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Der wundervollste Film des Jahres: „The Florida Project“

Regisseur Sean Baker verrät, wie sein spektakulärer Film zustande kam.

Text: Ben Barna // Bild via NYLON.com

Am Stadtrand von Orlando, Florida, gibt es einen Ort namens Kissimmee. Es ist eine Einöde greller, billiger Motels, Discount-Geschenkeläden und verlassener pastellfarbener Apartmentkomplexe. Lebendig und trostlos in einem. Was einst eine Anlaufstelle für sparsame Touristen war, die sich im nur wenige Kilometer entfernten Disney World Resort kein Zimmer leisten konnten, ist heute ein Ort für wirtschaftlich entrechtete, unterhalb der Armutsgrenze lebende Familien. Und diese Motels sind die einzige Notlösung zwischen ihnen und einem Leben auf der Straße. Diese Umgebung ist auch die Kulisse von Sean Bakers wundervollem neuem Film „The Florida Project“, der letzte Woche nach seinem triumphreichen Run auf den Filmfestivals endlich in die Kinos kam.

Baker erzählt seinen Film fast vollständig aus der Sicht eines Kindes. Es geht um Moonee – gespielt von Neuentdeckung Brooklynn Prince – und ihre Freunde Jancey und Scooty (Sean Baker hat ein Händchen für Namen) und darum, wie sie durch die abgerockte Landschaft ihrer Heimat laufen, ihre eigenen Abenteuer erleben und sich glücklicherweise der harten Realität ihres Lebens nicht bewusst sind. Ihr größtes Interesse ist es, die Touristen um genug Geld anzubetteln, damit sie sich ein Softeis kaufen können – um dieses dann schnell genug zu essen, bevor es in der heißen Sonne Floridas schmilzt.

Was nicht für die Erwachsenen dieser Geschichte gilt. Darunter Moonees Mutter Halley, gespielt von Newcomerin Bria Vinaite, eine Schauspielerin, die Baker castete, nachdem er ihren Instagram-Account entdeckt hatte. Halley kann mit ihrer aufmüpfigen, aggressiven Art keinem richtigen Job nachgehen und versucht, sich mit einer Reihe von Projekten durchzuschlagen, wie etwa auf Hotelparkplätzen abzuhängen oder Parfüm an Touristen zu verkaufen. Ihre wichtigste Aufgabe besteht darin, die wöchentlichen Zahlungen fürs „Magic Castle Motel“ aufzubringen – dem hellen lilafarbenen Komplex, in dem ein Großteil des Films spielt. Geleitet wird das „Magic Castle Motel“ von Bobby (ein sensationeller Willem Dafoe), dem mitfühlenden, aber strengen Verwalter, der sowohl für Halley als auch für die Kinder auf dem Grundstück die Rolle eines Ersatzvaters einnimmt. Er sorgt sich um sie, greift aber auch hart durch, wenn es sein muss. Dafoes Performance, eine der besten seiner Karriere, ist ein ganz eigener Teil von „The Florida Project“: warm, witzig und letztendlich herzzerreißend.

Für Baker markiert der Film mit seinen bedeutenden Auszeichnungen einen Karriere-Durchbruch. Fast zwei Jahrzehnte machte er Filme am Rande der Indie-Welt („The Florida Project“ ist sein sechster). Doch besonders große Aufmerksamkeit erhielt er für sein Drama „Tangerine“ aus dem Jahr 2015, das komplett mit dem iPhone gedreht wurde und in dem zwei farbige Transgender-Schauspieler Sexarbeiter in Los Angeles verkörperten. „The Florida Project“ behält die Menschlichkeit und den Humor von Bakers letztem Film bei und zeigt eindrucksvoll, wozu er mit einem größeren Budget und einer richtigen Kamera fähig ist. Wir haben vergangene Woche mit ihm über die Entstehung des Films gesprochen, über die Entdeckung seines Stars auf Instagram und über die Auswirkungen, die dieser Film auf die Welt haben könnte.

Warum hast du Laien- und Profi-Schauspieler gemischt? Ich denke da hauptsächlich an Bria Vinaite.
Ich mische gerne. Ich liebe es, frische Gesichter auf den Bildschirm zu bringen. Es mag für die Kinokasse nicht hilfreich sein, aber es ist hilfreich für die Art und Weise, wie das Publikum die Geschichte wahrnimmt. Ich glaube, dass die Glaubwürdigkeit viel größer ist, wenn ein frisches Gesicht auftaucht. Ich war in einem Zwiespalt mit der Halley-Rolle, weil wir schon 2011 überlegt hatten, ein Ex-Mouseketeer [Darsteller des „Mickey Mouse Clubs] zu casten. Und anschließend hatten wir dieses typische Vorgehen nach Hollywood-Standards, mit Agenturen, die auf jeden A-List-Namen junger Frauen zwischen 20 und 24 Jahren drängten. Wir haben alle diese Optionen ausgelotet. Aber als ich Brias Instagram-Seite fand, war ich fasziniert. Sie hat äußerlich definitiv einige der Eigenschaften, die ich in Halley suchte: die Körperlichkeit und unbekümmerte Art. Und dann dachte ich natürlich: Wenn Bria sich auf Instagram so darstellt, ist sie bis zu einem gewissen Grad extrovertiert. Sie ist bereit zu performen. Und für meine Geldgeber war es in Ordnung, dieses Risiko einzugehen.

Was passierte, nachdem du sie angefragt hattest?
Wir haben sie tatsächlich gebeten, nach Orlando zu fliegen, um vorzusprechen. Sie traf sich mit Brooklynn und Valeria – den beiden Mädchen, die ich bereits gecastet hatte – und ich sagte ihr, sie solle sich ganz fallen lassen. Sie hatte [das Drehbuch] gelesen, also verstand sie die Geschichte, aber ich sagte ihr: „Denk nicht in einer Mutterrolle, denk eher wie ein Geschwisterkind.“ Weil Halley ein Kind ist, das ein Kind hat. Sie ist in gewisser Weise nie erwachsen geworden. Also wollte ich, dass sie diese Art von Beziehung haben und habe das bei den beiden sofort gesehen.

War sie skeptisch, als sie von dir auf Instagram angeschrieben wurde?
Natürlich, weil sie eine junge, attraktive Frau ist, die wahrscheinlich viele Nachrichten von Leuten bekommt. Und mein Instagram enthält nur Bilder von meinem Hund, es ist im Grunde das Instagram meines Hundes. Es war wahrscheinlich sehr seltsam für sie, als ich sie bat, nach Orlando zu fliegen. Aber sie hat mich gegoogelt, und ich machte gerade meinen sechsten Film. Dass ich ihr meine bisherigen Filme zeigen konnte, hat also in vielerlei Hinsicht geholfen.

Wie bist auf diesen speziellen Ort gestoßen? Und wie hast du entschieden, dass er eine großartige Kulisse für einen Film abgeben würde?
Die Mutter meines Co-Drehbuchautors zog 2011 in die Gegend von Orlando. Er schickte mir einige Artikel über diese Welt und über die Situation, in der die Familien in diesen Motels lebten. Der Grund, weshalb die Journalisten sich damit befassten, war die Gegenüberstellung von Kindern, die in Motels aufwuchsen, die für sie gleichzeitig die „glücklichsten Orte der Welt“ waren. Darauf wollte ich mich konzentrieren, weil ich den Zuschauern vermitteln möchte: Wenn es hier passieren kann, kann es überall passieren.

Inwieweit hast du deine Kinderschauspieler vor den dunkleren Elementen der Geschichte abgeschirmt? Hatten sie eine Ahnung, was wirklich mit den Erwachsenen los war?
In keiner bestimmten Weise. Offensichtlich sind sie sehr intelligente Kinder, und Brooklynn, Valeria und Christopher war sehr wohl bewusst, dass sie eines Tages den Film verstehen werden. Als wir die Kinder auswählten, waren wir im Hinterzimmer der Casting-Agentur in Orlando und sagten: „Okay, lass uns die Eltern hereinholen.“ Sie kamen herein und ich sagte: „Ich liebe eure Kinder, sie sind unglaublich. Es wäre eine Ehre, wenn sie in unserem Film wären. Aber Sie müssen eine Sache von vornherein wissen: Sie werden nicht nur Obszönitäten hören, sondern sie werden auch Obszönitäten aussprechen. Und wir müssen darüber reden, ob es okay ist, wie wir es angehen und mit den Kindern arbeiten, um sicherzustellen, dass sie nicht davon beeinflusst werden.“ Und wir mussten zu den Kindern sagen: „Schau, das ist eine Sprache, die Teil deiner Rolle ist, und die nicht außerhalb der einzelnen Szenen gesprochen wird. Und es muss Respekt am Set geben.“

Dein Film erscheint in einer besonders dunklen Zeit für Amerika. Und obwohl er eine herzzerreißende Geschichte erzählt, gibt es immer noch eine Wärme, die hindurch strahlt. Hoffst du, dass er in diesen dunklen Zeiten als Elixier dient?
Zumindest für die zwei Stunden, die der Film läuft, möchte ich das Publikum unterhalten und mit diesen Kindern lachen und diese Kinder lieben. Natürlich gibt es Probleme, die wir hier ansprechen. Und ich hoffe, dass die Zuschauer sie auf eine Weise mit nach Hause nehmen werden. Nicht, dass sie ihre Hausaufgaben machen sollen, aber hoffentlich werden sie sich mit diesen Kindern beschäftigen und sich fragen: „Was ist mit den wirklichen Moonees da draußen? Was ist mit den richtigen Halleys? Kommt das in meiner eigenen Gemeinschaft vor?“ Es geht darum, ein Publikum anzusprechen, eine Diskussion einzuleiten und einen ersten Schritt zur Beseitigung des Stigmas der Obdachlosigkeit zu machen. Aber ja, es ist absichtlich so, wie du gerade gesagt hast: hell, sonnig, lustig und unterhaltsam. Aber er ist so gemacht, weil Kinder so sind. Das ist die Universalität der Kindheit. Sie sind noch nicht von der Welt betroffen oder haben zumindest noch immer ihre Unschuld. Sie haben immer noch ein Gespür für Wunder, für Fantasie und können noch immer das Beste daraus machen. Ich möchte, dass dieses Publikum fast zwei Stunden Teil ihrer Bande ist, um einer von Moonees Freunden zu sein.

Deinen letzten Film „Tangerine“ haben so viele Leute geliebt, und er hat Ihnen wirklich geholfen, deinen Namen in der Indie-Filmwelt zu etablieren. Hattest du Druck, dieses Versprechen mit „The Florida Project“ zu erfüllen?
Natürlich, denn in vielerlei Hinsicht – und es bringt mich fast um, wenn ich darüber nachdenke – war „Tangerine“ in den Augen der Leute mein Debüt. Und der Zweitversuch ist immer die wichtigste Leistung. Der Zweite ist der Wichtigste, weil die Leute sagen: „Hier beweist du dich wirklich und der erste war nicht nur ein Zufall.“ Nun habe ich zufällig sechs Filme gemacht und sie sind alle bei „Rotten Tomatoes“ [einer Website für Filmrezensionen] hoch bewertet, aber nur die wenigsten wissen das.

 

Robin Micha
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