Überlebensmechanismen nicht mehr. Du musst zurückgehen, wirklich zurückgehen und dich diesen Dämonen stellen. Das ist ein Thema, mit dem sich vor allem Frauen identifizieren. Sie identifizieren sich damit, ich identifiziere mich damit, und das ist offensichtlich das, was ich im Buch erforsche. Ich bin froh, Vergleiche mit Jessica Jones oder anderen tollen chaotischen Frauen auf dem Bildschirm zu ziehen, weil wir sie brauchen. Wir sind alle diese Dinge. Jeder möchte gesehen, repräsentiert und gehört werden. Jeder möchte das Gefühl haben, dass es okay ist, wenn er seltsam, anders oder anomal ist. Abby etwa trinkt, wenn sie es nicht sollte, sie hat eine kleine Zwangsstörung und zählt Dinge, um durch etwas hindurch zu kommen. Sie hält den Atem an. Sie macht all diesen seltsamen Scheiß. Wir alle machen seltsamen Scheiß. Und ich denke, die Leute erkennen: „Moment mal, meine Sachen sind gar nicht so seltsam.“ Wir machen das alle durch. Wir alle spüren das. Ich denke, das ist der Grund, weshalb wir eine so große kulturelle Veränderung sehen. Je mehr chaotische Frauen auf dem Bildschirm und in Büchern zu sehen sind, desto mehr können wir gehört werden, uns damit identifizieren und uns gut damit fühlen.

Es ist so wichtig, dass es diese Charakterdarstellungen gibt und noch mehr von ihnen kommen werden. In diesem Sinne: Arbeiten du schon an einem neuen Roman?
Tatsächlich, ja. Ich habe Ideen und bereits kleine Szenen notiert. Das mache ich immer. Ich habe eine Idee für eine Szene oder einen Charakter, die ich aufschreibe, strukturiere und später verwende. Manchmal denke ich dann: „Oh, ich kann diesen gesamten Abschnitt einfach copypasten.“ Es geht darum, Ideen zu sammeln, und ich habe es geliebt, an dem Buch zu arbeiten. Und ich liebe es, dass ich es jetzt in meinen Händen halte und es mich wirklich interessiert, wo Abbys Reise hingeht. Vielleicht nicht wirklich Abby, aber ihr Gefühlsleben. Was passiert als nächstes im Gefühlsleben eines Menschen, der zurückgeht, sich mit etwas befasst, es überwindet und nun bereit für etwas Neues ist? Ich bin 35, das war mein Leben bisher: mich damit zu befassen, was als nächstes kommt. Ich würde also gerne ihrer emotionalen Reise folgen. Das interessiert mich, und ich hoffe, dass ich die Zeit dafür habe. Ich setze mich selbst nicht unter Zeitdruck, aber es ist etwas, das ich gerne mache und wo ich mich auch weiterhin sehe. Es ist eine tolle Möglichkeit, kreativ zu sein und gleichzeitig nicht das Haus verlassen zu müssen.

Gab es irgendwelche Gedanken oder Gespräche darüber, das Buch zu verfilmen?
Absolut.

Würdest du Abby spielen?
Vielleicht, vielleicht nicht. Auf der einen Seite denke ich, vielleicht spiele ich sie. Wir werden sehen, wie alles sich entwickelt. Ich bin so aufgeregt, dass es überhaupt Interesse daran gibt. Das ist sehr spannend für mich. Ich kann es bereits sehen. Soweit es mich betrifft, existiert es in meinem Kopf, und ich würde es gerne auch auf dem Bildschirm sehen. Wir werden sehen, wie es ausgeht.

 

 

Nylon
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