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Dry January Experiment: So überraschte mich ein Monat ohne Alkohol

Ein Drink hier, eine Party da: Für mich gehörte Alkohol (in Maßen) einfach dazu. Doch dann beschloss ich im Sinne von #Dry January, einen Monat lang zu verzichten – und erlebte eine Überraschung.

Als junge Erwachsene in der Großstadt kann ich mit Zuversicht sagen, dass Trinken in fast jedem sozialen Umfeld eine große Rolle spielt. Arbeitstreffen finden in der Regel bei Cocktails statt und ich werde bei fast jeder Branchenveranstaltung mit einer Sektflöte begrüßt. Meine Abende am Wochenende bestehen darin, von Dinner zu Bar zu Party zu eilen und dabei Bier(e) und Shots in der Hand zu halten. Doch je älter ich werde, desto schlechter fühle ich mich am Morgen nach einem miesen Glas Wein. Und es grenzt fast an ein Wunder, wenn ich es vor 14 Uhr aus dem Haus schaffe (oder einfach nur aufrecht stehe). Meine Fähigkeit, nach einer „Wild Night“ wieder auf die Beine zu kommen, ist schlicht nicht mehr vorhanden. Liegt es daran, dass ich langsam älter werde? An einem besonders schlimmen Hangover-Nachmittag beschloss ich, dass ich meinem Körper eine Pause gönnen musste: Höchste Zeit, einem Leben ohne Alkohol eine Chance zu geben. Ich versprach mir, den „Dry January” – oder „Dryuary” – auszuprobiern und dass ich einen ganzen Monat lang trocken sein würde – wahrscheinlich das erste Mal, seit ich 17  bin. Zwar wollte ich mich nicht verstecken und meine Lieblings-Bar durch ein Fitness-Studio ersetzen, aber mein favorisierter Drink (Tequila Soda) sollte in den nächsten vier Wochen definitiv durch Wasser ersetzt werden.

Dry January Kick off: Das Experiment geht los

Nach einem lebhaften Wochenende kam der ideale Zeitpunkt, mein Experiment ohne Alkohol zu starten. Aber zuvor noch die kurze Hintergrundgeschichte: Ich hielt mich nie für eine starke Trinkerin, denn ich griff immer nur in Gesellschaft zu Alkohol. Ich war jemand, der einen oder zwei Tage in der Woche nach der Arbeit einen Drink hatte und sich erlaubte, an den Wochenenden bei ein paar Cocktails „ein wenig loszulassen”. Was mich im Zuge meiner Recherchen jedoch überraschte, war, dass meine Trink-Gewohnheiten tatsächlich als risikoreich eingestuft wurden. „Laut dem National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism (NIAAA) besteht bereits ein gesundheitliches Risiko, wenn Sie mehr als vier oder fünf Getränke an einem Tag zu sich nehmen. Wer einmal pro Woche stark konsumiert, schadet sich damit mehr, als wenn er an drei oder sogar fünf Tagen in der Woche nur einen Drink zu sich nimmt“, erklärt Lauren Wolfe, klinische Psychologin. Ich muss zugeben: Vier Drinks an einem Abend waren für mich kein Problem.

Nach einer Woche ohne Alkohol konnte ich bereits erste Veränderungen feststellen: Ich fühlte mich fitter und sah deutlich besser aus. Ich war weniger aufgebläht, meine Haut strahlte und die Tränensäcke waren verschwunden. Kurz: Ich fühlte mich irgendwie leichter. Und dann waren da noch diese Morgende an denen ich ohne Kopfschmerzen und Schamgefühl aufwachte und einfach nur gut drauf war – ziemlich nett.

Die Schattenseiten waren heftig

Aber der Dry January hatte auch seine Schattenseiten: Aus irgendeinem Grund hatte ich kaum Energie und ich fühlte mich ziemlich niedergeschlagen. Ein Freund von mir, der seit einiger Zeit gar keinen Alkohol mehr trinkt, sagte mir: „Du wirst anfangs sehr sensibel sein und Stimmungsschwankungen haben.” Er hatte Recht. Als ich zum ersten Mal nüchtern unterwegs war, verbrachte ich meinen Abend damit, Wasser zu schlürfen und interessante Gespräche zu führen, an die ich mich später tatsächlich noch erinnerte. Doch am Samstagmorgen fühlte ich mich leer und war unfähig, aus dem Bett zu kommen – und das ging wochenlang so weiter.

„Schwankungen äußern sich umso stärker, je häufiger man getrunken hat. Gerade dann, wenn das Trinken wichtig für das Selbstbewusstsein war.”
-Oriana Murphy, Sober College

„Der erste Monat ohne Alkohol ist oft von Höhen und Tiefen geprägt. Die Schwankungen äußern sich umso stärker, je häufiger man getrunken hat“, sagt Oriana Murphy, Sucht-Spezialistin vom Sober College. „Vor allem wenn das Trinken dazu diente, das eigene Selbstbewusstsein zu stärken, kann es schwierig werden.“ Und ja, ich gehöre definitiv zu der Sorte Mensch, die häufig unter Ängsten leidet. Da ich sie nicht mit Medikamenten behandeln will, war ein Wodka Soda oder ein Bier nach der Arbeit ein paar Mal pro Woche meine Art, mich zu beruhigen. Als ich damit aufhörte, hörte auch meine übliche Art der Entspannung auf und ich befand mich in einem konstanten Zustand der Überwältigung.

Das Positive am Dry January: Diese plötzlichen, ungewohnten Gefühle veranlassten mich dazu, meinen Wunsch nach all der Betäubung zu erforschen und andere Möglichkeiten zu finden, mit Stress umzugehen. Schlussendlich fand ich Ruhe, in dem ich Yoga machte (okay, also ging ich am Ende vielleicht doch ins Fitnessstudio), spazieren ging, Tagebuch schrieb und mich weitgehend gesund ernährte (abgesehen von ein paar nächtlichen Pizza-Orgien). All das hat mich zwar nicht magisch geheilt, aber doch einen großen Unterschied gemacht.

Dry January, dry me? Das Fazit

Meine Pause vom Alkohol hat mir die Augen geöffnet und mich gezwungen, mich damit zu konfrontieren, warum ich den Drang verspürte, überhaupt zu trinken. Ich fand neue und gesunde Wege, um mit Stress und Ängsten umzugehen. Insgesamt ist eine Pause vom Trinken eine Erfahrung, die ich definitiv nicht bereue – ich trinke auch nach dem Monat noch immer nicht. Zwar kann mir nicht vorstellen, dass ich Feiertage ohne ein Glas Wein verbringe, aber ich weiß jetzt immerhin, dass es möglich ist  – und das ist ein echt gutes Gefühl.

Text: Jenna Igneri // Dieser Text ist ursprünglich am 27. Januar 2019 erschienen. 

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