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Kann „MTV Unplugged“ im Internet-Zeitalter bestehen?

Der Musiksender belebt eine seiner berühmtesten Shows. Aber wird sich irgendjemand dafür interessieren?

 Text: Anne T. Donahue // Foto: Kevin Winter / Getty Images via NYLON.com

Weil es zur Zeit nicht genug Neustarts in der Welt gibt, hat MTV jetzt „MTV Unplugged“ wieder zum Leben erweckt. Genau die Show also, die uns einst legendäre Auftritte von Nirvana, Jay Z und einer jungen Mariah Carey bescherte (die eine Armee von Skeptikern zum Schweigen brachte, danke dafür). Doch um die neue Inkarnation anzukurbeln, holte der Sender Shawn Mendes an Bord. Was genau betrachtet so viel Sinn ergibt, wie die generelle Entscheidung, „Unplugged“ wiederzubeleben. Wir leben derzeit in einer Kultur, die von Nostalgie durchtränkt ist. Wir haben die Trends aus den Neunzigern wieder ausgegraben und tragen stolz Namen und Logos zur Schau, die unsere Jugend definierten. Dies mag eine effektive Bewältigungsstrategie sein. Während die Welt sich aufgrund eines bestimmten Präsidenten zunehmend feindselig anfühlt, kann uns die Beschäftigung mit Dingen, die wir als Kinder und Jugendliche liebten, von politischen und sozialen Realitäten ablenken. Und – vorausgesetzt, wir verlieren die Gegenwart nicht völlig aus den Augen, wenn wir uns daran erinnern, was früher war –Nostalgie kann für ein paar Minuten auch eine notwendige Atempause sein.

Wenn also eine Show wie „MTV Unplugged“ wiederkommt, katapultiert sie uns zurück in eine Ära, in der selbst die Musikindustrie einfacher schien. Vor dem Einzug von MP3s und Streaming sah das Branchenmodell einen ganz bestimmten Weg vor: Albumverkäufe definierten Bedeutung und Wert des Künstlers. Und Plattformen wie „Unplugged“ dienten als Beweis, dass man seine Lieblingskünstler möglichst live sehen sollte. Ohne Social Media, YouTube und die permanente Verfügbarkeit von Stars konnten sich Musiker immer noch etwas Geheimnisvolles bewahren, was Unplugged-Performances von Bands wie Nirvana noch fesselnder machte. Die Medien hatten das öffentliche Bild dieser Künstler auf gewisse Weise geprägt. Jetzt also jemanden wie Kurt Cobain dabei zu beobachten, wie er leise, emotionale Versionen seiner größeren Hits zum Besten gab, verlieh diesem ohnehin schon vielschichtigen Künstler weitere Dimensionen. Letztlich war „Unplugged“ sowohl in der Voraussetzung als auch in der Ausführung einfach. Es war eine schnelle Möglichkeit, um Zugang zur unverarbeiteten Inkarnation von Musikern zu bekommen. Musikern, die Mythen um sich herum aufgebaut hatten und uns jetzt einen Einblick gaben, wer sie wirklich waren – und nicht wie die Industrie und die Medien sie dargestellt hatten. Und außerdem: Alles, was sie tun mussten, war live zu performen.

Jahre, nachdem der Zusammenbruch der Musikindustrie begann, erkannten wir erstmals die Fehler, die diese Branche definiert hatten – lange bevor das Internet eine Veränderung erzwang. Heute wissen wir auch, dass es niemals einfach war: Touren waren teuer und konnten die Künstler komplett ausnehmen, Vorauszahlungen stürzten Labels fast in den Bankrott, und Musiker wurden manipuliert und geformt, um sie kommerziell rentabler erscheinen zu lassen. Und während das Musikgeschäft noch immer tückisch ist, gibt es heute eine gewisse Transparenz dank Twitter, Instagram und eigener Online-Plattformen der Künstler, auf denen sie ihre eigene Richtung vorgeben. „MTV Unplugged“ kann eine Erweiterung künstlerischer Kontrolle sein.  Neben der Flucht in nostalgische Gefilde, fungiert der Neustart von „Unplugged“ als Mittel für Künstler, auch weiterhin ihre eigenen Wünsche und Vorstellungen zu definieren. Ja, es bringt Erinnerungen an die Auftritte zurück, die die Show weltberühmt machten. Aber es ist auch eine zusätzliche Erweiterung der Erreichbarkeit. Und je erreichbarer und zugänglicher ein Künstler derzeit erscheint, desto breiter ist seine Reichweite.

Shawn Mendes hat ein Imperium auf seiner Reichweite aufgebaut. Dank Vine, Twitter, Snapchat und Instagram etablierte er sich schnell als Künstler, dem eine enge Verbindung mit seiner Fangemeinde schon immer genauso wichtig war wie einprägsamen, emotionalen Pop zu machen. Und aus genau diesem Grund hat er – mit gerade einmal 19 Jahren – zusammen mit seiner Gitarre erfolgreich einen Platz in dieser Branche besetzt.  Außerdem ist seine Auftakt-Performance bei „MTV Unplugged“ in so jungen Jahren seine Art, einen auf Mariah zu machen und Kritiker zum Schweigen zu bringen, die ihn aus anderen Gründen als der Musik ablehnen. Nicht nur Sean Mendes’ Fans werden einschalten, sondern auch ein Publikum, das sich nach Ablenkung durch Nostalgie sehnt. Vielleicht sind die älteren Semester nicht mit Mendes‘ Musik vertraut. Aber sie wollen sehen, wie sich die Show im Jahr 2017 macht. Und somit wird es auf keiner Seite Verlierer geben.  Es wird interessant sein zu beobachten, wie „Unplugged“ seinen Platz in einem Klima besetzt, das besiedelt ist von Festival-Live-Streams, Akustik-Sets und „Radio 1 Live Lounge“. Einst war es ein Novum, unsere Lieblingskünstler dabei zu beobachten, wie sie die Bühne einnahmen und auf minimalistische Weise performten. Heute dagegen gehört es zum Standard, uns einen Auftritt anzuschauen, wann immer wir wollen. Nostalgie ist kraftvoll. Aber um ihre Reinkarnation zu erhalten, müssen die Auftritte bei „Unplugged“ es umso mehr sein.

 

Robin Micha
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